Tel Aviv. Alon ist der Sohn eines deutschen Juden. Heute kämpft er in Israel, doch Angst hat er auch um seine Eltern in Frankfurt.
Alon seufzt. Zwischen den Büschen im kargen Grenzland am Fuße des Golan liegen Coladosen und leere Chipspackungen verstreut. Wenn er den Müll sieht, dann kehrt es den Deutschen in dem 36-Jährigen hervor: „Furchtbar, wie das aussieht“, sagt der Frankfurter, der seit 13 Jahren in Israel lebt. An seinem Hosenbund hängt ein Revolver. Alon ist jederzeit schussbereit. Bald könnte er von seinem jahrelangen Schießtraining Gebrauch machen müssen. Nicht, weil es ihm Spaß macht, sondern weil es seine Pflicht ist: Alon ist als Reservesoldat an der Grenze zum Libanon stationiert. Wenn die Terroristen in Israels Norden eindringen, wird es auch an ihm liegen, sie abzuwehren. Es ist das erste Mal, dass er in den Krieg zieht.
Alon wuchs in Frankfurt auf, als Sohn eines deutschen Juden und einer Israelin. Mit 23 beschloss er spontan, nach Israel zu gehen, um den Armeedienst zu absolvieren, der zwei Jahre dauert. Auch danach blieb er, lebt seither in einem kleinen Kibbuz im Norden Israels. Einmal pro Monat fliegt er nach Deutschland, besucht seine Familie und macht Erledigungen für das Cybertech-Unternehmen in Tel Aviv, das er vertritt. Anfang Oktober war er zuletzt in Deutschland. Kurz nachdem er zurückgekommen war, brach der Krieg aus. Seither ist nichts mehr, wie es war.
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Alle Welt blickt auf Israels Süden. Längst ist aber auch der Norden, die Grenze zum Libanon, Teil des Kriegsgeschehens – auch wenn es nicht so offen gesagt wird. Jeden Tag feuern Terroristen Panzerabwehrgranaten nach Israel, die israelische Armee antwortet mit dem Beschuss von Zielen der Hisbollah. Allein an einem einzigen Tag landeten zehn Raketen auf israelischem Gebiet, eine davon schlug unweit von Alons Haus im Kibbuz Dan ein.
Alon: „Schlafen ist kaum möglich, nicht nur wegen der Schüsse“
„Die Lage ist sehr, sehr angespannt“, sagt er, und nimmt einen Zug von einer Zigarette. Schlafen sei kaum möglich, nicht nur wegen der Schüsse. Auch wegen der Nervosität, weil es jederzeit losgehen kann. Montagmorgen griff die israelische Armee militärische Ziele der Hisbollah an. Darunter auch ein Waffenlager, das für den Beschuss einer israelischen Stadt im Norden bereitstand. Bei den Luftangriffen sollen auch mehrere Hisbollah-Kämpfer tödlich verletzt worden sein.
Alon ist Teil der lokalen Battere der israelischen Streitkräfte. Ihre Aufgabe ist es, „die Zäune des Kibbuz zu sichern“, wie er es formuliert. In den Kibbuzen im Süden war das am 7. Oktober unter tragischen Umständen gescheitert. Lokale Sicherheitsteams gibt es zwar auch dort, aber die Frühwarnung hatte versagt. Die Menschen waren von den eindringenden Terroristen überrascht und massakriert worden. Im Norden will man es nun besser machen. „Wir sind auf das Schlimmste gefasst“, sagt Alon. Schon vor Monaten hatte die Hisbollah angekündigt, einen Teil Galiläas „besetzen“ zu wollen.
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Israel befürchtet, dass die Terrorgruppe ihre Angriffe verstärken wird, sobald die Bodenoffensive im Gazastreifen beginnt. Auch ein Eindringen von Bodentruppen der Hisbollah auf israelisches Staatsgebiet ist nicht auszuschließen. Die Armee hat deshalb die Städte Kiriat Schmona und Metula sowie 14 Dörfer an der libanesischen Grenze evakuiert und die Bewohner in Hotels in der Landesmitte untergebracht. Die Evakuierung ist eine Vorsichtsmaßnahme, niemand ist verpflichtet zu gehen. Manche sind geblieben, auch im Kibbuz Dan. Um ihre Sicherheit muss sich Alon nun kümmern.
„Es war immer klar: Die Hisbollah geht mit ins Boot“
Ob er keine Angst hat, in den Kämpfen verwundet zu werden, zu sterben? Alon schüttelt den Kopf. Seit Jahren hat er für diesen Einsatz trainiert, alle drei Monate jeweils für ein paar Tage. Das beste Training schützt aber nicht davor, überwältigt zu werden oder von einer Granate getroffen zu werden, und das weiß auch Alon. „Aber was nun? Soll ich meine Koffer packen und zu (dem deutschen Botschafter in Tel Aviv, Steffen) Seibert sagen, bitte bring‘ mich nachhause?“ Man könne nicht in Israel leben und sich wünschen, es sei hier so sicher wie in Frankfurt. „In Frankfurt muss ich keinen Schutzhelm und keine kugelsichere Weste im haben, aber hier ist das normal.“
Der 7. Oktober, der heute in Israel von manchen „Schwarzer Samstag“ genannt wird, wird für immer in Alons Gedächtnis eingegraben bleiben. „Ich war sehr früh wach, ging mit dem Hund raus“, erzählt er. „Dann kamen plötzlich ganz viele Nachrichten. Ich wusste, etwas Schlimmes ist passiert.“ Schon um 13 Uhr bekam er seinen Einberufungsbefehl in den Norden. „Es war immer klar: Wenn in Gaza etwas Großes passiert, geht auch die Hisbollah mit ins Boot“, sagt er. Ein beängstigendes Szenario. Laut israelischen Schätzungen verfügt die irantreue Miliz über ein Arsenal von rund 150.000 Raketen, darunter auch Langstreckenraketen.
Für seine Familie in Frankfurt sei es sehr schwer, dass er in Israel ist, sagt Alon. Umgekehrt macht aber auch er sich Sorgen um die Eltern. Mit gutem Grund: Vor einigen Tagen schleuderten Unbekannte einen großen Stein in Richtung des Elternhauses in Frankfurt. Aus Angst vor noch mehr Gewalt gegen seine Familie will Alon seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen.
Bis der Krieg auch in Israels Norden losgeht, herrscht hier angespannte Stille. „Seit fünfzehn Tagen bin ich in einer Art High-Zustand“, sagt Alon. Irgendwann wird auch dieser Krieg ein Ende haben, zeigt er sich überzeugt. „Ich hoffe, dass es schnell vorbeigeht. Und dass wir irgendwann in einer ruhigen Umgebung leben können.“
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