Berlin. Tobias Schlegl spricht über sein Leben als Rettungssanitäter. Über Momente, die schwer zu ertragen sind – und wie er Hilfe bekam.
Besser geht es nicht: Mit 18 Jahren Viva-Moderator, mit 24 eine eigene Show bei Pro7 – schon früh wurde Tobias Schlegl zum Fernsehgesicht. Er moderierte Magazine wie „extra 3“ im NDR oder „aspekte“ im ZDF. Es lief richtig gut für ihn. Doch 2016 beendete der Moderator Knall auf Fall seine Medienkarriere. Kurz vor seinem 39. Geburtstag überraschte er die Öffentlichkeit mit einem spektakulären Jobwechsel: Der erfolgreiche Medienmensch entschied sich für die Ausbildung zum Rettungssanitäter. Über seine Erlebnisse berichtet Schlegl (45) jetzt in seinem neuen Roman „Strom“ (Piper) – eine persönliche Schilderung über psychische Belastungen in unserem Gesundheitssystem.
Über diese Belastungen, psychische Ausnahmesituationen, spricht Schlegl auch mit uns. Er erzählt, wie ihn der Tod eines Kindes bei einem Einsatz tief erschütterte. Wie er Hilfe bekam, weil ein aufmerksamer Kollege merkte, dass er nicht mehr konnte. Und über die Tränen auf der Demenzstation, wenn ein Mensch, der einem ans Herz gewachsen ist, am Morgen plötzlich nicht mehr da ist.
Vom Moderator zum Notfallsanitäter, wie kam es zu der beruflichen Veränderung?
Tobias Schlegl: Ich war ja sehr früh Reporter und Moderator. Schon mit 17 Jahren. Und habe viele interessante Leute interviewt. Irgendwann stellte sich mir die Frage: Was mache ich eigentlich selbst Interessantes. Und es entstand das Bedürfnis, etwas wirklich Sinnvolles zu tun.
Tobias Schlegl: „Ich wollte etwas mit Verantwortung machen“
Was schwebte Ihnen vor?
Schlegl: Ich habe eine Liste gemacht. Da fanden sich Berufe wie Arzt, Lehrer oder Bauer. Aber dann kam ich auf den Notfall-Sanitäter, also „Chef“ auf dem Rettungswagen. Ich wollte etwas mit Verantwortung machen.
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Also eine ganz neue Erfahrung. Und ja auch finanziell eine Herausforderung, erstmal drei Jahre eine Ausbildung zu machen.
Schlegl: Auf jeden Fall. Ich habe aber immer sparsam gelebt und hatte mir ein finanzielles Polster angefressen. Das habe ich dann auch komplett aufgebraucht.
In Ihrem ersten Buch „Schockraum“ haben Sie über die hohen psychischen Belastungen geschrieben bis hin zur Posttraumatischen Belastungsstörung. Wie haben Sie es selbst erlebt?
Schlegl: Es gab durchaus auch für mich Momente, die ich als schwere akute Belastung wahrgenommen haben. Diese ständige Konfrontation mit dem Tod, war in manchen Situationen schwer auszuhalten.
Erinnern Sie sich an einen Vorfall, der besonders schlimm war?
Schlegl: Als ich erleben musste, wie trotz aller Bemühungen ein Kind nicht überlebte, war ich schwer erschüttert. Ich war ja angetreten, um Menschen zu helfen. Ich wollte gegen den Tod arbeiten. Aber vielen Menschen kann man nicht mehr helfen. Es ist leider so, viele Reanimationen sind erfolglos. Das musste ich begreifen lernen, was sehr, sehr schwer war.
Gesundheitswesen: Pflegepersonal braucht mehr Unterstützung
Gab es Momente, in denen Sie nicht mehr weitermachen wollten?
Schlegl: Ja, die gab es. Und wenn mir nicht das Kriseninterventionsteam geholfen hätte, weiß ich nicht, wie ich das überstanden hätte.
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Ein professionelles Gesprächsangebot, das ist selten – gab es dieses Team vor Ort?
Schlegl: Das ist der Knackpunkt: Es war ein aufmerksamer Kollege, der mitbekommen hat, wie es mir geht, und der sich an das Kriseninterventionsteam gewandt hat mit der Botschaft: „Dieser Mann braucht Hilfe. Der kann gerade nicht mehr.“ Diese Hilfe gibt es aber nicht automatisch. Und das ist etwas, was ich stark bemängele in unserem System.
Sie wünschen sich, dass Notfallsanitäter und Pflegekräfte besser unterstützt werden?
