Berlin. Österreichische Archäologen fanden das „Heiligste“ einer frühchristlichen Kirche in einem versteckten Marmorquader unter dem Altar.
In Österreich fanden Archäologen vor zwei Jahren in den Überresten einer frühchristlichen Kirche aus dem 5. Jahrhundert einen mysteriösen Gegenstand. Die stark fragmentierte, mit christlichen Symbolen verzierte „Dose“ aus Elfenbein wurde unter einem Altar in einem etwa 20 mal 30 Zentimeter großen Marmorschrein entdeckt. Bei dem Fund aus der Kärtner Gemeinde Irschten soll es sich um eine 1500 Jahre alte Pyxis handeln, die heiligste Reliquie der Kirche. Nun wurde sie erstmals genauer untersucht.
Normalerweise werde, wenn eine Kirche aufgegeben wird, die Pyxis als „Heiligstes“ mitgenommen, heißt es in einem Statement der Forscher von der Uni Innsbruck. In dem zeremoniellen Gefäß wurden wahrscheinlich größtenteils Reliquien, Hostien und Weihrauch aufbewahrt. Warum die Büchse jedoch zurückgelassen wurde, bleibt ein Rätsel. „Weltweit wissen wir von circa 40 derartiger Elfenbeindosen, bei Grabungen ist meines Wissens eine solche zuletzt vor inzwischen rund 100 Jahren gefunden worden“, sagte Gerald Grabherr, der Leiter des Forschungsteams.
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Heilige Elfenbeindose zeigt biblische Gestalten
Die Archäologen führen in Irschten seit 2016 Grabungen an einer spätrömische Höhensiedlungen durch. In dieser Epoche war die offizielle Religion des Römischen Imperiums bereits das Christentum. Die Elfenbeindose sei die erste Pyxis in Österreich, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurde. „Die wenigen Pyxiden, die es gibt, sind entweder in Domschätzen erhalten oder in Museen ausgestellt“, erklärt Grabherr.
Die Verzierungen auf der Pryxis zeigen biblische Gestalten. So ist auf einem Ende ein Mann am Fuß eines Berges dargestellt, der den Blick abwendet und über dem eine Hand aus dem Himmel ragt. Das sei eine typische Darstellung des biblischen Propheten Moses, wie er die Gesetze am Berg Sinai von Gott empfängt. Andere Motive zeigen mehr biblische Motive sowie die Himmelfahrt Christi. Dabei sei die Darstellung von Szenen aus dem Alten Testament typisch für die Spätantike, sagte Grabherr.
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Büchse wurde als Berührungsreliquie behandelt
Zu Beginn glaubten die Archäologen noch, dass sich eine Reliquie, eine Hinterlassenschaft eines oder einer Heiligen, in der Marmorkiste befinden. Doch die Schichtung der Fragmente der Pyxide deute eher darauf hin, dass die Büchse hier alleine bestattet wurde, nachdem sie in der Spätantike bereits zu Bruch gegangen war. „Die Pyxis wurde vermutlich ebenfalls als heilig gesehen und wurde auch so behandelt, sozusagen als Berührungsreliquie. Die archäologische und kunsthistorische Bedeutung der Pyxis ist nicht zu bestreiten“, so Gerald Grabherr.
Das Reliquiar, wie Gefäße für Reliquien genannt werden, sei sehr zerbrechlich und wurde seit dem Fund an der Universität Innsbruck konserviert. „Elfenbein, zumal bodengelagertes Elfenbein wie im Marmorschrein, nimmt die Feuchtigkeit der Umgebung auf und ist in diesem Zustand sehr weich und leicht zu beschädigen“ zitiert das Statement Ulrike Töchterle, die Leiterin der Restaurierungswerkstatt in Innsbruck. „Zudem führt unkontrolliertes Austrocknen schlimmstenfalls zu Schrumpfungen und Rissen und damit zu Schäden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.“
Durch die hohe Luftfeuchtigkeit in der Marmorkiste sei die Gefahr von Kondenswasser- und Schimmelbildung sehr hoch gewesen, sagte Töchterle. Die Forscherin musste für einen sehr behutsamen und längeren Trocknungsprozess sorgen, damit die Pyxide endlich gefahrlos untersucht werden konnte. Weil die größeren Teile verformt seien, könne die Büchse nicht mehr in ihren Originalzustand zusammengesetzt werden. Jetzt werde an einer 3D-Rekonstruktion gearbeitet.
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Römische Höhensiedlung wurde fluchtartig verlassen
Die spätrömische Siedlung im Kärnter Irschten wurde im Jahr 610 von ihren Bewohnern verlassen und war über Jahrhunderte bis zur Entdeckung durch die Archäologen in Vergessenheit geraten. Seit 2016 gruben die Forscher auf einem Hektar persönliche Gegenstände, mehrere Wohnhäuser, zwei christliche Kirchen und eine Zisterne aus.
Der Archäologe Gerald Grabherr beschreibt in dem Statement die bewegte Epoche der Siedlung: „Gegen Ende des Römischen Reichs wurden die Zeiten unsicherer, vor allem in den Randprovinzen des Reichs, also auch dem Gebiet des heutigen Österreichs. Deshalb gründen die Bewohner:innen ab etwa dem 4. Jahrhundert zunehmend Siedlungen auf Hügeln, die sich besser verteidigen lassen, und verlassen den Talboden.“ Im Jahr 610 gewannen slawische Volksstämme eine große Schlacht in der Region und beendeten die Zugehörigkeit der Region zum Christentum und zum Mittelmeer.