Berlin. Viele alte Menschen sind einsam, viele junge auch. Ein Verein bringt sie zusammen, in Freundschaften wie der von Jochen und Marietta.

An einem verregneten Montag im Dezember ist die Munch-Ausstellung in der Berlinischen Galerie fast übervoll. Grüppchen von Touristen haben vor dem Wetter Zuflucht gesucht, Schulklassen schieben sich langsam an den Gemälden und Radierungen vorbei.

Zwischen den vielen Menschen bewegt sich zügig, aber aufmerksam ein Paar. Eine Dame mit weißen Haaren und aufrechtem Gang, neben ihr ein junger Mann im schwarzen Rollkragenpullover. Immer wieder bleiben sie stehen, tauschen die Eindrücke aus, die die Werke des norwegischen Malers bei ihnen hinterlassen.

Zwei Freunde auf einem Museumsbesuch: Keine ungewöhnliche Szene, und doch ist es eine ungewöhnliche Freundschaft. Jochen Wendland ist 39. Marietta Brand ist 82 und seine „alte Freundin“. Die beiden kennen sich über den Verein „Freunde alter Menschen“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Einsamkeit entgegenzuwirken. Unter anderem, indem die Organisation in sogenannten Besuchspartnerschaften junge und alte Menschen zusammenbringt. So wie Brand und Wendland.

Orte, die junge und alte Menschen zusammenbringen, sind selten

Brand zog vor acht Jahren aus Münster nach Berlin, als eine Enkeltochter hier zur Welt kam. Berlin habe sie immer schon interessiert. „Die Kunst, die Geschichte. Und hier guckt einen auch niemand komisch an, wenn man mal allein ins Restaurant geht.“ Hergezogen sei sie damals zwar, um ihre Tochter zu unterstützen. „Aber ich wollte nie meine ganze Zeit auf dem Spielplatz verbringen, ich habe mich immer auch für anderes interessiert.“

Marietta Brand (82) und Jochen Wendland (39) teilen das Interesse an Kultur.
Marietta Brand (82) und Jochen Wendland (39) teilen das Interesse an Kultur. © Funke Foto Services | Reto Klar

Das Büro des Vereins ist in derselben Straße wie ihre Wohnung, erzählt sie, als die beiden nach dem Rundgang durch die Ausstellung bei Kaffee und Kuchen im Museumscafé sitzen. Jahrelang sei sie daran vorbeigelaufen, bis sie irgendwann einmal geklopft habe. Es habe sie neugierig gemacht, dass da Junge und Alte zusammenkommen. „Ich bin gern mit jüngeren Menschen zusammen“, sagt Brand. Doch von allein passiert das selten.

Wendland erfährt in einem Fernsehbeitrag das erste Mal vom Verein. Es war mitten in der Pandemie, erinnert er sich. Der Duty-Free-Shop am Berliner Flughafen, wo der 39-Jährige als Teamleiter arbeitet, war geschlossen, wie anderes auch. Wendland hatte plötzlich viel Zeit. „Meine eigene Mutter war damals gerade gestorben, vielleicht hatte das auch etwas damit zu tun“, sagt er, die Fingerspitzen aneinandergelegt. „Ich habe es keinen Tag bereut.“

Freunde alter Menschen ist in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und Köln aktiv

Wer sich wie Brand oder Wendland dafür interessiert, Teil einer Besuchspartnerschaft zu werden, wendet sich an den Verein, der auch in Hamburg, Köln und Frankfurt am Main aktiv ist. Für Interessierte gibt es Infoveranstaltungen, die erklären, was der Verein macht. Wenn anschließend jemand Teil einer Besuchspartnerschaft werden möchte, prüft der Verein die Person, fragt nach Interessen und Vorlieben, und vermittelt dann einen „alten Freund“ und einen „jungen Freund“, wie der Verein sie nennt. Ein erstes Treffen findet noch mit einem Koordinator oder einer Koordinatorin aus dem Verein statt, danach verabreden sich die Paare selbstständig. „Eine Freundschaft ist ja durchaus etwas Intimes“, sagt Wendland. „Es muss schon passen.“

Ihn und Brand verbinden nicht nur ähnliche Erfahrungen im Arbeitsleben – Brand arbeitete früher ebenfalls im Einzelhandel –, sondern auch das Interesse an Kultur. Erst am Wochenende zuvor waren sie in der Oper, Rigoletto. „Eine Premiere für mich“, sagt Wendland. „Marietta hat mir vorher erklärt, was ich wissen muss, wie ich mich vorbereiten kann.“ Demnächst, fügt Brand hinzu, gehen sie ins Konzerthaus.

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Sie sehen sich regelmäßig, meist mehrmals im Monat. Beide haben zudem noch eine Besucherpartnerschaft mit einer weiteren Person, auch zu mehreren haben sie sich schon getroffen. Auch das sei ein Ziel des Vereins, sagen sie, Kontakte unter den jungen Freiwilligen, unter den „alten Freunden“. Und beide engagieren sich auch im Verein, auch wenn das keine Voraussetzung ist, um Teil einer Besuchspartnerschaft zu werden. Neben den Partnerschaften organisiert der Verein immer wieder auch Veranstaltungen, Ausflüge, Spielenachmittage. An Heiligabend auch ein Festessen, für die, die die Feiertage sonst allein verbringen würden.

Einsamkeit durchzieht die Gesellschaft: Während Corona war fast jeder Zweite einsam

Freunde alter Menschen stemmt sich damit gegen ein Problem, das die Gesellschaft durchzieht. Im zweiten Corona-Jahr 2021 gaben in einer Befragung 42,3 Prozent der Teilnehmenden an, mindestens manchmal einsam zu sein. 2017 hatte der Anteil im Schnitt noch bei 14,2 Prozent gelegen. Während der Pandemie hatte die Einsamkeit vor allem unter Jüngeren stark zugenommen, doch unter Menschen über 75 war der Anteil derjenigen, die unfreiwillig allein sind, schon zuvor sehr hoch.

Weil Einsamkeit nicht nur ein individueller Schmerz ist, sondern auch gesundheitliche und gesellschaftliche Folgen hat, plant auch die Bundesregierung, mehr dagegen zu tun. In der vergangenen Woche beschloss das Kabinett eine Strategie gegen Einsamkeit. Unter anderem ist darin festgehalten, dass Initiativen wie die Freunde alter Menschen gestärkt werden sollen.

Wie viel Einsamkeit es gibt, sagt Wendland, das sei ihm erst durch den Verein so richtig klar geworden. Der Staat könnte durchaus mehr machen, findet er. Mehr Anerkennung für das Ehrenamt würde helfen, mehr Sichtbarkeit für das Thema Einsamkeit auch. Marietta Brand überlegt kurz, dann ergänzt sie. „Man kann nicht alles dem Staat überlassen. Wir müssen uns doch auch umeinander kümmern. Das ist eine Aufgabe von allen.“ Dann bestellt sie noch einen Kaffee und bleibt noch eine Weile mit ihrem „jungen Freund“ im Café.

Freunde alter Menschen e.V.

Mehr Informationen über den Verein Freunde alter Menschen finden Sie auf www.famev.de oder unter 030/ 13 89 57 90