Essen. Garrelt Duin ist das neue „Gesicht des Ruhrgebiets“. Wie der Ostfriese über das Revier denkt und was es von den Bayern lernen kann.
Seine Wurzeln liegen in Ostfriesland, sein Lebensmittelpunkt ist Essen: Garrelt Duin, (SPD) ist seit vier Wochen Direktor des Regionalverbandes Ruhr (RVR). Der Jurist war zuvor Bundestagsabgeordneter, NRW-Wirtschaftsminister und Geschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln. Hat er das Zeug zum „Mister Ruhrgebiet“? Die WAZ hat dem 56-Jährigen auf den Zahn gefühlt.
Das Revier bringt den „Friesenjungen“ Garrelt Duin noch immer zum Staunen, obwohl er schon lange mit seiner Frau im Essener Süden wohnt und das Weltkulturerbe „Zollverein“ ebenso wertschätzt wie das Weltnaturerbe Wattenmeer.
Garrelt Duin über das Revier: „Im Ruhrgebiet ist alles da. Das fasziniert mich“
„Im Ruhrgebiet ist alles da. Das fasziniert mich“, sagt er im Gespräch mit der WAZ. „In meiner früheren Heimat Ostfriesland fährt man 120 Kilometer ins nächste Bundesliga-Stadion und 100 Kilometer ins nächste renommierte Theater.“ Er glaube fest an eine Ruhrgebiets-Identität, die die Menschen zwischen Unna und Duisburg zusammenschweiße. Duin erzählt von einem Besuch in seiner alten Heimat: Er saß abends in einem Restaurant, die Gäste schauten Bayern gegen Dortmund. „Vorn an der Theke saßen vier Menschen, die zum BVB hielten, und die stimmten nach dem Schlusspfiff spontan ,Wir sind das Ruhrgebiet‘ an.“
Ist es okay, dass das Ruhrgebiet noch immer zurückblickt auf seine industrielle Vergangenheit? Hätte es sich nicht längst neu erfinden müssen? Garrelt Duin meint, die Industrie gehöre zur Identität des Reviers, und er erklärt die Bayern zu Vorbildern in Sachen Tradition: „Die haben das verstanden. Sie reden von „Laptop und Lederhose“. Sie negieren ihre Lederhosen-Tradition nicht, im Gegenteil.“ Es sei völlig in Ordnung, sich auf die Tradition der Bergleute zu beziehen, obwohl jeder wisse, „dass das nicht die Gegenwart und Zukunft ersetzt.“
Wenn er ich privat Gäste habe, zeige er ihnen auch Zollverein und die Villa Hügel. „Mir hat noch keiner gesagt: Zeig mir doch mal ein neues Bürogebäude mit Start-ups. Zollverein und das Steigerlied gehören zum Weltkulturerbe.“
Garrelt Duin und der RVR
Garrelt Duin wurde 1968 in Leer (Ostfriesland) geboren. Er war Vorsitzender der SPD in Niedersachsen, Bundestagsabgeordneter für Emden und Aurich und NRW-Wirtschaftsminister (2012 bis 2017). Duin ist Vater eines erwachsenen Sohnes und lebt mit seiner Frau in Essen.
Der Regionalverband Ruhr (RVR) in Essen ist der Zusammenschluss der Städte und Kreise im Ruhrgebiet. Seine Hauptaufgabe ist die Regionalplanung. Er kümmert sich auch um die Route Industriekultur und den Emscher-Landschaftspark. Über die Arbeit des RVR entscheidet die direkt gewählte Verbandsversammlung, das so genannte Ruhrparlament.
Duin sagt, dass er mit Begriffen wie „Metropole Ruhr“ fremdelt und einem regionalen Motto mit Breitenwirkung träumt: „Ein Motto von der Qualität ,Laptop und Lederhose‘ oder, wie in Baden-Württemberg, ,Wir können alles außer Hochdeutsch‘, haben wir noch nicht. Wir sollten auf der Suche nach einem eigenen Motto aber Kunstbegriffe vermeiden. Auf der Straße sagt keiner, er wohne in der ,Stadt der Städte‘ oder in der ,Metropole Ruhr‘, sondern er sagt, er wohne im Ruhrgebiet.“ Es sei ein Pfund fürs Revier, überall sofort identifizierbar zu sein. „Und deshalb sage ich: Wir sind das Ruhrgebiet. Punkt.“
Garrelt Duin über sein neues Amt: Er will „Impuls- und Ideengeber“ sein
Duin sieht seine eigene Rolle als „Impuls- und Ideengeber“. Dabei weiß er, dass die „Macht“ eines RVR-Regionaldirektors begrenzt ist und er die selbstbewussten Stadtoberhäupter zu nichts zwingen kann. Er möchte den „Kommunalrat“ – das ist die Runde der Rathausspitzen und Landräte im Revier – dazu einladen, eine „Koalition der Willigen“ zu bilden: „Wir dürfen nicht immer darauf warten, bis sich 53 Kommunen verständigt haben. Es reicht auch, wenn wenige Städte oder Kreise mit einer Aufgabe starten.“
Garrelt Duin über seine Ziele: Weniger Bürokratie und mehr Zusammenhalt im Revier
„Bürokratieabbau“ ist Thema Nummer eins des neuen RVR-Direktors. „Zum Beispiel dauert das Genehmigungsverfahren für Windräder in deutschen Städten zwischen neun Monaten und drei Jahren. Wir müssen im Ruhrgebiet zu den Schnellsten zählen. Dafür müssen wir herausfinden, wie der Schnellste das schafft und dann nach dem Prinzip ,Einer für alle‘ handeln.
Duin hat selbst erlebt, wie kompliziert Behördengänge sind. „Ich musste meinen alten Führerschein umtauschen. Beim Straßenverkehrsamt in Steele sagte man mir, das sei nicht sofort möglich, weil ich den Führerschein nicht in Essen gemacht habe. Ich müsse mir erst eine Karteikartenabschrift im Landkreis Aurich besorgen. Die wurde dann von Aurich nach Steele geschickt. Da stimmt etwas nicht, das müsste im digitalen Zeitalter unkomplizierter sein.“
Garrelt Duin über die „Ruhrgebiets-Schwächen“ der CDU-geführten Landesregierungen
Der Ex-Landespolitiker Garrelt Duin rechnet knallhart mit einem Lieblingsprojekt der früheren schwarz-gelben Landesregierung von Armin Laschet (CDU) ab: der Ruhrkonferenz. Es sagt nur einen einzigen, vernichtenden Satz dazu: „Wenn wir mit einem Bus durchs Ruhrgebiet fahren, um die Ergebnisse der Ruhrkonferenz zu besichtigen, würde dieser Bus keinen Sprit verbrauchen.“
Dass die aktuelle Landesregierung von Hendrik Wüst (CDU) immer noch keine richtigen Signale für die Entschuldung der Revierstädte sende, irritiert Duin: „Wir im Ruhrgebiet brauchen die Altschuldenlösung. Davon würden auch die benachbarten Regionen profitieren. Coesfeld hat zum Beispiel nichts davon, wenn der direkt angrenzende Kreis Recklinghausen finanziell nicht auf die Beine kommt.“ Er appelliert an die Landesregierung, jetzt endlich zusammen mit dem Bund an einer Altschuldenlösung zu arbeiten.
Das Gespräch mit Garrelt Duin führten WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock, Michael Kohlstadt und Matthias Korfmann
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