Berlin. Ein mächtiger Vulkanausbruch auf Santorini löschte vor 3600 Jahren eine antike Kultur aus. Läuft die Insel auf eine neue Bedrohung zu?
- Beben und ein Vulkanausbruch auf Santorini vor 3600 Jahren vertrieben die Bevölkerung der Minoer
- Auf die Katastrophe könnten mehrere biblische Geschichten zurückgehen
- Zwei Experten erklären, ob sich auf der zerklüfteten Insel Historie wiederholen könnte
Der zerklüftete Berg, der die Insel Santorini im griechischen Mittelmeer bildet, schläft nie. Seit abertausenden Jahren macht sich der Vulkan immer wieder bemerkbar. Mal mehr, mal weniger. Auch aktuell bebt dort die Erde. Das zeigen die derzeitigen seismischen Aktivitäten. Doch der Vulkanausbruch, der die Insel vor rund 3600 Jahren ereilte, ist bislang beispiellos.
Er gestaltete zwar nicht wie lange angenommen die heutige Form der Insel, die einem riesigen Vulkankraterrand ähnelt. Sein Aussehen erhielt Santorini bei einem Ausbruch 23.000 v. Chr. Aber die Eruption von vor 3600 Jahren beendete das gesamte bis dahin florierende menschliche Leben auf der Insel.
Santorini: Kostbare Kulturschätze wurden nach Vulkanausbruch verschüttet
Die sogenannte Kultur der Minoer auf Santorini war ausgelöscht. Nach neuen Erkenntnissen wird das Ende der Minoer auf die Mitte des 16. Jahrhundert v. Chr. datiert – und nicht 1613 v. Chr., wie von Archäologen zunächst angenommen.
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Viele erhalten gebliebene Wandmalereien lassen sie reich, technisch weit entwickelt und durch den Seehandel gut vernetzt erscheinen. In der damals wohl größten Siedlung Akrotiri im Süden der Insel fanden die Archäologen fein gezeichnete Fresken. Sie zeigen zum Beispiel stolze Priesterinnen mit fast transparenten, etwas geöffneten Blusen, kostbarem Volant-Rock, aufwendig gestaltetem Haarzopf und wertvollem Schmuck. Berühmt ist auch das überlebensgroße Fresko eines Boxerpaars, das zwei Jungs mit Boxhandschuhen beim Kampf oder Training zeigt, sowie das in einem intensiven Blau gemalte Bild einer Gruppe von Affen, die damals gar nicht auf der Insel vorkamen, und das riesige Gemälde einer Flottenparade.

Akrotiri wird oft das Pompeji Griechenlands genannt. Die zwei- bis dreistöckigen Gebäude entlang der mit Steinplatten gepflasterten Straßen sind recht gut erhalten. Unter den gut zwei Meter breiten Straßen verlief teils ein kleiner Graben für die Kanalisation.
Entstanden der Mythos von Atlantis und der Sintflut auf Santorini?
Der griechische Archäologe Spyridon Marinatos (1901-1974) startete 1967 die heute noch laufenden Grabungen in der früheren Hafenstadt im Süden Insel. Er hatte schon Jahre vorher die Theorie entwickelt, dass der Untergang der Minoer auf der Insel den Mythos von Atlantis geschaffen haben könnte.
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Die Eruption und der darauffolgende Tsunami könne darüber hinaus die biblische Geschichte der Sintflut inspiriert haben, hieß es häufig. Auch die biblischen Plagen in Ägypten und die Teilung des Roten Meers durch Moses wurden auf den Vulkanausbruch zurückgeführt: Die Vulkanasche in der Atmosphäre wurde mit der Plage gleichgesetzt und der Tsunami mit der Wasserbewegung. Diese Theorien ließen sich jedoch schon wegen der zeitlichen Unterschiede der Ereignisse nicht halten.

Und Atlantis? „Ja, dieser Atlantis-Mythos fasziniert die Leute immer wieder“, sagt der emeritierte Universitätsprofessor Wolf-Dietrich Niemeier, Experte für die Archäologie in der Ägäis. Doch: „Atlantis halte ich für ein Fantasieprodukt von Platon“, so der ehemalige Leiter der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts. Der griechische Philosoph Platon (428-348 v.Chr.) hat in einer seiner Schriften von dem sagenumwobenen Reich berichtet, ohne jedoch zu sagen, wo genau es gelegen haben soll. Seitdem suchen Menschen danach.
