Essen. Unsere Autorin muss auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten. Über holländische Cheeseburger, überforderte Ärzte und gefährliche „Cheat-Days“.

„Zwölf glutenfreie Cheeseburger, bitte“, bestelle ich kurz hinter der niederländischen Grenze. Drei der Burger landen sofort in meinem Bauch, der Rest wandert in die Kühlbox, für zu Hause. Häufig gibt es hier Kunden wie mich. Deutsche, die begeistert viel zu viele Burger bestellen, um sie einzufrieren. Schließlich kann man hier endlich wieder einen Cheeseburger von McDonald’s essen, so wie früher. In Deutschland geht das nicht, leider. Doch wieso fährt man extra soweit nur für Cheeseburger?

Glutenfreie Burger sind nicht irgendein Trend, sondern ein Stück Normalität. Ich esse glutenfrei, weil ich es muss. So wie etwa jeder Hundertste bin ich von Zöliakie betroffen. Bei dieser Krankheit reagiert der Körper autoimmun auf den Verzehr von Gluten, das man beispielsweise in Weizen, Roggen, Dinkel oder Gerste findet. Dadurch entsteht eine Entzündung im Dünndarm. Es handelt sich bei Zöliakie also um keine Allergie oder Unverträglichkeit, sondern um eine autoimmune Reaktion.

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Im schlimmsten Fall droht Darmkrebs

Wer regelmäßig die Zutatenlisten seiner Lebensmittel checkt, weiß: Wir essen und trinken in unserem Alltagsleben tagtäglich Gluten. Sei es das Brötchen am Morgen, das panierte Schnitzel zum Mittagessen, das Bier in der Disko oder die Kekse auf der Couch. Wer eine undiagnostizierte Zöliakie hat, feuert die Entzündung durch das glutenhaltige Essen dauerhaft an, die Schleimhaut im Dünndarm geht mehr und mehr kaputt. Nährstoffe können immer schlechter aufgenommen werden. Die Liste der möglichen Folgeerkrankungen ist lang. Im schlimmsten Fall droht Darmkrebs. Heilbar ist Zöliakie bisher nicht. Lediglich eine absolut strikte glutenfreie Diät gibt dem Darm die Möglichkeit, zu heilen. Der braucht dafür Monate, bei manchen Betroffenen (kurz: „Zölis“) sogar Jahre. Die Krankheit kann in jedem Alter ausbrechen, wird aber meist bei Kindern diagnostiziert.

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Ein kleiner Krümel reicht aus

Doch ist der Verzicht auf Glutenbomben wie Brot und Kuchen genug? So einfach ist es leider nicht. Denn selbst ein kleiner Krümel reicht aus, um einen Glutenunfall zu verursachen, also den Autoimmunprozess in Gang zu setzen. Eine Herausforderung für Mischhaushalte mit Gesunden und Erkrankten, wo Küchenutensilien teils in zweifacher Ausführung vorhanden sein müssen, um das Risiko einer Kontamination zu minimieren. Toaster, Backformen und zerkratzte Schneidebretter lassen sich kaum reinigen und müssen für Zölis neu gekauft werden. Holzutensilien sollten grundsätzlich ersetzt werden. Auch das Handrührgerät muss erneuert werden, da sich im Inneren des Geräts Mehlreste ansammeln, was ein dauerhaftes Kontaminationsrisiko bedeutet.

Fehler dürfen nicht passieren, schließlich sind neben den Langzeitschäden auch die direkten Folgen eines Unfalls schlimm. Mich erwarten dann Bauchschmerzen, Gelenkschmerzen und ein benebeltes Gehirn – und das für mehrere Tage. Wie lange der Darm nach so einem Unfall zum Heilen braucht, kann man pauschal nicht sagen. „Cheat-Days“ sind absolut tabu.

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Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, ist selbst der Weg zur Diagnose ein ziemlich verzwickter. Die Zöliakie ist ein Chamäleon und äußert sich ganz individuell. Einige Erkrankte haben typische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfall oder Sodbrennen. Bei Kindern wird die Krankheit oft entdeckt, wenn sie nicht normal wachsen. Doch dieses „Glück“ haben nicht alle. Die Deutsche Zöliakie Gesellschaft (DZG) schreibt auf ihrer Webseite, dass 80 bis 90 Prozent der Betroffenen „untypische, nur wenige oder keine Symptome“ haben und deshalb lange nicht diagnostiziert werden. So können beispielsweise auch schlechte Eisenwerte Hinweis auf eine Zöliakie sein.

Mein Arzt übersah den Befund

Bei mir waren die Symptome ziemlich klassisch. Los ging es mit Sodbrennen, dann kamen dauerhafte Bauchschmerzen hinzu. Trotzdem hat mich mein Hausarzt gar nicht erst ernst genommen. „Ach, du bist doch jung, das wird der Unistress sein. Was Ernstes hat man in dem Alter mit dem Magen nicht“, hieß es. Immer wieder stand ich auf der Matte, bis ich eines Tages genug genervt hatte und eine Überweisung zur Magenspiegelung bekam.

