Berlin. Omid Nouripour fordert einen besseren Schutz vor Terror in Deutschland – und greift die Klimaaktivistin Greta Thunberg frontal an.

Berlin. Das Massaker der Hamas und seine Folgen erschüttern die Welt. In Deutschland werden jüdische Einrichtungen bedroht, auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken kommt es zu verstörenden Pro-Palästina-Bekundungen. Die Klima-Aktivistin Greta Thunberg teilt antisemitisches Gedankengut, und Noussair Mazraoui, marokkanischer Fußballstar in Diensten des FC Bayern, wünscht den Palästinensern „den Sieg“. Grünen-Chef Omid Nouripour macht im Interview mit unserer Redaktion eine deutliche Ansage.

Wie ist Ihnen zumute, wenn Noussair Mazraoui für den FC Bayern aufläuft, als sei nichts gewesen?

Omid Nouripour: Dieser Spieler ist wohl der Propaganda zum Opfer gefallen, dass die Hamas für die Palästinenser kämpfe. Das ist falsch. Es geht hier um eine Terrororganisation, die die Menschen in Gaza unterdrückt und noch nie Frieden wollte. Und die am 7. Oktober einen Feldzug begonnen hat, um jüdisches Leben auszulöschen. Das Verhalten von Mazraoui ist falsch und nicht akzeptabel. Es braucht da eine sehr klare Ansprache.

Die Forderungen gehen so weit, Mazraoui auszuweisen.

Nouripour: Ich möchte das nicht an einzelnen Fußballspielern festmachen. Wir müssen das geltende Recht konsequent und sichtbar umsetzen. Es gibt ein Strafgesetzbuch und den Straftatbestand der Volksverhetzung. Wer feiert, dass Menschen umgebracht werden, macht sich in Deutschland strafbar. Und ab einem gewissen Strafmaß kann man in Deutschland den Aufenthaltsstatus verlieren.

Aber wir sollten nicht so tun, als könnten wir das Problem aus dem Land schieben. Antisemitische Vorfälle kommen aktuell überwiegend aus dem rechtsextremistischen Bereich. Wir müssen alle Arten von Antisemitismus bekämpfen.

Die Klima-Aktivistin Greta Thunberg hat sich bei Instagram – wo sie fast 15 Millionen Follower hat – mit Gaza solidarisiert und einen Aufruf geteilt, in dem Israel „Genozid“ und „Staatsterror“ vorgeworfen wird. Wie ordnen Sie das ein?

Nouripour: Die Aktivisten haben auch noch ein Plüschtier in Form einer Krake auf das Bild geschmuggelt. Die Krake ist seit Jahrzehnten bekannt als antisemitische Symbolik. Nun wurden Verschwörungsideologien geteilt. Diese Posts sind verstörend und inakzeptabel. Es ist gut, dass sich die deutsche Gruppe von Fridays for Future sehr klar davon distanziert hat.

Schadet Greta der Klimabewegung?

Nouripour: Ich glaube, solche Äußerungen schaden dem sozialen Frieden – und sie verletzen die vielen, die um ihre Angehörigen trauern, die dem Terror der Hamas zum Opfer gefallen sind.

Gerät Fridays for Future auf antisemitische Abwege?

Nouripour: In jedem Fall sind es diese Äußerungen. Es ist eine größere Diskussion, die weit über Fußballspieler und Klimaaktivisten hinausgeht. Gerade als Deutsche haben wir eine Verantwortung, Antisemitismus mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten. Luisa Neubauer, die Fridays for Future in Deutschland vertritt, hat in ihrer hervorragenden Rede vor dem Brandenburger Tor gesagt, dass der Ausspruch „Antisemitismus hat in unserem Land keinen Platz“ leider derzeit nur ein Wunsch sei; Antisemitismus mache sich in Deutschland derzeit eher Platz. Die demokratische Aufgabe, Judenhass zurückzudrängen, wächst.

Woran liegt es, dass die Politik bei der Bekämpfung des Antisemitismus so wenig Erfolg hat?

