Brüssel/Berlin. Die Suche nach einer Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg läuft. Experten diskutieren mögliche Szenarien für die Zeit nach dem Krieg.

In Deutschland und Europa macht sich nach zwei Jahren Ukraine-Krieg Pessimismus breit: Nur noch zehn Prozent der Bürger in zwölf wichtigen EU-Staaten rechnen mit einem Sieg der ukrainischen Armee gegen die russischen Invasoren, doppelt so viele sehen einen Sieg Russlands voraus. Das hat eine groß angelegte Umfrage der Berliner Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) ergeben. Für eine relative Mehrheit der Europäer ist der Ausweg klar: Der Krieg wird durch eine Verhandlungslösung enden. Die westlichen Regierungen sollten die Ukraine zu Friedensverhandlungen mit Moskau drängen, sagen 41 Prozent der Befragten auch in Deutschland.

Zwei Jahre Ukraine-Krieg und kein Ende in Sicht

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    Doch sind Friedensverhandlungen realistisch? „Kurzfristig erwarte ich keine direkten Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine“, sagt Ursula Schröder, Wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, unserer Redaktion. „Ich gehe davon aus, dass sich frühestens ab Ende 2024, also nach den US-Präsidentschaftswahlen und mit dem Wintereinbruch, ein Fenster der Gelegenheit für Gespräche öffnen könnte.“

    Gesucht: Eine politische Strategie für das Ende des Ukraine-Kriegs

    Es sollte aber schon jetzt ein Rahmen für zukünftige Gespräche ausgelotet werden, die müssten gut und langfristig vorbereitet werden, mahnt die Politikprofessorin. Voraussetzung dafür sei nach wie vor, dass die Ukraine militärisch in eine ausreichende Verhandlungsposition gebracht werde. „Die Sicherheitsabkommen der Ukraine unter anderem mit Deutschland über eine langfristige Unterstützung sind ein erster Schritt in diese Richtung.“ Gleichzeitig sollte damit begonnen werden, neben der bisherigen militärischen Strategie eine politische Strategie zur Beendigung des Krieges durch Verhandlungen zu entwickeln.

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    Zumindest Sondierungen haben in westlichen Regierungen offenbar begonnen: Amerikanische und europäische Regierungsbeamte sollen in den vergangenen Monaten geheim mehrmals mit ukrainischen Offiziellen über mögliche Inhalte von Friedensverhandlungen beraten haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj widerspricht den spärlichen Informationen dazu nicht, sondern versichert nur, es werde kein Druck auf Kiew ausgeübt. Der wahrscheinlich künftige Nato-Generalsekretär Mark Rutte denkt schon weiter voraus: Nur Kiew könne Friedensverhandlungen mit Moskau anstoßen, sagte Rutte jetzt in München. „Aber wenn das passiert, müssen wir uns auch mit den USA, innerhalb der Nato und gemeinsam mit den Russen zusammensetzen, um über zukünftige Sicherheitsvereinbarungen zwischen uns zu sprechen.“

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Truppenbesuch. Derzeit sieht Selenskyj keine Basis für Verhandlungen mit Russland. Aber das könnte sich ändern, glauben Experten. Gibt es Ende des Jahres eine Chance für den Beginn von Friedensgesprächen?
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Truppenbesuch. Derzeit sieht Selenskyj keine Basis für Verhandlungen mit Russland. Aber das könnte sich ändern, glauben Experten. Gibt es Ende des Jahres eine Chance für den Beginn von Friedensgesprächen? © AFP | HANDOUT

    Frieden im Ukraine-Krieg: Einige Gebiete müssten wohl an Russland abgetreten werden

    Noch ist das nicht in Sicht: In der Öffentlichkeit fordert Präsident Wladimir Putin als Gesprächsvoraussetzung die Anerkennung aller russischen Eroberungen, sein Gegenpart Selenskyj verlangt den russischen Rückzug aus allen besetzten Gebieten: „Ich bin nicht bereit mit Terroristen zu reden, weil ihr Wort nichts wert ist“, sagt Selenskyj. Er hat Verhandlungen mit Moskau sogar per Dekret untersagt. Zwar kursieren nicht verifizierbare Berichte, dass Kontaktleute Putins in Washington Gesprächsbereitschaft signalisieren. Putins Außenminister Sergej Lawrow ist vor einiger Zeit mit früheren US-Diplomaten in New York zusammengekommen, die mit Kenntnis von Präsident Joe Biden eine Gesprächsplattform organisieren wollten.

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    Doch unter westlichen Militärs überwiegt die Einschätzung, dass der Kremlherrscher aktuell Aufwind verspürt und auf jeden Fall die US-Präsidentschaftswahlen im November abwarten wird: „Putin glaubt immer noch, dass er seine Ziele erreichen kann“, sagt ein hoher Nato-Beamter, der nicht mit Namen zitiert werden möchte, beim Gespräch im Brüsseler Hauptquartier. „Putin denkt, die Zeit spielt für ihn – so lange ist er nicht an Verhandlungen interessiert, auch wenn man mit ihm sprechen wollte.“ Auch die Regierung Chinas, die einen eigenen Friedensplan vorgelegt hat und eine Schlüsselrolle bei Gesprächen spielen dürfte, winkt derzeit ab: Bei der Münchner Sicherheitskonferenz sagte Außenminister Wang Yi, die Bedingungen für Friedensgespräche seien derzeit nicht gegeben.

