Berlin. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen drohen erneut Bahn-Streiks. Muss es soweit kommen? Welche Rechte haben Fahrgäste? Alle Infos.
Der Vorstandschef Martin Burkert lässt an der Entschlossenheit seiner Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) keinen Zweifel aufkommen. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn nach der sechsten Runde leitet die EVG als nächsten Schritt eine Urabstimmung ein. Die Urabstimmung dauert etwa vier bis fünf Wochen, sagte der Gewerkschaftschef Martin Burkert am Donnerstag: „In dieser Zeit sind auch Warnstreiks weiterhin nicht ausgeschlossen.“ Die Fahrgäste müssen sich damit auf weitere Einschränkungen einstellen. Was Reisende jetzt wissen müssen.
Mögliche Streiks bei der Bahn: Was bringt eine Urabstimmung?
Die EVG will ihre Forderungen möglicherweise mit einem langen Streik durchsetzen. Sie leitet deshalb eine Urabstimmung über den Arbeitskampf ein. Rund 110.000 Mitglieder sind dazu aufgerufen. Wenn sich von den Teilnehmenden 75 Prozent für den Arbeitskampf aussprechen, können die Vorbereitungen für den Ausstand beginnen. Das Streikrecht leitet sich aus der Koalitions- und Vereinsfreiheit ab, die im Grundgesetz verankert ist (Artikel 9 Absatz 3).
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Deutsche Bahn: Fahren die Züge bis zur Urabstimmung normal?
Nein. Die EVG erwägt auch Warnstreiks während der Urabstimmung. Konkrete Termine dafür nannte der Gewerkschaftschef nicht. „Wir werden darüber rechtzeitig informieren“, sagte Burkert. Bislang bedeutete dies etwa zwei Tage im Voraus. Es liegt also eine große Unsicherheit über die Entwicklung des Arbeitskampfes in den nächsten Wochen.
Können Streiks bei der Bahn noch abgewendet werden?
Den schwarzen Peter in dieser Frage weist die EVG den Arbeitgebern zu. EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch hat klargestellt, dass die Deutschen Bahn beim Entgelt noch etwas drauflegen und bei der Laufzeit Abstriche machen muss. In diesem Fall stünde weiteren Verhandlungen nichts im Wege. Das Blatt kann sich also durchaus noch einmal wenden.
Drohende Bahnstreiks: Sollten Kunden ihre Reisepläne ändern?
Urlauber die im August mit dem Zug verreisen wollen, sollten sich zumindest über alternative Anreisemöglichkeiten informieren. Einen finanziellen Verlust bei bereits gebuchten Fahrten müssen sie nicht befürchten. Die Tickets müssen nicht storniert werden. In der Vergangenheit hat die EVG stets einige Tage vor einem Warnstreik darüber informiert, so dass Reisende im Ernstfall etwas Zeit für den Umstieg auf das Auto oder den Bus hatten.
Ist die Bahn an weiteren Verhandlungen interessiert?
Die Deutsche Bahn spricht zwar von einer Lösungsbereitschaft, bleibt in der Sache jedoch hart. „Die EVG will jetzt Millionen Menschen die Sommerferien vermiesen“, kritisiert das Unternehmen. Ständige Streikdrohungen seien ein Unding und die Eskalation unnötig. „Es liegen 140 Seiten unterschriftsreifer Vertrag auf dem Tisch“, so der Konzern.
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Deutsche Bahn und EVG: Könnte eine Schlichtung helfen?
Eine automatische Schlichtung ist bei diesen Tarifverhandlungen nicht vorgesehen. Auch bringt keine der Beteiligten von sich aus eine Vermittlung durch unabhängige Dritte ins Spiel, zumindest noch nicht. Die Äußerungen lassen eher darauf schließen, dass der Konflikt noch lange dauern könnte.
Woran sind die Verhandlungen gescheitert?
Es gibt zwei Knackpunkte bei diesem Konflikt. Die EVG fordert jetzt einen Mindestbetrag von 420 Euro für jeden der 180.000 Tarifbeschäftigten der Deutschen Bahn. Und sie will eine kürzere Laufzeit des Tarifvertrags durchsetzen. Die Bahn pocht auf 27 Monaten, die Gewerkschaft würde sich wohl auf 21 Monate einlassen. Zu diesen Konditionen hat sie bereits mit einigen Privatbahnen Tarifverträge geschlossen.
Verhandlungsführer Loroch kritisiert, dass die Arbeitgeber beim Gesamtvolumen keinerlei Bewegung zeigen. Die Bahn wiederum spricht vom höchsten Angebot aller Zeiten. Zuletzt wollte das Unternehmen den Beschäftigten im November 2023 und im August nächsten Jahres jeweils 200 Euro zugestehen. Das ist der EVG „zu wenig und zu spät“, wie Burkert sagt.