Nouripour: Das würde ich so nicht sagen. Es ist aber eine dauerhafte Aufgabe für unsere gesamte Gesellschaft, wachsam zu sein und Judenhass klar zu benennen. Erstens geht es darum, die Bildungsarbeit anzupassen. Es gibt immer weniger Zeitzeugen der Judenverfolgung im Nationalsozialismus. Wir brauchen pädagogische Konzepte, die zeigen, dass es um Menschheitsverbrechen geht.

Zweitens müssen wir die nötige Härte zeigen im Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen eine klare Grenze ziehen, wo Meinungsfreiheit aufhört und Volksverhetzung anfängt. Drittens brauchen wir mehr Aufklärungsarbeit, was eigentlich dieser Nahostkonflikt ist. Die Palästinenser leiden massiv unter der Hamas, die sich ihre Herrschaft gewaltsam geholt hat. Hier kämpft eine Terrororganisation gegen einen demokratischen Staat – und gegen die Menschen, die sie vorgibt, befreien zu wollen.

Was kann die israelische Demokratie zur Befriedung des Konflikts beitragen?

Nouripour: Die Israelis haben gerade drei strategische Ziele: Die Geiseln freizubekommen, die Angriffe der Hamas zu stoppen und den Beschuss aus dem Libanon zu beenden. Der 7. Oktober war für Israel eine Erfahrung wie der 11. September 2001 für die Vereinigten Staaten. Seit der Shoa wurden nicht mehr so viele Juden an einem einzigen Tag ermordet. Ja, dauerhaften Frieden wird es nur mit einer Zwei-Staaten-Lösung geben. Aber jetzt geht es darum, die Zivilbevölkerung zu schützen. Die Israelis haben das Recht auf Selbstverteidigung. Dabei muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten.

Ist es verhältnismäßig, den Gazastreifen zu bombardieren und von der Versorgung abzuschneiden?

Nouripour: Die Hamas nutzt die Bevölkerung im Gaza-Streifen als menschliche Schutzschilde, es gibt Raketenrampen auf Krankenhäusern. Und natürlich sind auch die Berichte von Kindern, die schmutziges Wasser trinken, von Schwangeren, die nicht versorgt werden können, unerträglich. Deshalb ist es notwendig, so schnell wie möglich humanitäre Korridore einzurichten für die Versorgung der Zivilbevölkerung. Wir müssen Mitgefühl haben für alle Opfer. Es ist furchtbar, wenn Kinder leiden – unabhängig davon, ob es israelische oder palästinensische sind. Aber wir müssen klar benennen: Die Verantwortung für die aktuelle Lage trägt die Hamas.

In Deutschland wächst die Terrorgefahr. In Duisburg ist ein Islamist festgenommen worden, der einen Anschlag auf pro-israelische Demos geplant haben soll. In Berlin wurden Brandsätze auf eine Synagoge geschleudert. Welche Antwort hat der Staat?

Nouripour: Es gab durchgehend ein Grundrauschen in der islamistischen Szene – auch nach dem Zerfall der Terrororganisation Islamischer Staat. Dieses Grundrauschen wird immer lauter, die Anspannung steigt. Man sieht, wie die Islamisten aufdrehen, wie sie Propaganda verbreiten und junge Leute zur Gewalt anstacheln.

Hier braucht es höchste Aufmerksamkeit der Politik und der Sicherheitsbehörden. Wir müssen die Fähigkeiten von Polizei und Nachrichtendiensten spürbar steigern. Das gilt für Personal wie auch für Ausrüstung. Dazu ist eine gesamtstaatliche Anstrengung nötig. Bund und Länder sollten sich schnell zusammensetzen und Lösungen finden. Wir brauchen einen Ruck, um die Terrorabwehr zu verbessern.

CDU-Chef Friedrich Merz warnt davor, palästinensische Flüchtlinge aus Gaza aufzunehmen. Begründung: „Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land.“ Teilen Sie die Empörung über diesen Satz?

Nouripour: Welche Flüchtlinge aus Gaza? Die Leute kommen da doch kaum raus. Wir sollten uns auf die wesentlichen Probleme konzentrieren. Und das ist die Bedrohung Israels, die humanitäre Lage in Gaza und der Antisemitismus in Deutschland.

Glauben Sie an eine gemeinsame Asylpolitik von Ampel und Union?

