Berlin. Auch im 17. Bundestag gilt: Wer zuerst kommt, kriegt die besten Sitze im Plenum. Ob der Bundestag aber auch ein getreues Spiegelbild der Bevölkerung ist? Was die Nachnamen betrifft: Ja. Müller und Schmidt kommen am häufigsten vor. Was die soziale Schichtung angeht? Klar nein.

Unter der großen Reichstags-Kuppel geht es in diesen Tagen zu wie am ersten Schultag. Die Sitze in den beiden vorderen Reihen werden verteilt. Die Schränke werden eingeräumt, die Passworte für den (parlamentseigenen) PC ausgesucht. Die Fraktionsführungen erklären, wie der Stundenplan aussieht mit Fraktionsvorstandssitzungen, Fraktionssitzungen, Ausschuss-Beratungen und den ersten, zweiten und dritten Lesungen. Eben: Wie die Gesetzesmaschine so funktioniert.

202 Abgeordnete, ein Drittel, hören diesmal genau zu. Sie sind die Neulinge in Berlin. Sie lernen, dass keineswegs jeder seinen eigenen Platz im Plenum hat.

Vorne sitzen wie immer die Promis

Seit Anfang der 90er-Jahre, seit dem Umzug ins provisorische Bonner „Wasserwerk”, sind nur noch die ersten Reihen fest mit einem Namensschild vergeben. Dort sitzen, perfekt im Sichtfeld der Kamera-Objektive, die Promis. Alle anderen Sessel werden bei jeder Sitzung neu vergeben, wie die Liegestühle auf Mallorca und frei nach Gorbatschow: Wer zu spät kommt, muss auf die Hinterbank. Schließlich haben 622 Abgeordnete Platz zu finden. 622 - das klingt so gewaltig, wie die Glaswölbung über ihnen spektakulär ist.

Doch Deutschlands Parlament ist in Wahrheit ein sparsames Arbeitsparlament. Michael Feldkamp, Bundestags-Historiker, hat es mit anderen Volksvertretungen verglichen. Er hat ausgerechnet: Jeder Abgeordnete vertritt 134 000 Einwohner. Damit ist die zu betreuende Klientel groß wie nirgendwo sonst in der EU. Malta leistet sich einen Abgeordneten pro 6231 Malteserà.

Ob der Bundestag aber auch ein getreues Spiegelbild der Bevölkerung ist? Was die Nachnamen betrifft: Ja. Müller und Schmidt kommen am häufigsten vor. Was die soziale Schichtung angeht? Klar nein.

„Die Zusammensetzung spiegelt weder nach Beruf noch nach Alter noch nach Geschlecht die Verteilung in der Bevölkerung auch nur annähernd wieder”, findet Feldkamp, der über seinen Arbeitsplatz am Spreeufer ein Buch schrieb („Der Deutsche Bundestag - 100 Fragen und Antworten”, Nomos Verlag). Das galt schon immer und auch jetzt für die 17. Wahlperiode seit 1949.

Das Geschlecht. Draußen im Land haben die Frauen die knappe absolute Mehrheit. Die im Parlament ist zu zwei Dritteln männlich: 67 zu 33 Prozent. Nur bei Grünen und Linken dominieren Frauen. Immerhin hat sich das Geschlechter-Verhältnis schon wesentlich verändert. In der sechsten Wahlperiode von 1969 bis 1972 lag der weibliche Anteil bei gerade 6,2 Prozent.

Die Berufe. 24 Prozent der Abgeordneten (147 genau) sind Juristen, 21 Prozent Beamte, 124 tragen einen Doktortitel und fünf sind Professor. Zwölf geben als Beruf Handwerker oder Arbeiter an, drei Hausfrau. Die Welt jenseits der Bannmeile ist anders zusammengesetzt.

Das Alter. Machte Alter wirklich weise, müssten sich die Deutschen glücklich schätzen. Der neugewählte Bundestag ist ein altes Parlament. 53 Prozent seiner Mitglieder sind zwischen 45 und 59 Jahre alt, weitere 17 Prozent noch älter. Nur jeder zehnte ist unter 30. Zumindest haben die Jungen so einen Vorteil: Eine Riesenauswahl erfahrener Kolleginnen und Kollegen, die sie als Paten nehmen dürfen. Wie Florian Bernschneider, FDP. Er ist der jüngste, gerade 22, studiert noch Betriebswirtschaft. Parteifreund Patrick Döhring betreut ihn, der in den Koalitionsverhandlungen für die Bereiche Bau und Verkehr eine wichtige Rolle spielt. Bernschneider sitzt bei Döhring im Büro und bekommt so die ersten Arbeitswochen mit.

Der Erfahrenste

Der Erfahrenste - an Lebens- wie Parlamentsjahren - ist Heinz Riesenhuber, 73. Der CDU-Politiker hat die Oppositionszeiten seiner Partei unter Kanzler Schmidt noch mitgemacht, war Forschungsminister schon im ersten Kabinett Kohl. Jetzt wird er am Dienstag als Alterspräsident die Legislaturperiode eröffnen. Er will „über das sprechen, was mir wichtig ist”. Sie erkennen ihn am Markenzeichen: Fliege statt Schlips. NRZ