    Das Problem aus westlicher Sicht: Ein Waffenstillstand ohne Sieg der würde voraussetzen, dass die Regierung in Kiew zumindest vorläufig die russische Besetzung von Teilen ihres Territoriums hinnimmt. Dass die Krim zunächst verloren sein könnte, hatten Selenskyjs Unterhändler bei kurzen Waffenstillstandsverhandlungen gleich nach Kriegsbeginn offenbar zugestanden. Inzwischen ist es ein Tabu in der öffentlichen Debatte. Doch der Stabschef von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Stian Jenssen, ließ vorigen Sommer durchblicken, was intern zumindest beredet wird, auch wenn es umstritten bleibt: Die Ukraine könne Teile ihres Territoriums an Russland abtreten und im Gegenzug die Mitgliedschaft in der Nato zugesichert bekommen.

    Korea als Modell für die Zeit nach dem Waffenstillstand?

    Russlands Präsident Wladimir Putin will nur über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg reden, wenn die Ukraine alle russischen Gebietseroberungen anerkennt. Das lehnt die Regierung in Kiew ab.
    Russlands Präsident Wladimir Putin will nur über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg reden, wenn die Ukraine alle russischen Gebietseroberungen anerkennt. Das lehnt die Regierung in Kiew ab. © AFP | Dmitry Azarov

    In den USA wird die Debatte durch eine soeben vorgelegte Studie der überwiegend vom US-Verteidigungsministerium finanzierten Militärforschungseinrichtung Rand Corporation befeuert: Der Westen müsse eine Strategie für das zügige Ende des Krieges entwickeln, Moskau und Kiew könnten vor Ende 2024 an den Verhandlungstisch kommen. Die Studie entwirft das Szenario eines robusten Waffenstillstands mit demilitarisierter Zone und anschließendem Gesprächsprozess – Europäische Union und USA könnten mit der Lockerung der Russland-Sanktionen einerseits und Sicherheitsgarantien für die Ukraine andererseits den Prozess begleiten.

    Die Ukraine bekäme Militärhilfe vom Westen, würde aber nicht Nato-Mitglied. Die Regierung in Kiew müsste den Anspruch auf ihr von Russland besetztes Territorium nicht aufgeben – beide Seiten würden sich aber verpflichten, ihre Ansprüche nicht gewaltsam durchzusetzen. Rand-Studienautor Samuel Charap sieht wie andere Sicherheitsexperten Korea als Modell für die Ukraine: In Fernost hat 1953 ein Waffenstillstand den Krieg zwischen Nord- und Südkorea beendet, ohne dass es bis heute zu einem Friedensabkommen gekommen ist.

    Ukraine-Krieg: Experten rechnen nicht mit schneller Lösung

    In der Bundesregierung ist Charap kein Unbekannter. Der Wissenschaftler zählte zu einer exklusiven Runde amerikanischer Russlandexperten, die Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt – der engste Vertraute von Olaf Scholz – vor vier Monaten in der deutschen Botschaft in Washington zum Abendessen versammelte. Schmidt hat sich Charaps Vorschläge nicht zu eigen gemacht, wie sein Umfeld betont, sie passen auch nicht in die offizielle Linie Berlins. Kanzler Scholz erklärt immer wieder, es werde keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer geben, Kiew entscheide allein über Zeitpunkt und Bedingungen.

    Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und US-Präsident Joe Biden: Könnten Gespräche zwischen den beiden Staatsführern ein Ende des Ukraine-Kriegs befördern?
    Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und US-Präsident Joe Biden: Könnten Gespräche zwischen den beiden Staatsführern ein Ende des Ukraine-Kriegs befördern? © DPA Images | Patrick Semansky

    Ein hoher Beamter der Bundesregierung sagt: „Eine erzwungene Friedenslösung würde auch nichts bringen.“ Man dürfe zudem das bittere Schicksal der Ukrainer in den von Russland besetzten Gebieten nicht aus den Augen verlieren. Allerdings berichten Diplomaten in Berlin, dass die Länder des globalen Südens die Ukraine und den Westen intern zunehmend zu einer Verhandlungslösung drängten.

    Doch diese Lösung wird, so oder so, Zeit brauchen, meint Friedensforscherin Schröder: „Auf jeden Fall wird es ein mühsamer Prozess.“ Zunächst gehe es dabei um „Gespräche über Gespräche“: Wo verhandelt wer mit wem? Über welche Kanäle wird eingeladen? Ideal wäre eine Gruppe von Staaten, die gemeinsam in einen Vermittlungsprozess einsteigen, sagt Schröder, und dazu ein Staat, der seine neutralen guten Dienste als Vermittler anbiete. „Von Frieden zu sprechen, wird Generationen dauern“, meint die Sicherheitsexpertin. „Und selbst das Ziel einer Koexistenz beider Staaten wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen.“

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