Nouripour: Wir arbeiten in der Ampel daran, Humanität und Ordnung zusammenzubringen und die Kommunen zu entlasten. Viele Kommunen sind zunehmend überfordert mit der jetzigen Situation. Wir heißen jeden Vorschlag der Union herzlich willkommen, wenn er effektiv, machbar und rechtskonform ist.

Ihre Parteifreunde hadern ja schon mit den schärferen Abschieberegeln, die jetzt die Ampel beschlossen hat.

Nouripour: Debatten sind Teil jedes parlamentarischen Verfahrens. Im Übrigen sollten alle darauf achten, nicht davon abzulenken, dass die meisten Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, vor Krieg und Terror fliehen und einen Anspruch auf Schutz haben. Es braucht wirksame Lösungen für die Kommunen. Auch deswegen ist es gut, dass wir nun beim Abbau von Arbeitsverboten vorankommen. Wer hier arbeitet, integriert sich schneller, braucht weniger Unterstützung. Und bekanntlich suchen auch die Unternehmen allerorts Fach- und Arbeitskräfte.

Die Union hat einen Forderungskatalog aufgestellt, um die Asylzuwanderung auf maximal 200.000 Personen pro Jahr zu begrenzen. Dazu gehört, Algerien, Marokko, Tunesien und Indien als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Warum sperren Sie sich dagegen?

Nouripour: Es ist nicht seriös, Zahlen für Obergrenzen zu nennen. Die Union kann selbst nicht sagen, wie sie das umsetzen will. Zu sicheren Herkunftsstaaten kann man Länder wie Moldau erklären, die sich auf dem Weg in die EU befinden. Staaten mit Folterkellern wie Algerien haben auf dieser Liste nichts zu suchen. Wir bekämpfen doch keine Fluchtursachen, wenn wir Unrechtsstaaten in ihren Menschenrechtsverletzungen auch noch bestätigen.

Unterstützen Sie Kanzler Scholz, wenn er sagt: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“?

Nouripour: Dass wir Rückführungen brauchen, steht auch im Programm der Grünen. Der Bundeskanzler hat beschrieben, was wir in der Ampel vereinbart haben. Wir müssen bei den Verfahren insgesamt schneller werden. Es ist niemandem geholfen, wenn Asylanträge anderthalb Jahre lang bearbeitet werden.

Sind Sie mit der Wortwahl einverstanden?

Nouripour: Jeder ist frei in seiner Wortwahl. Gleichzeitig wissen alle, es gibt keine einfachen Antworten. Da müssen wir den Menschen reinen Wein einschenken. Rückführungen etwa brauchen Abkommen mit den Herkunftsstaaten. Und diese fallen nicht vom Himmel. Plus: Die Lage der Kommunen wird sich dadurch nicht schlagartig entspannen.

Die CSU bietet sich dem Kanzler als Koalitionspartner an. Haben Sie keine Sorge, dass Scholz sich darauf einlässt?

Nouripour: Ich habe eher den Eindruck, dass Markus Söder nach Wegen sucht, um Friedrich Merz loszuwerden. Das Problem muss er selber lösen, dabei wird ihm die Ampel nicht helfen können.

Linken-Ikone Sahra Wagenknecht gründet eine Partei. Erwächst daraus eine neue Machtoption für die Grünen?

Nouripour: Ich sehe noch keine Partei, nur Talkshows und Pressekonferenzen.

Bekommen Sie da Konkurrenz von links oder eher von rechts?

Nouripour: Bisher sehe ich nur Fragezeichen – auch bei der Frage, wie diese Gruppierung zu Putin steht. Wir konzentrieren uns auf Lösungen für die Probleme der Menschen.

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Die Grünen stehen vor einem Wahlparteitag. Wie lange wollen Sie an der Spitze bleiben?

Nouripour: Cem Özdemir war fast zehn Jahre lang Bundesvorsitzender der Grünen. Ich weiß gar nicht, wie er das gemacht hat. (lacht) Ich trete jetzt noch mal für die nächsten zwei Jahre an und bitte meine Partei dafür um ihr Vertrauen.

Von unseren Reportern in Israel