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Wenige Wochen später war das Ergebnis endlich da. „Leichte Magenschleimhautentzündung, war ja klar“, las der Hausarzt genervt vor. Dass weiter unten im Bericht klar von Hinweisen auf eine Zöliakie geschrieben wurde, von Schleimhautrückgang und einer Entzündung im Dünndarm, und zur Abklärung geraten wurde, sagte er nicht. Zum Glück nahm ich den Befund mit nach Hause. Hätte ich diesen Teil des Pathologieberichts nicht selbst gelesen, würde ich wohl heute noch mit ständigen Bauchschmerzen herumlaufen.

Die vollständige Diagnostik läuft vereinfacht zusammengefasst so ab: Es muss eine Magenspiegelung unter glutenhaltiger Diät stattfinden, bei der mehrere Proben an der richtigen Stelle entnommen werden. Zusätzlich wird im Blut unter glutenhaltiger Diät nach ganz bestimmten Antikörpern gesucht. Sind beide Tests eindeutig, ist es die Diagnose auch. In allen anderen Fällen wird es komplizierter. Für den Bluttest musste ich weiterbetteln, schließlich sogar den Arzt wechseln. „Wir haben einen Volltreffer“, begrüßte mich der neue Arzt, der die Blutuntersuchung veranlasst hatte. Damit war klar: Ich habe Zöliakie.

Fast schon gefreut habe ich mich, wirkte die Lösung für meine Probleme doch so einfach. Meine Schneidebretter und die ohnehin schon zu zerkratzte Pfanne wanderten sofort in den Mülleimer, meinen Toaster und den Großteil meiner Essensvorräte verschenkte ich, der Rest der Küche wurde gut geputzt. Im Supermarkt holte mich aber schnell die Realität ein: Das Zeug (Gluten) ist ja gefühlt überall drin. Fast alles, was ich bisher regelmäßig gekauft hatte, konnte ich nun nicht mehr essen, nie mehr.

Seit diesem Tag muss ich bei jedem Produkt, das ich kaufen will, die Zutatenliste kontrollieren. Jedes Mal, schließlich können sich Rezepturen ändern. Die erste glutenfreie Tiefkühlpizza war geschmacklich ernüchternd. Mittlerweile habe ich mich an den Verzicht gewöhnt, Bäckereien nehme ich gar nicht mehr wahr, esse sogar die glutenfreie Tiefkühlpizza.

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Trotz der großen Betroffenenzahl ist die Krankheit noch wenig bekannt in der Gastronomie. Das kann für Zölis gefährlich werden – besonders, wenn sie nicht ernst genommen werden. „Glutenfrei ist kein Problem“, sagte mir so schon der Inhaber eines Salatladens. Sein Mitarbeiter aber reichte einem anderen Gast eine Scheibe Brot, griff anschließend mit demselben Handschuh in meinen Salat und verteilte dort die Brotkrümel. Für Zölis nicht mehr geeignet.

Selbst in der Pommesbude ist es schief gegangen. Bei mehreren Soßen wurden die Inhaltsstoffe verändert, die Allergenliste aber wurde nicht angepasst. Eine glutenhaltige Soße landete auf meinen Pommes. Zum Trost gab es Gutscheine – die habe ich verschenkt.

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Glutenfreie Produkte sind teuer

Die Flexibilität, sich spontan Essen holen zu können, ist mit der Krankheit Zöliakie dahin. Stattdessen recherchiere ich vor jedem Ausflug und vor jeder Reise mögliche Restaurants, um mir Stress zu ersparen.

Die nächsten beiden Restaurants, die auf Zölis spezialisiert sind und ausschließlich glutenfreie Speisen anbieten, sind in Düsseldorf-Benrath und in Rheinberg. Das ist eine ziemliche Strecke, nur fürs Essen. Doch vor Ort trifft man genug andere Betroffene, die noch viel weitere Strecken auf sich genommen haben, nur um einmal sorgenfrei auswärts zu essen. In ländlicheren Teilen Deutschlands ist das Angebot oft noch kleiner.

Dass man nicht allein ist, merkt man auch auf Facebook. Im „Zöliakie Austausch“, einer Selbsthilfegruppe mit mehr als 45.000 Mitgliedern, ähneln sich die Geschichten. Bei vielen dauerte die Arzt-Odyssee bis zur Diagnose mehrere Jahre, Symptome wurden nicht ernst genommen.

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Traurig sind die Erfahrungen, die einige Familien sammeln müssen. So schreiben Eltern davon, wie ihre Kinder ausgegrenzt und nicht zum Kindergeburtstag eingeladen werden, obwohl sie glutenfreies Essen mitnehmen würden. Oder von der Klassenfahrt, wo das Kind einen zusätzlichen Koffer mitnehmen muss, mit Verpflegung für die ganze Woche, da die Unterkunft keine glutenfreie Kost anbietet.

Hinzu kommt das Problem, dass glutenfreie Austauschprodukte teurer sind. Fünf große Scheiben glutenfreies Brot kosten beim verbreitetsten Anbieter über drei Euro. Auch andere Produkte wie Kekse, Pizzaböden, Bagels oder Wraps kosten in der Regel mindestens das Doppelte. Eine Familie mit mehreren Zöli-Kindern wird sie sich dauerhaft kaum leisten können.

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Wie einfach es sein könnte, merken Zölis, die in Metropolen in Spanien oder Italien Urlaub machen. Dort gibt es häufig glutenfreie Restaurants, günstigere Angebote im Supermarkt und mit „glutenfrei“ kann fast jeder etwas anfangen. Man kann nur hoffen, dass es bei uns in einigen Jahren auch so sein wird.

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.