Ramstein. Die US-Amerikaner haben Zehntausende aus dem Afghanistan der Taliban gerettet. Am Militärflughafen Ramstein warten sie auf den Flug in die USA.

Der Mann mit den rötlichen Locken, dem Dreitagebart und dem karierten Jackett lehnt sich an den Zaun, nestelt unter seinem langen, olivbraunen Hemd einen eingeschweißten Ausweis hervor. „Ich habe zehn Jahre für die US-Armee gearbeitet und für andere Ausländer“, sagt Ali John Atif, 48, in das Gewirr von Stimmen und Kindergeschrei hinein. Er sei in Kandahar im Einsatz gewesen, der Taliban-Hochburg im Süden Afghanistans, in der Hauptstadt Kabul und andernorts.

Seine Augen sind rotunterlaufen vor Müdigkeit, es liegen harte Tage hinter ihm, so wie hinter all den Hunderten, mit denen er in den Gitter-Verschlägen im Hangar 5 auf den Flug in die USA wartet. „Leider war alles umsonst“, sagt Atif, „aber zum Glück kommen wir nach Hause.“ Sein Zuhause, das ist ein kleiner Ort im San Bernardino County in Kalifornien. Von draußen vom Vorfeld der Air Base Ramstein wabert das grollende Geräusch laufender Turbinen in die riesige Halle, es klingt wie eine Verheißung.

Der amerikanische Militärflughafen nahe dem rheinland-pfälzischen Kaiserslautern ist die größte Einrichtung der amerikanischen Luftwaffe jenseits der USA, fast 10.000 Soldaten sind hier stationiert. Ramstein spielt eine Schlüsselrolle beim US-Drohnenkrieg, dem in den vergangenen Jahren neben Terroristen und feindlichen Kämpfern auch Hunderte Zivilisten in Afghanistan zum Opfer fielen. Der Militärflugplatz dient als Relaisstation, die die Daten der fliegenden Kampfmaschinen von ihren Einsatzgebiet im Nahen und Mittleren Osten empfängt und an die Piloten in den USA übermittelt, Spezialisten werten hier Drohnenaufnahmen aus.

Der Flughafen war Dreh- und Angelpunkt für die US-Soldaten, die an den Hindukusch geschickt wurden oder aus Afghanistan zurückkamen, auch für die im Einsatz verwundeten, die im nahen US-Militärkrankenhaus in Landstuhl erstversorgt wurden. Jetzt wird in Ramstein das letzte Kapitel des längsten Krieges der USA geschrieben. Für Tausende Menschen ist der Flughafen jetzt die letzte Zwischenstation ihrer Flucht aus Afghanistan.

Geflüchtete aus Afghanistan wartenuf der Ramstein Air Base. Von hier aus werden die Menschen überwiegend in die USA geflogen. 
Geflüchtete aus Afghanistan wartenuf der Ramstein Air Base. Von hier aus werden die Menschen überwiegend in die USA geflogen.  © Funke Foto Services | Ralf Rottmann

Wenige Meter hinter dem Eingang des Flughafens, dem Westgate, sind die ersten erdbraunen halbrunden Zelte an einer großen Halle zu sehen. Das ist das „Joint Mobility Processing Center“, in dem die Neuankömmlinge das erste Mal durchgecheckt werden. Auch nach dem Ende der Luftbrücke, die eilends nach der Machtübernahme der Taliban vor zwei Wochen eingerichtet wurde, kommen noch immer regelmäßig Flüge vom Militärstützpunkt Al-Udeid-in Katar hinein, an Bord Hunderte Menschen, die es hinausgeschafft haben, aus dem Land, das für viele von ihnen die Heimat war, für andere der Ort, an dem sie für die Amerikaner gearbeitet oder Urlaub gemacht haben.

Mediziner untersuchen ihre Gesundheit, sie werden intensiv befragt, ihre biometrischen Daten werden erfasst, Fingerabdrücke, Gesichtserkennung. In Ramstein sind in diesen Tagen Experten aus etlichen US-Behörden im Einsatz, die Bundespolizei FBI, der Heimatschutz, verschiedene Geheimdienste. „Alle werden identifiziert. Wir sorgen dafür, dass jeder Evakuierte sicher ist, dass Deutschland sicher ist und dass die Rückflüge sicher sind“, sagt Andy Halus, Sprecher des Frankfurter US-Generalkonsulats.

13.000 wurden schon aus Ramstein ausgeflogen

Ob sie schon Leute hatten, die durch die Sicherheitschecks durchgefallen sind? „Mir sind solche Fälle nicht bekannt“, sagt Halus. Was mit Menschen geschehe, die durch die Checks fallen? Zurück nach Afghanistan? „Das sind Spekulationen.“ In Deutschland werden solche Leute nach offizieller Lesart nicht bleiben. Vereinbart sei aber, „dass die USA deutsche Staatsangehörige und Personen, die für eine spätere Aufnahme in Deutschland vorgesehen sind, auf ihren Evakuierungsflügen nach Ramstein mitnehmen“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt.

