Darna/Berlin. Kurt Saygin ist als DRK-Helfer in Libyen unterwegs. Was ihn dort erwartete, hat ihn schockiert – mehr noch als der Einsatz im Ahrtal.
Saygin ist DRK-Helfer. Seit einigen Tagen ist er in Libyen unterwegs – und schockiert von den Bildern der Zerstörung. Er hatte die Flut im Ahrtal erlebt, war auch sonst erfahren in Katastrophen-Szenarien. Doch so etwas wie in der Stadt Darna hatte er noch nie gesehen. „Es ist wie im Kriegsgebiet“, sagte er dieser Redaktion.
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Nach den schweren Überschwemmungen seien die Herausforderungen vor Ort gewaltig. Rund 11.000 Todesopfer wurden laut UN bisher identifiziert, und diese Zahl dürfte noch deutlich steigen. Kurt Saygin (52) und die kleine Truppe des DRK ist in Al-baida stationiert. Ein wenig außerhalb von Darna. Von Al-baida fährt das Team aus vier Mitarbeitern täglich in die stark betroffenen Gebiete. Sie befinden sich in ständigem Kontakt mit der Hilfsorganisation des libyschen „Roten Halbmond“.
DRK-Einsatz in Libyen: „Schlimmer, viel schlimmer“ als im Ahrtal
„Die Häuser sind weggerissen, Straßen sind aufgerissen, Brücken sind einfach weggespült worden“, sagt Saygin. Das Schlimmste aber: Jeden Tag kämen Nachrichten, dass noch weitere Todesopfer unter Trümmern gefunden wurden. Die Zerstörung habe unfassbare Dimensionen. „Es ist, als wäre King Kong durchmarschiert“, so Saygin. Auch bei der Überflutung im Ahrtal vor zwei Jahren hat er erleben müssen, wie die Menschen ihr Hab und Gut verloren haben. Doch hier sei es „schlimmer, viel schlimmer“. Hier seien große Häuser mit 5 bis 7 Stockwerken einfach in der Mitte durchgerissen worden.
Mehr als 43.000 Menschen haben ihr Obdach verloren. Noch immer sind die Aufräumarbeiten im vollen Gange, noch kann keiner sagen, wann die Menschen wieder in die Häuser zurückkommen, sagt Saygin. „Alle arbeiten bis zur Erschöpfung. Sie arbeiten wirklich buchstäblich bis zum Umfallen.“ Was ihn beeindruckt, sei die Kraft der Gemeinschaft. „Der soziale Zusammenhalt hier funktioniert so viel besser als bei uns“, sagt Saygin. Es gibt zum Beispiel keine Notunterkünfte oder Lager. Es werden auch keine Turnhallen gefüllt.“ Stattdessen würden Betroffene aufgenommen – von Freunden, Angehörigen, selbst von entfernten Verwandten – „und zwar problemlos“.
Mit dem Mangel an Frischwasser steigt die Seuchengefahr
Die Verkehrsverbindung war in den ersten Tagen das große Problem. Die Straßen waren unbefahrbar, es gab kein Durchkommen. „Hinzu kam noch, dass sehr viele junge Menschen dort hingefahren sind, um Selfies zu machen. Das Militär hat das sehr schnell unterbunden. Jetzt sind die Straßen reserviert für Baumaschinen und für den Transport von Hilfsgütern.“ Doch es gibt ein anderes großes Problem – die Seuchen. Erste Cholera-Fälle wurden gemeldet. Die große Herausforderung ist das Trinkwasser. Die Brunnen sind kontaminiert. „Das Gute ist, dass momentan noch großflächig Flaschen Wasser ausgeteilt wird.“ Doch das sei keine wirklich Lösung.
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Genau um hier eine Lösung zu finden, sei das DRK vor Ort. Denn sobald die großflächige Versorgung mit Wasserflaschen nicht mehr gewährleistet ist, seien enorme Probleme zu befürchten. „Glücklicherweise haben wir durch die Überbrückung mit den Wasserflaschen genug Zeit, die besten Plätze für unsere Wasseraufbereitungssysteme auszusuchen. Wir müssen nicht in Aktionismus verfallen müssen, sondern können die besten Plätze aussuchen, sodass wir diese Systeme auch zur langfristigen Nutzung aufbauen und in Betrieb nehmen können.“
DRK-Helfer: „Wir fühlen uns sehr sicher momentan“
Für Helfer ist der Einsatz in Katastrophengebieten immer wieder eine große Herausforderung. Vor allem in einem konfliktbelasteten Land wie Libyen. „Wir fühlen uns aber sehr sicher momentan, es gibt überhaupt keine Schwierigkeiten“, sagt Saygin. Doch wisse man nie, ob das von Dauer ist. Hinzu kommen die Bilder der Katastrophe, die immer im Kopf sind. „Wir versuchen uns zu fokussieren und nicht allzu weit links und rechts zu schauen.“
Doch zu sehen, wie den Menschen alles genommen wurde, setzt ihm schon zu. „Wir sind alles Techniker“, sagt er, und es scheint, als wolle er damit seine Gefühle in den Griff bekommen. Ob das gelingt? „Ich glaube, die große Trauer und der Schock über das, was hier eigentlich passiert ist, das kommt erst noch.“ Ein Gefühl werde sicher bestehen bleiben – das der Ohnmacht. „Man fühlt sich sehr klein und machtlos. ich denke, das ist das Schwerste bei diesem Einsatz.“
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