Schlegl: Auf jeden Fall. Das ist dringend nötig. Es muss ein Gesprächsangebot geben, eine verbindliche Supervision. Mindestens einmal im Monat. Das muss in den Dienstplan eingetragen werden und als Arbeitszeit gelten. Wenn das Personal, das ja schon unter schwierigen Bedingungen arbeitet, mit den existenziellen Themen über Sterben und Tod allein gelassen wird, droht Gefahr, dass die Betroffenen psychisch erkranken oder nicht lange in dem Beruf bleiben. Letztlich birgt das aber auch eine Gefahr für die Patientensicherheit, wenn das Pflegepersonal unter so hohem Druck steht.
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Wie haben Sie sich genau gefühlt, als sie psychisch so extrem belastet waren?
Schlegl: Ich hatte das Gefühl, dass ich im Wortsinn ver-rückt war. Ich stand sozusagen neben mir. Und beobachtete mich selbst von oben. Ich fühlte mich wie taub. Und das konnten die Menschen vom Kriseninterventionsteam einordnen und mir sagen: „Du bist nicht verrückt. Das ist ganz normal. Das ist eine ganz normale Reaktion deines Körpers.“ Das hat mir extrem geholfen. Heute bin ich übrigens selbst Mitglied des Kriseninterventionsteams und kann Menschen zur Seite stehen.
„Es gibt keine offene Fehlerkultur“
Man denkt bei dem seelischen Druck, auch durch die Konfrontation mit Sterben und Tod, an schlimme Vorfälle in Klinken. Auch an so jemanden wie den Todespfleger Niels Högel.
Schlegl: Ich habe in meinem neuen Roman „Strom“ über eine Persönlichkeit geschrieben, die sehr labil und narzisstisch veranlagt ist. Wenn so jemand in einem Beruf landet, in denen die Strukturen so sind, wie sie sind, in denen die Kommunikation fehlt, in dem es keine offene Fehlerkultur gibt, dann kann von so jemanden schon eine Gefahr ausgehen.
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Meinen Sie, dass Högel, der ja wegen Mordes in mehr als 80 Fällen schuldig gesprochen wurde, ein Einzelfall ist?
Schlegl: Nein, er war keinesfalls ein Einzelfall. Im Gegenteil. Diese Taten passieren immer noch. Weltweit. Und es gibt eine große Dunkelziffer. Ich bin übrigens extrem irritiert darüber, dass nach der größten Mordserie der Nachkriegszeit so wenig verändert wurde in den Kliniken, was Transparenz, Gesprächs- und Fehlerkultur angeht.
Ihr neuer Roman „Strom“ spielt auf einer Demenz-Station. Wie kamen Sie auf dieses Gebiet?
Schlegl: In meiner Ausbildung bin ich sozusagen durch fast alle Klinik-Stationen gewandert. Und auf der Demenzstation habe ich viele eindrucksvolle Momente erlebt. Es gab dort einen Herrn, der mir sehr ans Herz gewachsen war. Ich habe ihn länger begleitet. Und dann, eines Morgens, war er tot. Ich sah das weiße Laken über ihm und fing an zu weinen. Ich war tief erschüttert. Ich habe hier sehr viele Schicksale erlebt, die mich bewegt haben.
Beruf Krankenpfleger: Hingabe ist bewundernswert
Diese Betroffenheit und Empathiefähigkeit findet man im Gegensatz zu vielen Berichten sehr oft beim Pflegepersonal.
Schlegl: Auf jeden Fall. Das sind wundervolle Menschen, die Tag für Tag Übermenschliches leisten und so viel verarbeiten müssen. Und immer mit dem Tod konfrontiert sind. Ich bewundere wirklich jeden, der das mit dieser Hingabe macht.
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Demenz-Erkrankte haben ja vielfach auch eine bezaubernde und mitreißende Seite.
Schlegl: Absolut. Ich erinnere mich daran, dass einmal in der Woche immer ein Musiker kam. Da blühten die Patienten auf. Und sangen all die alten Gassenhauer. Es wäre schon schön, wenn dieser kreative Rahmen gestärkt werden könnte. Es ist oft so, dass die Patienten trotz ihrer Krankheit viel lachen. Bei aller Düsternis ist da sehr viel Lebensbejahendes.
Wie beurteilen Sie heute Ihren Berufswechsel?
Schlegl: Für mich ist es aufgegangen. Ich habe meinen Weg gefunden. Und auch, wenn es sehr pathetisch klingen mag: Ich weiß heute viel eher, wie kostbar ein schöner Moment ist. Ja, ich lebe heute intensiver.