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Antike Kultur: Urlaubsinsel Santorini hat faszinierende Geschichte
Laut Niemeier war die Gesellschaft von Akrotiri vor allem geprägt durch die minoische Kultur auf Kreta. Namensgeber der Kultur war Minos – laut griechischer Mythologie ein Sohn des obersten Gottes Zeus und Europa, der Tochter eines phönizischen Königs. Aber Minos war vor allem König von Kreta „und der Erste, der der Überlieferung zufolge eine große Flotte baute und das Ägäische Meer beherrschte“, sagt Niemeier.
„Er beherrschte die meisten der umliegenden Völker, und damit müssen ja die Inseln in der Ägäis sowie die kleinasiatische Küste in der heutigen Türkei gemeint sein – also auch Santorini.“ Akrotiri sei jedoch keine Kolonie von Kreta gewesen, so Niemeier. „Es war im Wesentlichen die einheimische Bevölkerung, die dort gelebt hat und die unter starkem kulturellem und politischem Einfluss der Minoer auf Kreta stand“, sagt er.
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Der Archäologie-Professor Diamantis Panagiotopoulos von der Universität Heidelberg beschreibt Akrotiri als Siedlung, „die sehr potent war und weitreichende Kontakte pflegte“. Die bislang ausgegrabenen Häuser der Siedlung auf Santorini, deren Gesamteinwohnerzahl sich derzeit nicht genau bestimmen lässt und unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 1000 und 9000 Menschen liegen könnte, seien heute „in einem nahezu perfekten Zustand“ erhalten geblieben, nachdem sie von der Vulkanasche verschüttet worden waren. „Man kann tatsächlich in die Gebäude reingehen und über Treppen bis zum zweiten Obergeschoss laufen“, beschreibt Panagiotopoulos.
Archäologie: Das unterscheidet Santorini von Pompeji
Im Gegensatz zu Pompeji gab es jedoch offenbar keine Opfer unter der Bevölkerung. „Man hat kein einziges Skelett gefunden“, sagt Panagiotopoulos, „und nichts, was auf einen menschlichen Körper schließen würde.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Menschen von dem Ausbruch des Vulkans nicht überrascht worden seien. „Die Bevölkerung hatte die Siedlung bereits verlassen“, sagt Panagiotopoulos. Wohin? Wahrscheinlich nach Kreta. „Es gab immer Verbindungen nach Kreta, und das wäre für die Flüchtlinge wohl das erste Ziel gewesen“, sagt Niemeier.
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„Aber was wir vor allem an dem Verhalten sehen – und da befinden wir uns in Verbindung mit der jetzigen seismischen Aktivität in Santorini“, sagt Panagiotopoulos: „Die Bevölkerung war durch eine Reihe von Erdbeben vorgewarnt. Zwar können wir nicht sagen, ob die Beben ein paar Wochen, Monate oder Jahre vorher ereignet hatten. Sicher ist aber: Kurz vor dem Vulkanausbruch gab es ein starkes Erdbeben.“ Danach seien ein paar Truppen noch einmal zurückgekommen, „um alles aufzuräumen und die Schäden zu beseitigen“, so der Professor. Dann erst habe sich der Ausbruch ereignet.
Bevölkerung von Santorini trotz drohender Gefahr nichts gelernt
„Die Leute lebten mit der Gefahr des Erdbebens, und diese Gefahr machte diese Gesellschaft nicht schwächer, sondern meiner Meinung nach stärker“, sagt Panagiotopoulos. „Die Menschen waren gezwungen, Strategien zu entwickeln, die die negativen Folgen von Erdbebenkatastrophen vermindern“, so der Archäologe. Sie hätten die Häuser besser gebaut, mit antiseismischen Maßnahmen, zum Beispiel mit sehr starken Pfeilern und Säulen. Und sie hätten flexibles Holz in den harten Steinkonstruktionen verwendet. „Aber wir haben überhaupt keinen Hinweis darauf, dass man auf einen Vulkanausbruch vorbereitet war, null. Gar nicht.“
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Panagiotopoulos sagt, es gebe Ähnlichkeiten zu heute. „Wir sehen heute eine lokale Gesellschaft, die die eigene Insel ohne Rücksicht auf eine potenzielle Gefahr durch eine exzessive Bautätigkeit ausgebeutet hat.“ Das habe es in der Bronzezeit natürlich nicht gegeben. Aber „jetzt trifft einen die Katastrophe vielleicht völlig unvorbereitet, genauso wie damals.“
Betroffen sind diesmal auch wieder die Hinterlassenschaften der Minoer, zum Beispiel die Wandmalereien. Über Jahre waren viele der Objekte im Nationalmuseum in Athen untergebracht. „Seit 2021 sind die meisten nun in Fira, dem Hauptort auf Santorini, in einem wunderschönen Museum ausgestellt. Und wenn es jetzt irgendwelche stärkeren Eruptionen gibt, fürchte ich natürlich um die Fresken“, sagt Niemeier.
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