An Rhein und Ruhr. . In Nordrhein-Westfalen treffen die Sanktionen pro Monat rund 32.700 Leistungsempfänger. Wohlfahrtsverbände: „Unangemessen, unsozial“.

Die Wohlfahrtsverbände fordern massive Korrekturen bei Hartz-IV-Sanktionen. In NRW treffen diese Strafen jeden Monat rein rechnerisch rund 32.700 Empfänger von Arbeitslosengeld II, z. B. weil Jobcenter-Termine nicht eingehalten wurden. „Höhe und Umfang der Leistungskürzungen stehen in keiner angemessenen Relation zur Schwere der Verstöße“, sagt Christian Heine-Göttelmann, der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege.

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Portraitaufnahmen von Mitarbeitern der Funke Medien Gruppe am 17.03.2016 in Essen. Im Bild Redakteur Holger Dumke. Foto: Kai Kitschenberg/FUNKE Foto Services
Von Holger Dumke (h.dumke@nrz.de)

Insgesamt 222.831 Sanktionen verhängten die Jobcenter in NRW im vergangenen Jahr neu. Die Zahl schwankt immer wieder, gegenüber 2016 stieg sie um 1649. Die Wohlfahrtsverbände, die gestern ihren Arbeitslosenreport vorlegten, kritisieren, dass 80% dieser Sanktionen auf bloße Meldeverstöße entfallen und nicht etwa auf die Ablehnung einer Arbeit. Zudem treffen die Strafen nach der Erfahrung von Caritas, Diakonie, Paritätischem & Co. häufig Suchtkranke oder psychisch Beeinträchtigte.

Christian Heine-Göttelmann, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW,
Christian Heine-Göttelmann, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW, © Lukas Schulze

In der Politik wird bereits seit geraumer Zeit über Korrekturen diskutiert, noch im laufenden Jahr wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erwartet, ob eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Regelsatz Alleinstehende: 416 Euro). „Es geht hier um nicht weniger als die Würde des Menschen“, mahnt Christian Heine-Göttelmann.

Anreize zur Arbeitsaufnahme

Sofort abgeschafft werden müssen nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände die besonders harten Strafen für junge Langzeitarbeitslose (siehe Box). Der Paritätische NRW will, dass die Sanktionen für alle abgeschafft werden: „Der Staat muss Menschen vor existenzieller Not schützen, nicht sie weiter hineintreiben“, fordert Geschäftsführer Christian Woltering.

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Die Agentur für Arbeit selbst hat bereits deutlich Korrekturen bei den Strafen für junge Arbeitslose angeregt. Es bestehe die Gefahr, dass man diese gar nicht mehr erreiche, weil diese schlicht nicht melden. „Wer sich aus dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zurückzieht, verpasst es, in einem wichtigen Lebensabschnitt die Weichen zu stellen“, so ein Sprecher. Arbeitsmarktforscher halten die Sanktionen aber grundsätzlich für geeignet, Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen, sehen gleichwohl negative Begleiterscheinungen.

Die Arbeitsagentur verweist zudem darauf, dass die verhängten Sanktionen nur 2,7% der Leistungsberechtigten in NRW betreffen, damit liege man unter dem Bundesdurchschnitt. Ein SMS-Erinnerungsservice soll helfen die Zahl der Meldeversäumnisse künftig etwas geringer ausfallen zulassen.

HINTERGRUND: HARTZ-IV-SANKTIONEN

Wird ein Termin im Jobcenter ohne Entschuldigung nicht eingehalten, gibt es 10% weniger Arbeitslosengeld II. Bei schwereren Pflichtverletzungen, z.B. wenn eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung nicht aufgenommen wird, muss das Geld für drei Monate um 30% gekürzt werden. Kommt es währenddessen zur zweiten Regelverletzung, wird um 60%, bei einem dritten Verstoß um 100% gekürzt. Es können Lebensmittelgutscheine beantragt werden.

Bei jungen Menschen unter 25 Jahren ist das Gesetz strenger: Beim ersten Verstoß wird bis auf die Miete gekürzt, beim zweiten wird auch die Mietzahlung für drei Monate eingestellt. Für die Miete ist im Einzelfall ein Darlehen möglich.