Berlin. Inzidenz, Abwasser-Analysen, Intensivbetten: Wir erklären, welche Corona-Zahlen noch erhoben werden und was die Daten aussagen.

Aufwachen, Kaffee kochen, Corona-Zahlen checken – so begann der Tag für Millionen Deutsche in der Hochphase der Pandemie. Die offiziellen Meldezahlen kamen jeden Morgen frisch und lieferten solide Orientierung. Und jetzt? Wo findet man zuverlässige Zahlen zur aktuellen Verbreitung des Coronavirus?

Corona-Lage: "Wir wissen aktuell weniger als früher"

"Wir erleben keinen Blindflug, aber eine Untererfassung der Infektionslage" sagt Johannes Nießen, Leiter des Kölner Gesundheitsamtes und Vorsitzender der deutschen Amtsärzte. "Wir wissen aktuell weniger über die Corona-Lage als wir früher zu Hochzeiten der Pandemie wussten." Viele Menschen testen sich nicht mehr, die Zahl der laborbestätigten PCR-Tests ist stark zurückgegangen. Im Moment kann sich das Land leisten, wenig über die Virusverbreitung zu wissen. Aber: "Es wäre jetzt falsch, die Aufmerksamkeit für Corona zu verlieren. Sollte sich zeigen, dass die Infektionslage, etwa durch eine Virusvariante, wieder kritischer wird, muss man reagieren können", mahnt Nießen.

Daten zum Virus findet man im Pandemieradar des Bundesgesundheitsministeriums – erreichbar über die Corona-Warn-App oder über den Browser. Etwas umständlicher zu finden sind nach wie vor die Wochenberichte des Robert Koch-Instituts (RKI) auf dessen Webseite. Eine weitere Quelle ist das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Doch was findet man wo – und wie zuverlässig sind die Daten? Eine Übersicht:

Offizielle Meldezahlen

Corona hat inzwischen den Status einer Grippe: Ärzte müssen Corona-Infektionen zwar nach wie vor melden – doch nur ein Bruchteil der Corona-Patienten geht überhaupt zum Arzt, viele positive Ergebnisse von Antigentests gelangen nie in die Statistik, das RKI veröffentlicht ohnehin nur die Ergebnisse positiver PCR-Tests. Die offizielle Inzidenz beruht weiterhin auf den RKI-Meldezahlen, doch die Aussagekraft ist extrem begrenzt. In der 38. Kalenderwoche (bis 24. September) wurden bislang 7918 laborbestätigte Covid-19 Fälle an das RKI übermittelt, in der Vorwoche waren es 7788 Fälle. In dessen jüngsten ARE-Wochenbericht ("Aktuelles zu akuten respiratorischen Erkrankungen"), der auf der Webseite des Instituts veröffentlicht ist, heißt es: Die Zahl der Covid-19 Erkrankungen nehme ausgehend von einem niedrigen Sommerniveau seit zehn Wochen wieder zu. Allerdings scheine sich die Dynamik gerade etwas zu verlangsamen.

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Arztbesuche wegen Corona

Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Beurteilung der Infektionslage sind die Arztbesuche: Bundesweit bis zu 350 Hausarztpraxen melden jede Woche die Zahl der Patienten, die wegen einer neu aufgetretenen akuten Atemwegserkrankung mit Covid-19 zu ihnen kamen. Die Daten ermöglichen auch Aussagen über die betroffenen Altersgruppen: Zuletzt lag die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung bei 56 je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner und damit leicht niedriger als in der Vorwoche. In der Altersgruppe 15 bis 34 lag der Wert aktuell mit 80 am höchsten. Dieser Wert ist damit seit der Vorwoche (77) gestiegen. Die Trends bei den Arztbesuchen werden im Pandemieradar veröffentlicht.

Viruslast im Abwasser

Infektionserreger lassen sich im Abwasser nachweisen. Wasseranalysen aus Kläranlagen geben Hinweise auf die Viruslast in einer Region. In der Pandemie wurde diese Methode zunächst an rund 20 Standorten erprobt, inzwischen sind es rund 75. Die teilnehmenden Standorte übermitteln die Daten an das Umweltbundesamt. Dort werden die Daten geprüft und wöchentlich dem RKI übermittelt. Die abwasserbasierte Virus-Überwachung ist noch im Aufbau, aktuell ist die Auswahl der Standorte noch nicht repräsentativ für Deutschland. Zudem liefern nicht alle Standorte regelmäßig frische Daten.

"Abwasserdaten sind nach aktuellem Stand noch mit Vorsicht zu interpretieren", heißt es beim Bundesgesundheitsministerium, die ermittelten Werte können durch eine Vielzahl von Faktoren wie zum Beispiel Starkregen beeinflusst werden. Es gibt zudem große Differenzen zwischen den Daten im RKI-Wochenbericht und den Daten auf der Seite des Pandemie-Radars. Die Ursache: Durch Nachmeldungen aktualisiert sich das Radar immer weiter – der RKI-Bericht dagegen misst immer den Stand am Wochenanfang.

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Intensivbetten

Die Auslastung der Kliniken war in der Pandemie ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung der Infektionswellen. Aktuell erfasst das DIVI-Intensivregister jeden Tag die freien und belegten Betten in der Intensivmedizin von etwa 1.300 Krankenhäusern in Deutschland – darunter auch die aktuellen Fallzahlen intensivmedizinisch behandelter Corona-Patienten. Zuletzt waren es knapp 240 Patienten – ein Drittel davon wurde laut DIVI wegen einer Covid-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt, alle anderen wurden ursprünglich aus anderen Gründen behandelt, wurden aber positiv auf Corona getestet. In der Hochphase der Pandemie waren es über 5000 Corona-Intensivpatienten. Der DIVI-Tagesreport wurde Mitte Juli eingestellt, die tagesaktuellen Zeitreihen sind aber nach wie vor abrufbar.

Fazit: So ist die aktuelle Lage zu bewerten

Im Moment ist die Lage nach allen verfügbaren Daten vergleichsweise gut. Amtsärzte-Chef Nießen aber mahnt: "Wenn sich die Lage wieder verschärft, brauchen wir wieder deutlich mehr Testungen, um ein solides Bild zu bekommen."