Berlin. In entscheidenden Momenten waren es immer wieder SPD-Kanzler, die sich den Forderungen der Friedensbewegung entgegenstellten.
Die Osterzeit ist in Deutschland seit Langem nicht nur geprägt von Gottesdiensten, Eiersuchen und Frühlingsgefühlen – auch in diesem Jahr werden viele tausend Menschen im ganzen Land auf Ostermärschen für den Frieden demonstrieren. An über einhundert Orten zwischen Flensburg und Traunstein ruft die Friedensbewegung zu Demonstrationen auf, die oft Einrichtungen der Bundeswehr zum Ziel haben. Symbolträchtigster Ort ist der Fliegerhorst in Büchel, Standort der in der Bundesrepublik stationierten amerikanischen Atomsprengköpfe, die im Ernstfall von hier aus von Bundeswehrtornados zum Abwurf geflogen werden.
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Zu den Hochzeiten der Friedensbewegung in den 1980er Jahren beteiligten sich bis zu 700.000 Menschen an den Osteraktionen. Damals ging es um die Mittelstreckenraketen der Nato und des Warschauer Paktes, von denen sich viele Menschen in West- und Osteuropa bedroht sahen. Die von der Nato geplante „Nachrüstung“ führte zu heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen, die vor allem die SPD erschütterten, deren Kanzler Helmut Schmidt vehement für diesen Beschluss eingetreten war, gegen den Protest auch vieler Sozialdemokraten.
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Sind Friedensdemos wichtig oder völlig aus der Zeit gefallen?
Doch während die Debatten damals auch hochemotional, aber doch eher theoretischer Art waren, denn eine konkrete Kriegsgefahr stand nicht im Raum, ist die politische Stimmung heute angespannt wie selten zuvor. Kaum zwei Stunden Flugzeit von Deutschland entfernt führt Russland einen erbarmungslosen Krieg gegen die Ukraine. Sind Friedensdemonstrationen heute also gerade wichtig, oder sind sie in diesem kriegerischen Umfeld völlig aus der Zeit gefallen? Diese Ansicht vertrat schon vor zwei Jahren Wolfgang Thierse, prominentester Sozialdemokrat aus dem Osten Deutschlands. Das Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ sei eine Arroganz gegenüber den Menschen in der Ukraine, meinte er zu den Ostermarschierern: „Pazifismus auf Kosten anderer ist zynisch.“
Gerade angesichts des Kriegs in der Ukraine und der verheerenden Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern sei es wichtig, Einhalt zu fordern, argumentiert dagegen das Netzwerk Friedenskooperative, das die Ostermärsche organisiert. „Wir benötigen eine grundlegende Abkehr von Kriegslogik und Militarisierung“, heißt es in seinem Aufruf. Deutschland müsse „friedensfähig“, nicht „kriegstüchtig“ werden. „Deshalb fordern wir bei den Ostermärschen die Bundesregierung dazu auf, sich für Verhandlungen und Diplomatie einzusetzen und dazu beizutragen, dass die Waffen endlich schweigen. In der Ukraine, in Israel und Palästina und überall sonst auf der Welt!“
Die Bundesregierung muss den Spagat hinbekommen
Erneut sind es die Sozialdemokraten, die die Debatte um Krieg und Frieden besonders engagiert und auch erbittert in ihren eigenen Reihen führen. Wie vor 40 Jahren ist es wieder eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung, die den Spagat zwischen wehrbereiter Bündnistreue und friedensbewegter Überzeugung vieler ihrer Mitglieder hinbekommen muss. Der Bundeskanzler, vor allem aber Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der einen, als Bedenkenträger wahrgenommene Politiker wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich auf der anderen Seite stehen für diese Positionen.
Nicht viel anders war die Lage für Gerhard Schröder, als er 2001 für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan warb und nur mithilfe der Vertrauensfrage im Bundestag eine Mehrheit seiner rot-grünen Koalition hinter sich brachte. Zwei Jahre später konnte er sich hingegen einer breiten Zustimmung sicher sein, als er die deutsche Beteiligung am Irak-Krieg der USA ablehnte. Das entsprach genau dem Bild der Friedenspartei, das die Sozialdemokraten gern von sich zeichnen.
Der versöhnliche Ton in einem schrillen Konzert der Meinungen
1960, als der erste Ostermarsch am Karfreitag in Braunschweig startete, war die Lage noch einfacher. Er richtete sich vor allem gegen neue Atomsprengköpfe der Nato, die in der Nähe des Truppenübungsplatzes Bergen-Hohne in Niedersachsen stationiert werden sollten. Die Oppositionspartei SPD war selbstverständlich dagegen. Ein Sternmarsch aus verschiedenen norddeutschen Städten führte zu dem Platz im Landkreis Celle, in dessen Nähe sich auch das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen befindet, dessen bis dahin überlebende Insassen 1945 von britischen Soldaten befreit worden waren. So war das ein besonders symbolträchtiger Ort, zumal die Idee des Ostermarsches aus Großbritannien stammte. Sie richtete sich dort gegen Pläne, eine britische Wasserstoffbombe zu bauen. Etwa eintausend Friedensdemonstranten versammelten sich schließlich zur Abschlusskundgebung am Ostermontag.
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Dass diese Tradition bis heute anhält, aber angesichts näher rückender militärischer Konflikte doch noch nicht wieder zu einer Massenbewegung geworden ist, hängt auch mit Differenzen in der Friedensbewegung über die richtige Antwort auf den Krieg in der Ukraine zusammen. So vermeidet der Aufruf es, Russland als Aggressor zu benennen. Darin sehen manche eine unabdingbare Voraussetzung für seriöse Friedensbemühungen, während andere es lieber nicht so genau benennen möchten. So spiegeln sich hier Meinungsdifferenzen, die es in der ganzen Gesellschaft gibt. Und dennoch werden über Ostern landauf, landab die Forderungen nach einem friedlichen Weg für die Ukraine und ihre Nachbarn in Ost und West zu hören sein, ein versöhnlicher Ton in einem ansonsten schrillen Konzert der Meinungen.