Kiew. Die Kurse zum Drohnenbau sind kostenlos und dauern zwei Wochen. An der Front ist die Wunderwaffe Marke Eigenbau ein effektives Mittel.
An vielen Abschnitten der umkämpften etwa 1000 Kilometer langen Front schweigen auf der ukrainischen Seite die Waffen, die Munition fehlt. Mit Mühe werden die Positionen gehalten. Der Westen hat Nachschub versprochen, aber die Produktionskapazitäten werden erst Ende des Jahres so hochgefahren sein, dass die nötige Unterstützung auch kommt. Doch die Not macht erfinderisch. Die Ukraine setzt zunehmend auf Drohnen der Marke Eigenbau – und kann nicht genug bekommen.
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Inzwischen ist die ukrainische Armee auf einen billigeren Teilersatz in Form der sogenannten First-Person-View-Drohnen angewiesen. Ursprünglich wurden die FPV-Drohnen, die nur wenige Kilometer fliegen können, von Hobbypiloten vor allem bei privaten Drohnenrennen eingesetzt. Im Abwehrkrieg gegen Russland kamen die Ukrainer jedoch auf die Idee, diese Drohnen mit kleineren Mengen Sprengstoff zu bestücken und als Kamikaze-Drohnen auf die Stellungen des Feindes fliegen zu lassen.
Auch Russland hat die Billigdrohnen für sich entdeckt
Sie können die Artillerie an der Front natürlich nicht ersetzen, aber sie machen die Verteidigung oft einfacher – und vor allem billiger. Doch auch Russlands Armee hat den Wert der FPV-Drohnen inzwischen erkannt und baut sie im großen Stil nach. Inzwischen handelt es sich bei deren Herstellung um ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kiew und Moskau.
So hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seiner Jahrespressekonferenz angekündigt, dass sein Land 2024 die Produktion von einer Million der FPV-Drohnen anpeilt. Das erscheint durchaus realistisch: Den Quellen der führenden unabhängigen Medien wie „Ukrajinska Prawda“ und „NV“ zufolge existieren in der Ukraine bereits Kapazitäten für die Produktion von 500.000 Drohnen – und es werden weitere Kapazitäten in dieser Größenordnung vorbereitet. Doch genug Drohnen wird die Ukraine in diesem Krieg niemals haben: Es werden immer mehr und mehr gebraucht.
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In der Ukraine läuft das Projekt „Volksdrohne“
Daher hat der ukrainische Digitalminister Mychajlo Fedorow, der maßgeblich für das Drohnenprogramm Kiews verantwortlich ist, neulich die Ukrainer dazu aufgerufen, FPV-Drohnen selbst zu Hause für den Armeebedarf zu produzieren. Laut Fedorow, der auch Vizepremier ist, tut seine Regierung alles, um eine ununterbrochene Serienproduktion von Drohnen auf staatlicher Ebene zu etablieren. Jeder Ukrainer könne jedoch ganz persönlich das Land Richtung Sieg führen, sagte er. Wer mitmachen will, solle sich beim Freiwilligenprojekt „Volksdrohne der Vereinigung Victory Drones“ melden, das sich unter anderem mit der Ausbildung der Drohnenpiloten und mit der Anleitung zum Drohnenbauen beschäftigt.
Der kostenlose Kurs zum Drohnenbauen dauert zwei Wochen und besteht aus sieben Vorträgen. Dabei erlernen die Kursteilnehmer, wie man zu Hause eine sieben Zoll große FPV-Kamikaze-Drohne mit einer Batterie zusammenbastelt. Wenn die Drohne fertig ist, wird sie zum Test geschickt – und erst danach an die Militärs. Die Unterstützung der Landesverteidigung müssen die Kursteilnehmer allerdings selbst bezahlen. Die Teile, aus denen die konkreten Drohnen gebaut werden, kosten im Schnitt umgerechnet etwas weniger als 350 Euro. Weitere rund 250 Euro kosten die für den Bau nötigen Werkzeuge, falls man sie nicht zu Hause hat.
Das Löten am Küchentisch ist gefährlich – wegen der Dämpfe
Am Ende kann man die fertige Drohne entweder kostenlos übergeben oder auch eine Spendensammlung starten, um einen Teil der Kosten wieder reinzuholen, was sogar meist problemlos gelingt. Der Drohnenbau zu Hause ist nicht so kompliziert, wie er vielleicht klingt. Im Prinzip müssen nur alle Komponenten mit einem Lötkolben zusammengesetzt werden. Die nötige Software installiert dann ohnehin ein professioneller Programmierer, der auch die notwendigen Tests durchführt. Im Kern unterscheidet sich der Prozess kaum von typischen Hobbygruppen, die sich etwa mit dem Flugzeugmodellbau beschäftigen. Allerdings ist das Löten am Küchentisch ohne ausreichende Belüftung gesundheitsschädlich.
Fedorow ist vom Engagement seiner Landsleute begeistert. Bei der „Initiative Volksdrohne“ seien mehr als 80 Prozent der gebauten Drohnen in einem betriebsbereiten Zustand zur Testphase gekommen. „Das ist ein sehr guter Wert“, lobt Fedorow. Den Vorwurf, die Regierung verlagere die Verantwortung der Drohnenproduktion auf die Bürger, weist Marija Berlinska von der Vereinigung „Victory Drones“ zurück. Es gehe doch gar nicht darum, die Serienproduktion zu ersetzen. Das sei ohnehin unmöglich.
Um den Krieg gegen Russland gewinnen zu können, seien alle gefragt. Mit der „Volksdrohne“ könnten auch die Bürgerinnen und Bürger ihr Land unterstützen, die nicht an der Front sind, aber über Zeit und Geld verfügen – und etwas Geschick. Letztlich zähle an der Front jede einzelne Drohne – und jeder könne etwas tun.
Doch der Nutzen könnte noch ein anderer sein: Die Regierung in Kiew hofft, dass unter den Hobbylötern eine neue Generation von Ingenieuren heranwächst. Die Idee ist, dass die Bastler nach dem Bau der FPV-Drohnen zu Hause in der Zukunft auf ein professionelles Niveau aufsteigen, sich zu Ingenieuren ausbilden lassen und vielleicht gar eigene Produktionsprojekte starten. Die Nachfrage nach Drohnen aller Art wird in den nächsten Jahren nicht nur im Ukraine-Krieg groß bleiben.
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