Essen. Der Bankier Christian Olearius soll Steuerzahler mit Cum-ex um Hunderte Millionen Euro betrogen haben. Im Prozess geht es auch um Kanzler Scholz.
Am Ende eines schlimmen Jahres ist der Privatbankier Christian Olearius dankbar. Auf mehreren losen, undatierten Blättern skizziert der einflussreiche Chef der Hamburger Privatbank M.M. Warburg irgendwann Ende 2016 oder Anfang 2017 handschriftlich die Ereignisse der vergangenen Monate.
Olearius und seine Bank sind damals in Verdacht geraten, die Steuerkasse mithilfe von sogenannten Cum-ex-Geschäften um einen dreistelligen Millionenbetrag erleichtert zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat die Bank durchsucht, die Bankenaufsicht Bafin lässt die Bilanzen durchleuchten und als Spitze des Ärgers wollte das Finanzamt noch mehr als 90 Millionen Euro zurückfordern.
Doch wenigstens die teure Rückforderung hat Olearius verhindern können. Er hat die gewieftesten Anwälte engagiert, sein politisches Netzwerk aktiviert, seinen Einfluss geltend gemacht, mehrfach beim damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) vorgesprochen. Am Ende hat das Amt seine Pläne doch geändert, Olearius und seine Bank durften das Geld vorerst behalten.
Olearius fühlte sich Scholz offenbar zu Dank verpflichtet
Einige Wochen später notiert Olearius nun, wem er sich zu Dank verpflichtet fühlt. Er listet die Nachnamen von zehn Personen auf. Offensichtlich hat er sich bei einigen davon erkenntlich gezeigt. Jedenfalls setzt er hinter vier Namen einen Haken: bei seinem Steuerberater, bei zwei Hamburger SPD-Politiker, die ihn eng beraten haben. Und beim Namen Olaf Scholz.
Fast sieben Jahre später steht Christian Olearius nun als Angeklagter vor dem Landgericht Bonn. In mehreren Gerichtsverfahren wurden bereits Manager seiner Bank zu Haftstrafen verurteilt, weil die Privatbank den Steuerzahler um viele Millionen betrogen hat. Nun will die Staatsanwaltschaft auch Bankchef Olearius zur Verantwortung ziehen. Der heute 81-jährige Banker bestreitet die Vorwürfe.
Am Montag will er sich zum ersten Mal öffentlich äußern. Der Prozess läuft seit einigen Wochen, das Medienecho ist groß. Denn es geht nicht nur um den Angeklagten Olearius, sondern auch um einen Abwesenden: um Olaf Scholz. Warum empfing Scholz damals als Bürgermeister mehrfach einen Banker, der im Verdacht stand, die Steuerzahler um Millionen betrogen zu haben? Haben diese Treffen womöglich die Entscheidung der Finanzverwaltung beeinflusst?
Staatsanwaltschaft: Olearius ging es bei Treffen um politischen Druck
Die Staatsanwaltschaft wirft Olearius „massive Bemühungen“ vor, die Entscheidungsprozesse der Behörden außerhalb der vorgesehenen Verfahren zu beeinflussen. Er habe versucht, „akut drohende Steuerrückforderungsbescheide durch politischen Druck auf Entscheidungsträger zu verhindern“. Dabei habe er „mehrfach das direkte Gespräch mit dem damaligen ersten Bürgermeister Olaf Scholz“ gesucht, „was zum Aufbau politischen Drucks in der Finanzbehörde führen“ sollte.
Die Anklage zeigt eine dichte Indizienkette auf. Besonders intensiv lässt Olearius sich im Jahr 2016 von zwei altgedienten SPD-Politikern beraten: dem ehemaligen Zweiten Bürgermeister von Hamburg, Alfons Pawelczyk, und dem damals noch aktiven Hamburger Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs. Gegen beide ermittelt heute die Staatsanwaltschaft. Pawelczyk informiert damals auch Olaf Scholz, später fädelt er mehrere Treffen mit den Bankern ein.
Scholz empfängt die Bankiers gleich zwei Mal im Rathaus – just in jenen Wochen, als das Finanzamt entscheiden muss, ob es Millionen von der Bank fordert. Zum ersten Treffen notiert Olearius über den damaligen Hamburger Bürgermeister in seinem Tagebuch: „Er lässt mich spüren, dass er frühere Treffen mit uns in Erinnerung behalten hat, hört aufmerksam unserer Schilderung zu und stellt kluge Fragen.“ Er habe Scholz die rechtliche und die miserable wirtschaftliche Situation geschildert. „Wir bekommen nichts versprochen, erwarten, fordern das auch nicht. Jederzeit könnte ich mich melden, er erwarte das auch in dieser Angelegenheit.“ Zum Ende des Gesprächs schreibt der Bankier: „freundschaftlichste Verabschiedung“.
Beim zweiten Treffen wenige Wochen später nimmt Scholz ein Argumentationsschreiben der Banker entgegen. Olearius notiert: „Er führt das Gespräch allein. Ich berichte über den zwischenzeitlichen Verlauf und unsere Einstellung. Er fragt, hört zu, äußert keine Meinung, lässt nicht durchblicken, was er denkt und ob und wie er zu handeln gedenkt. Ich verstehe das, will ja auch nicht drängen und ihn in irgendeiner Weise kompromittieren.“
Scholz erinnert sich an Cum-ex-Treffen nicht, bestreitet aber Einflussnahme
Scholz sagt heute, dass er sich an die Gespräche nicht erinnere. Er habe als Bürgermeister oft mit Geschäftsleuten gesprochen. Es sei dabei in der Lage, nicht zu zeigen, wie er über ein Thema denke oder ob er etwas unternehmen werde. Er sei – auch ohne konkrete Erinnerung - sicher, keinen Einfluss auf das Steuerverfahren genommen zu haben.