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Konflikt mit der Deutschen Bahn: Warum ist die Gewerkschaft so hartleibig?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Die EVG hatte sich während der Pandemie mit einer Mini-Lohnerhöhung zufrieden gegeben, weil das Bahngeschäft so schlecht lief. Nun will sie dafür belohnt werden. Dazu kommt die hohe Inflation, die für einen deutlichen Kaufkraftverlust sorgt. Höhere Löhne sollen diesen ausgleichen, vor allem für die unteren Lohngruppen.
Über die sachlichen Argumente hinaus spielt der Konkurrenzkampf zur Lokführergewerkschaft GDL eine Rolle. Die EVG will dem Vorwurf einer zu großen Arbeitgeberfreundlichkeit etwas entgegensetzen und deshalb Härte demonstrieren. In den vergangenen Jahrzehnten gelang eine Einigung mit den Arbeitgebern ohne großen Arbeitskampf. Der letzte flächendeckende lange Streik liegt 31 Jahre zurück. Die GDL hat dagegen immer wieder den Zugverkehr lahmgelegt, um ihre Ziele zu erreichen.
Arbeitskampf bei der Bahn: Wie geht es weiter?
Der Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn kann sich noch viele Wochen hinziehen. Denn selbst bei einer Einigung mit der EVG haben Bahnkunden wohl keine lange Streikpause. Denn Ende Oktober läuft ein weiterer Bahntarifvertrag mit der GDL aus. Die kampferprobten Lokführer ziehen mit noch höheren Forderungen in die dann anstehenden Tarifverhandlungen.
Zweite Bahn-Gewerkschaft: Was fordert die GDL?
GDL-Chef Claus Weselsky hat zwei wichtige Ziele: Die Beschäftigten sollen einheitlich 550 Euro mehr Lohn erhalten und Schichtarbeiter drei Stunden weniger in der Woche arbeiten – bei vollem Lohnausgleich. Außerdem hat die GDL die Gründung einer Genossenschaft mit dem Namen Fair Train initiiert. Die Genossenschaft will Lokführer von der Deutschen Bahn abwerben und sie als Leiharbeiter an andere Bahnen vermitteln. Angesichts des Fachkräftemangels ist die Nachfrage nach fahrendem Personal gegeben. Hier steckt weiteres Konfliktpotenzial.
Bekommen Fahrgäste bei einem Bahnstreik ihr Geld zurück?
Fahrgäste haben auch bei Streiks das Recht auf Entschädigung, wenn sie verspätet das Ziel erreichen. Dies regelt die EU-Fahrgastverordnung. Die Höhe richtet sich nach der Länge der Verspätung. Ab 60 Minuten Verspätung am Endziel haben Reisende einen Anspruch auf 25 Prozent des Fahrpreises, ab 120 Minuten stehen ihnen 50 Prozent zu. Ab einer absehbaren Verspätung von über einer Stunde können Fahrgäste auch auf die Fahrt verzichten und den kompletten Ticketpreis zurückverlangen. Wer mobil ein Bahnticket gekauft hat und es doch wegen des Streiks doch nicht nutzen will, kann es innerhalb von zwölf Stunden in der Regel kostenlos stornieren – unabhängig von der Preiskategorie.
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Müssen Beschäftigte auch bei Streiks zur Arbeit erscheinen?
Bei Streiks bei der Deutschen Bahn müssen alle anderen Beschäftigten in Deutschland trotzdem zur Arbeit erscheinen. Sie müssen dann auf andere Verkehrsmittel wie Busse, Straßen- und U-Bahnen oder aufs Fahrrad, Auto, Mietwagen, Car-Sharing oder Taxi ausweichen. Manche Arbeitnehmer bilden auch Fahrgemeinschaften zu ihrem Arbeitsplatz. Über Portale im Internet – wie BlaBlaCar - kann man sich auch zu Fahrgemeinschaften zusammenfinden. Die Extrakosten, die dadurch entstehen, werden in der Regel nicht vom Arbeitgeber erstattet. Wer keine alternative Anfahrtmöglichkeit hat, muss wohl einen Urlaubstag nehmen. Der Arbeitgeber sollte aber unverzüglich informiert werden, wenn der Arbeitnehmende nicht zur Arbeit erscheinen kann.
Bekommen Arbeitnehmer Lohn, wenn sie wegen eines Streiks nicht zur Arbeit kommen können?
Wenn Beschäftigte wegen eines Bahnstreiks nicht am Arbeitsplatz erscheinen können, kann der Arbeitgeber das Entgelt kürzen. Es gilt der gesetzliche Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“.