In der Nähe des Vorfelds stehen Hunderte der erdbraunen Zelte in langen Reihen, umgeben von Zäunen, auf denen Wäsche hängt. Männer in traditioneller afghanischer Kleidung hocken auf dem Boden, stehen in kleinen Gruppen, unterhalten sich. Die Frauen und Kinder sind in den Hangars dahinter untergebracht. Es war eine logistische Herausforderung, diese Kleinstadt aus dem Boden zu stampfen. „Wir versorgen die Menschen mit 30.000 Mahlzeiten am Tag“, erklärt Major Dustin Dere, der militärische Leiter der Operation.

13.000 Menschen haben sie von hier aus bereits herausgeflogen, fast 15.000 warten noch auf ihre Weiterreise. Weil der Platz auf dem Flughafen eng wird, haben sie bereits rund 3000 Menschen in den „Rhine Ordnance Barracks“ untergebracht, einer US-Kaserne im nahen Kaiserslautern.

Die Taliban ließen die Geretteten passieren

Auf dem Vorfeld wartet ein gutes Dutzend grauer C17 auf diejenigen, die überprüft worden sind, vierstrahlige Militärtransporter von Boeing, dazu eine Maschine der US-Fluggesellschaft Delta. Jeden Tag gehen bis zu einem Dutzend Flüge raus. Der Hangar 5 ist zu einer Art Terminal umgebaut worden. In der großen Halle patrouillieren Militärpolizisten in Flecktarn mit blauen Westen zwischen den Gitterverschlägen, in die sie Stühle gestellt haben.

Viele Menschen sitzen, kauern, schlafen auf Decken auf dem Betonboden. Sie wirken müde, ausgelaugt. Männer, Frauen, viele Kinder, umringt von Plastiktüten, Koffern, in denen sich für die meisten die Reste ihres bisherigen Lebens befinden. Für andere ist es ihr Urlaubsgepäck gewesen, so wie für Abdullah Latif und seine Verwandten.

Geflüchtete aus Afghanistan warten auf der Ramstein Air Base. Von hier aus werden die Menschen überwiegend in die USA geflogen. 
Geflüchtete aus Afghanistan warten auf der Ramstein Air Base. Von hier aus werden die Menschen überwiegend in die USA geflogen.  © Funke Foto Services | Ralf Rottmann

Der junge Mann mit dem langen schwarzen, mit goldenen Stickereien versehenen Hemd, und den zu kleinen Zöpfen geflochtenen Haaren, stammt aus dem kalifornischen Sacramento, er hat eine Green-Card. „Ich habe mit einer Frau und der Familie meines Bruders Verwandte in Kabul besucht“, erzählt er. Von der Machtübernahme der Taliban wurden sie wie so viele andere hier völlig überrascht.

„Wir haben dann ständig mit der US-Botschaft telefoniert, aber wir sind in den ersten Tagen nicht in den Flughafen in Kabul gekommen, da war soviel Chaos.“ Kurz vor dem Ende der Luftbrücke in der Nacht auf den 31. August schafften sie es. „Wir mussten durch einen Check-Point der Taliban durch, ich hatte wahnsinnige Angst, aber sie haben nur meine Dokumente geprüft und mir gesagt, dass ich dumm sei, nach Amerika zu wollen.“ Mit einem der letzten Flugzeuge kamen sie hinaus.

Latif hat eine Nacht in Ramstein verbracht. „Ich verstehe nicht, dass wir genauso behandelt werden, wie die anderen afghanischen Leute, ich habe doch eine Green-Card, mein Bruder ist amerikanischer Staatsbürger. Wir haben doch schon eine Sicherheitsüberprüfung hinter uns. Wir haben heute lange Zeit nichts zu essen bekommen, erst gerade haben sie uns etwas gebracht.“ Eine resolute Pressesprecherin der Amerikaner interveniert. „Aber Sie sind doch glücklich, dass sie am Leben sind?“, fragt sie scharf. „Ja“, antwortet Abdullah rasch, „wir sind sehr dankbar.“

Im Angesicht der historischen Niederlage in Afghanistan wollen sie zumindest hier nur gute Nachrichten produzieren. „Das ist eine humanitäre Mission, wir retten Leben“, sagt Colonel Adrienne Williams, Kommandeurin des 521st Air Mobility Operations Wing, der in Ramstein stationierten Einheit, die die Evakuierungsflüge durchführt. Sie ist seit 25 Jahren bei der Truppe. „So etwas habe ich in der ganzen Zeit noch nicht erlebt, das ist einfach phänomenal“, sagt sie.

Ein weiß lackierter Blue-Bird-Schulbus hält schnaufend vor dem Hangar. Eine kleine Gruppe steigt ein, Soldaten helfen beim Gepäck. Ein kleiner Junge lehnt sich aus dem Fenster, winkt und lacht.

Next stop USA.