Scholz wird damals allerdings von sich aus aktiv. Zwei Woche nach dem zweiten Treffen ruft er den Bankier an und rät ihm, wie er mit dem Argumentationspapier umgehen soll: „Schicken Sie das Schreiben ohne weitere Bemerkung an den Finanzsenator“, hält Olearius den Rat von Scholz in seinem Tagebuch fest. Finanzsenator ist damals der heutige Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher. „Ich frage nichts, danke und lasse das Schreiben Tschentscher überbringen“, schreibt Olearius.
Und tatsächlich passiert wenige Tage später das, was sich die Banker mit dem Besuch bei Stadtchef Scholz erhofft hatten: Das Finanzamt fordert die Cum-ex-Millionen doch nicht zurück. Die Situation sei juristisch unsicher, die Gefahr einer Pleite der Bank zu groß. Tonangebend ist eine Finanzbeamtin, die in engem Kontakt zur Bank steht. Auch gegen sie ermittelt heute die Staatsanwaltschaft.
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Es gibt bisher keine Beweise, dass Scholz‘ Kontakte mit dem Bankier direkten Einfluss auf die Entscheidung des Finanzamts hatten. Die beteiligten Beamten haben erklärt, sie hätten keine politische Intervention mitbekommen, sondern auf Basis der Fakten entschieden. Daran hat die Staatsanwaltschaft bis heute Zweifel.
Trotz Cum-ex: Scholz verliert kein kritisches Wort über Olearius
Und auch Olearius hält es damals offenbar für nötig, Scholz zu danken. Zwei Tage nach der Entscheidung der Finanzbeamten trifft Olearius Scholz bei einer Trauerfeier. Vor der Saaltür passt er Scholz ab, drückt ihm die Hand und sagt kurz: „Danke!“ Wenige Wochen später notiert Olearius Scholz auf seiner persönlichen Dankesliste. Und als es Ende 2017 wieder darum geht, ob die Bank Millionen zurückfordert, wendet er sich noch einmal an Scholz. Über ein weiteres Treffen notiert Olearius: „Dann berichte ich vom Sachstand bei Finanzbehörde, Staatsanwaltschaft. Ich meine, sein zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen.“
Heute wird sich Olearius nun vor Gericht erstmals öffentlich zu dem Fall äußern. Große Überraschungen sind nicht zu erwarten. Seine Anwälte haben bereits den Ton gesetzt. Olearius sieht es so: Er ist das Opfer einer Medienkampagne und übermotivierter Strafverfolger. Manchmal empfinde er schon nach zwei Seiten Lektüre der Anklageschrift solch eine Empörung, dass er an diesem Tag nicht mehr weitermachen könne, erklärte der Banker selbst in seiner Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft. Er sei damals davon ausgegangen, dass die Geschäfte legal seien.
An Scholz, erklärt Olearius heute, habe er sich damals nur gewandt, um diesen zu unterrichten. Er habe keine Forderungen gestellt, Scholz habe sich neutral verhalten. Inzwischen habe er unter erheblichem persönlichen Verzicht die Millionen an den Steuerzahler zurückgezahlt. Als Olearius das im Gespräch mit der Staatsanwaltschaft erzählt, ringt er um Fassung und beginnt zu weinen, so notieren es später die Ermittler in einem Vermerk.
Seit seinen Treffen mit Scholz ist Olearius tief gefallen. Früher war er in Hamburg ein angesehener Geschäftsmann, Kulturfreund und Mäzen, heute ist er gesellschaftlich geächtet, ihm droht eine lange Haftstrafe. Scholz dagegen wurde vom Bürgermeister zum Vizekanzler zum Kanzler. Ein kritisches Wort über Olearius hat Scholz nie verloren. „Ich hatte sehr lange ein gutes Verhältnis zu Herrn Olearius und der Bank“, erklärte er noch im vergangenen Sommer. „Ich habe mich immer wieder mit ihm getroffen und ich finde, dass die Warburg Bank in den letzten Jahrzehnten sich viele Verdienste um die Stadt erworben hat.“
Was sind Cum-ex-Geschäfte?
Cum-ex ist eine Form von Steuerbetrug. Investoren handeln dabei Aktien so im Kreis, dass die Finanzämter den Überblick verlieren, wie viele Aktien es überhaupt gibt. Das Prinzip funktioniert, als würde man im Supermarkt den Pfandbon kopieren und sich dann an der Kasse für eine zurückgegebene Flasche mehrere Bons erstatten lassen. Heißt konkret: Am Ende erstatten die Finanzämter für eine Aktie eine Steuer mehrfach zurück, die zuvor nur einmal gezahlt wurde.
Auch die Hamburger Privatbank M.M. Warburg hat solche Cum-ex-Geschäfte betrieben. Der Fall hat zudem eine politische Dimension: Als Hamburger Bürgermeister traf sich Olaf Scholz mehrfach mit den Bankiers und gab ihnen sogar einen Rat, wie sie mit dem Fall umgehen sollen. Gleichzeitig waren die Hamburger Finanzbeamten äußerst nachsichtig mit der Bank. Seit fast drei Jahren gibt es deswegen in Hamburg einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die CDU hat einen weiteren Untersuchungsausschuss im Bundestag beantragt, den die Ampel gestoppt hat. Nun muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.