Berlin. Der Ukraine stehen langwierige und harte Kämpfe mit hohen Verlusten bevor, sagt Militärexperte Masala. Doch sie taktiere geschickt.

Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.

Herr Professor Masala, kann die Offensive der Ukrainer die Wende im Krieg bringen?

Carlo Masala: Das ist offen. Was sie bringen kann, wenn sie erfolgreich ist, ist eine Trennung der südlichen von der östlichen Front. Ob das dann auch eine Wende im russischen Denken über die Frage der Fortführung der militärischen Operation nach sich ziehen wird, werden wir sehen.

Wo erwarten Sie den Großangriff der Ukraine?

Masala: Wo er erfolgt, lässt sich nicht sicher sagen, weil die Ukrainer derzeit sehr geschickt auf drei Hauptachsen vorgehen. Nach meiner Einschätzung wird der Hauptangriff im Süden erfolgen, nicht im Osten, das dient eher dem Binden der Kräfte. Nicht auf der Krim, das wäre ein zu schwieriges Unterfangen. Also eher im Süden bei Saporischschja und Melitopol – runter zum Asowschen Meer. Das wäre meine Vermutung. Sicher ist: Es werden harte und langwierige Kämpfe werden.

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Waren die ukrainischen Verluste bisher höher als erwartet?

Masala: Die Ukraine greift an, da sind die Verluste immer hoch. Sie hat auch nicht die notwendige Personalstärke in einem Verhältnis drei oder vier zu eins, die man eigentlich für einen Angriff braucht. In der Verteidigung ist man im Vorteil. Wie hoch die Verluste sind, kann man nicht genau sagen. Die Ukrainer melden nichts, wir sind auf Verlautbarungen aus Russland angewiesen und die sind immer mit der Propaganda behaftet. Dass die Ukrainer Verluste erleiden, möglicherweise auch hohe, das liegt in der Natur des Angriffs.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Wie bewerten Sie die ersten Erfolge der Ukraine?

Masala: Wir sehen, dass die Ukrainer, die vor ein paar Tagen ihre Offensive relativ schlecht angefangen haben, jetzt besser vorgehen. Und wir sehen auch, dass vor allem im Süden und Südosten die russischen Verteidigungslinien nicht so hart sind, wie wir geglaubt haben. Denn die Ukrainer gehen taktisch sehr klug vor. Die Frage ist jetzt, ob sie aus diesen taktischen Erfolgen auch einen operativen Erfolg erzielen.

Was verrät diese Offensive über die Schwächen der russischen Armee? Offenbar wurde erneut ein kleiner Staudamm in der Donezk-Region gesprengt, um die Offensive aufzuhalten.

Masala: Das verrät erstmal noch nichts. Die Russen verteidigen sich. Gebiete zu überfluten, gehört mit zu den Verteidigungstaktiken.

Bekommt die Ukraine jetzt alle Hilfe, die sie braucht?

Masala: In ein paar Monaten werden die F-16-Flugzeuge kommen. Die USA haben gerade erst ein neues Paket angekündigt, mit dem sie Munition für Himars, Bradleys und Stryker nachliefern. Es wäre sicher hilfreich, wenn die Ukrainer auch Kurzstreckenraketen mit längerer Reichweite bekommen könnten, aber letztlich hat die Ukraine fast alles, was sie braucht. Da die Entscheidung über die Flugzeuge relativ spät kam, dauert das jetzt noch etwas, weil die Piloten ausgebildet werden müssen.

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