Kiew. Der Ukraine-Krieg hat teils unerwartete Auswirkungen, in Donezk hat er zum Wirtschaftsaufschwung geführt. Das hat vielfältige Gründe.
Donezk und Luhansk waren mal durchaus wohlhabende Städte. 2012 etwa hat die Millionenstadt Donezk das Halbfinale der Fußball-EM ausgetragen, Weltstars wie Beyoncé und Rihanna haben dort Konzerte gespielt. Dann begann 2014 der Krieg im Donbass, und die von Moskau kontrollierten Separatistenkräfte besetzten ein Drittel der ostukrainischen Industrieregion.
Bis zum groß angelegten russischen Angriff am 24. Februar 2022 hat der Krieg nach UN-Einschätzung etwas mehr als 3000 zivile Opfer auf beiden Seiten der Frontlinie gekostet und alles verändert. Wo Rihanna noch gestern Zehntausende Zuschauer in der Donbass-Arena begeistert hatte, war plötzlich rechtliches und faktisches Niemandsland. Während sich Firmen und Unternehmen zurückzogen, sind keine russischen direkt nachgezogen.
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Eine der wenigen Möglichkeiten, einigermaßen Geld zu verdienen, war die „Volksmiliz“ – die Separatistenarmee der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die bis zu 35.000 Menschen zählte, meist angeführt von ehemaligen russischen Offizieren. Die Gehälter betrugen umgerechnet 350 bis 400 Euro. Viel Geld war das nicht. In dem aussichtslosen Zustand der totalen Wirtschaftsdepression aber immerhin etwas. Dann kam der 24. Februar 2022.
Die Zwangsrekrutierung hat unerwartete Folgen
Schon Tage zuvor wurde in den selbst ernannten Republiken die Generalmobilmachung verkündet. Diese verlief äußerst hart: Mindestens Zehntausende Männer wurden von Moskau zwangsrekrutiert und an der Front überwiegend als Kanonenfutter für Sturmversuche eingesetzt – eine Rolle, die später auch die von der Söldnertruppe Wagner rekrutierten Häftlinge ausübten. Einschätzungen der unabhängigen russischen Medien zufolge könnte es sich sogar um die Zwangsmobilmachung von bis zu 140.000 Menschen gehandelt haben. Viele davon sind inzwischen tot oder wurden schwer verletzt.
Doch die Zwangsrekrutierung der Männer aus Donezk und Luhansk hat auch eine andere, auf den ersten Blick unerwartete Seite. Denn: Die Soldaten erhalten inzwischen russische Gehälter, die bei einfachen Kanoniers oder Schützen bei knapp 2000 Euro anfangen. So lassen sich pro Jahr fast 24.000 Euro sammeln. Für den durchschnittlichen Offizier ist es kein Problem, auf rund 30.000 Euro zu kommen – all das ist kein Vergleich zu den Umständen vor dem groß angelegten russischen Angriff. Nicht zuletzt spielen die Kompensationen für Verletzungen und Tote, die jeweils bei mehr als 30.000 und 50.000 Euro liegen, eine bedeutende Rolle.
Es gibt noch mehr Faktoren für den Aufschwung
In nahezu jeder Familie, die seit 2014 im besetzten Donbass-Teil geblieben ist, gibt es jemanden, der kämpfen musste. Das sorgt für einen absurden Wirtschaftsaufschwung – in einer Zeit, als in der Region einige Städte wie Bachmut oder Marjinka durch die Kampfhandlungen quasi komplett ausgelöscht wurden. Neben den Gehältern und Kompensationen für Soldaten gibt es weitere Faktoren. So halten sich auf dem besetzten Gebiet viele russische Staatsbürger auf, die bei Bau- und Straßenarbeiten eingesetzt sind. Außerdem wird in Donezk und Luhansk das durchaus üppige Mutterschaftskapital ausgezahlt, die russische Sozialzahlung zur Erhöhung der Geburtenrate.
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Auf der einen Seite resultieren diese Entwicklungen in steigenden Immobilien- und Mietpreisen. Die Wohnungen am oft unter Beschuss stehenden Stadtrand von Donezk kosten inzwischen so viel wie Wohnungen im Stadtzentrum vor Februar 2022. Eine ähnliche Tendenz gibt es in Luhansk, das anders als Donezk keine Stadt unmittelbar an der Front ist. Nach Angaben der lokalen Besatzungsbehörden halten sich aktuell rund 600.000 Menschen in Luhansk auf, das sind mehr Einwohner als in der friedlichen Zeit vor 2014. Überprüfbar ist das nicht – Fakt ist aber, dass es in Luhansk viele Flüchtlinge gibt, die ebenfalls auf dem Mietmarkt mitmischen, während ursprüngliche Lokalbewohner die Soldatenzahlungen gern in Immobilien investieren würden.
Die Lebensmittelpreise steigen
Auf der anderen Seite ist die Zahl der Besucher in Einkaufszentren, Cafés und Restaurants stark gestiegen – vor allem weil Soldatenfrauen nun mehr Geld zur Verfügung haben und öfter als zuvor mit ihren Kindern ausgehen können. Ganz beliebt ist ausgerechnet der DonMak in Donezk – ein lokaler McDonald‘s-Ersatz genau an dem Ort, wo vor 2014 das Schnellrestaurant der US-amerikanischen Kette stand.
In der Gastronomiebranche gibt es allerdings riesige Probleme, die nicht direkt mit der hohen Besucherzahl zu tun haben: Die Qualität des Essens soll deutlich nachgelassen haben, was mit dem Mangel an qualifiziertem Personal zusammenhängen dürfte. Auch das Angebot etwa in den Kleidungsgeschäften soll eher klein sein und nicht zur größeren Nachfrage als sonst passen. Außerdem sorgt die gestiegene Kaufkraft für eine merkliche Erhöhung der Lebensmittelpreise – neben den ohnehin einkalkulierten Logistikproblemen in Zeiten des Krieges.
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Die Preise für viele Waren und Dienstleistungen sind durchschnittlich um ein Drittel höher als in den benachbarten russischen Regionen, was regelrechte Einkaufstouren der lokalen Bevölkerung nach sich zieht – manche Familien reisen alle zwei Wochen in das international anerkannte russische Gebiet, um dort Lebensmittelvorräte und Kleidung zu kaufen. Gleiches gilt für Benzin. Eine Realität, die kaum absurder sein könnte, betrachtet man die unzähligen Soldaten aus Donezk und Luhansk, die im russischen Angriffskrieg bislang getötet wurden.
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