Bonn. Vor dem Landgericht Bonn äußert sich Privatbankier Christian Olearius zum Vorwurf des Steuerbetrugs mit Cum-ex. Dann geht es auch um Olaf Scholz.

Kurz gerät Christian Olearius aus der Fassung, er stockt, wischt sich mit zitternder Hand durchs Gesicht. Hinter dem 81-Jährigen nimmt seine Ärztin den Kopf hoch, seine vier Anwälte blicken von ihren Zetteln auf. Der ehemalige Topbanker ist nicht fit, am Vorabend hat er sich den Rücken verrenkt. Doch dann fängt sich der Mitinhaber der einst hoch angesehenen Hamburger Privatbank M.M. Warburg wieder. Wort für Wort hat er sich notiert, was er hier vor dem Landgericht Bonn sagen will.

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Olearius ist tief gefallen. Früher war er angesehener Geschäftsmann, Politikberater, Kulturfreund und Mäzen, heute ist er gesellschaftlich geächtet. In mehreren Gerichtsverfahren wurden bereits Manager seiner Bank zu Haftstrafen verurteilt. Landgericht und Bundesgerichtshof sahen es als erwiesen an, dass die Bank die Steuerzahler zwischen 2006 und 2011 mit Cum-ex-Geschäften um 280 Millionen Euro erleichtert haben soll. Nun will die Staatsanwaltschaft den ehemaligen Bankchef zur Verantwortung ziehen.

Cum-ex bedroht Olearius Lebenswerk

Für Christian Olearius geht es in diesem Prozess um nicht weniger als sein Lebenswerk. „Ich kann es noch nicht fassen, dass ich heute vor Ihnen als Angeklagter stehe“, sagt der Bankier zu Beginn. Dann holt er weit aus: Die Warburg-Bank mit jüdischen Wurzeln habe „die Verfolgung 1938 durch den Einsatz von deutschen Freunden überstanden“, sie habe Finanzkrise und Schifffahrtskrise gemeistert, erklärt er. Aber jetzt sei die Ordnung ernsthaft in Gefahr geraten. Die Bank hatte den Steuerschaden nach dem ersten Urteil zurückgezahlt.

Eine gute halbe Stunde liest Olearius seine Stellungnahme ab. Immer wieder fängt seine Stimme an zu beben. Seine Botschaft ist klar: „Ich weiß, dass ich unschuldig bin.“ Olearius sieht es so: Er ist das Opfer einer Medienkampagne und übermotivierter Strafverfolger. „Ich begreife jetzt die Werke von Kafka“, sagt er. Die Ermittlungen seien „oberflächlich, mangelhaft und tendenziös“. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft ignoriere entlastende Fakten, ein Kronzeuge lüge, Medien hätten ihn vorverurteilt.

Olearius bleibt damit bei der Verteidigungsstrategie, die seine Anwälte seit Jahren verfolgen. Er sei, sagt Olearius, davon ausgegangen, dass die Geschäfte legal sein, er habe die Ideen seiner damaligen Geschäftspartner nur begrenzt verstanden. Diese hätten die Warburg-Banker als „Deppen aus Hamburg“ wahrgenommen, vielleicht sei die Bank damals zu blauäugig gewesen. Mehrfach betont Olearius, wie intensiv er sich um Belange des Gemeinwohls gekümmert habe. „Ich bin heute erstaunt darüber, wie ich die Arbeitslast bewältigt habe.“

Olaf Scholz als „Oberhaupt eines überschaubaren Gemeinwesens“

Zu einer der interessantesten Fragen in dem Prozess äußert sich Olearius nur kurz. Der Bankier hatte sich mehrfach mit dem heutigen Kanzler und damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) getroffen, um eine drohende Steuerrückzahlung zu verhindern. Er habe Scholz als „Oberhaupt eines überschaubaren Gemeinwesens“ unterrichten und die Sicht der Bank darstellen wollen, sagt er. „Mir so viel Unverfrorenheit zuzutrauen, dem Bürgermeister meine Darstellung mit meinem angeblichen Wissen einer schweren und offenkundigen Steuerhinterziehung mitzuteilen und ihn gleichzeitig zu einer Amtspflichtverletzung zu überreden, ist abenteuerlich.“

Fragen lässt Olearius nach seiner Aussage nicht zu. Das Gericht wird wohl in den kommenden Monaten die Widersprüche in Olearius‘ Aussagen aufarbeiten. Bei den Cum-ex-Geschäften handelte die kleine Bank jedes Jahr Aktienpakete im Milliardenwert. Wie kann es sein, dass ein Bankchef Geschäfte in der Größenordnung angeblich nicht verstanden hat? Von den erbeuteten Steuern blieb der größte Anteil bei der Warburg-Bank. Wieso überließen die Geschäftspartner demjenigen den größten Anteil des Gewinns, der die Geschäfte gar nicht verstanden hat?

Der Prozess dürfte aggressiv werden

Im Schlagabtausch zwischen Staatsanwaltschaft und Anwälten kann man vorausahnen, wie der Prozess verlaufen wird: aggressiv. Olearius‘ Anwälte zweifeln, ob Landgericht und Bundesgerichtshof in den bisherigen Verfahren alle Aspekte der Geschäfte ausreichend berücksichtigt haben. Die Staatsanwaltschaft hält es im Prozess dagegen nicht einmal für nötig, auf die Argumente des Bankers und seiner Anwälte direkt zu antworten: „Das lohnt sich nicht.“

Wohl frühestens im kommenden Frühjahr wird das Gericht urteilen, ob Olearius unschuldig ist – oder ob auch auf den Bankier zutrifft, was der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, einmal sagte: „Ein besonderes Charakteristikum der Täter der Wirtschaftskriminalität ist eine nicht selten fehlende Unrechtseinsicht. In ihrer Selbstwahrnehmung werten sie ihre Handlungen nicht als kriminell. Wirtschaftsstraftäter halten sich mehrheitlich für Personen, die wichtige und verantwortliche Mitglieder der Gesellschaft sind und sich nichts Strafbares zu Schulden kommen ließen.“

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