Essen. Neckarwestheim 1 ist einer der ältesten und störanfälligsten Atomreaktoren Deutschlands. Eigentlich hätte er Mitte 2009 vom Netz gehen sollen. Betreiber EnBW drosselte aber die Leistung und rettete den Meiler in die neue Legislaturperiode. Jetzt hofft der Konzern auf eine Laufzeitverlängerung
Brunsbüttel, Biblis A und Neckarwestheim 1 haben einige Gemeinsamkeiten. Es sind Uralt-Atomreaktoren aus den siebziger Jahren, sie sind enorm pannenanfällig - und sie hätten eigentlich schon vor den Bundestagswahlen endgültig vom Netz genommen werden müssen. Ihre Betreiber haben sie jedoch in die neue Legislaturperiode gerettet und können jetzt darauf hoffen, dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung eine Laufzeitverlängerung spendiert. Der NRZ vorliegende interne Strategiepapiere des Betreibers von Neckarwestheim, EnBW, zeigen, wie die Konzerne bewusst gegen den von ihnen mit ihnen ausgehandelten Atomkonsens gearbeitet haben.
Vorschlag: "Optimierter Betrieb"
Im bislang gültigen Atomausstiegsszenario ist für alle deutschen Atomkraftwerke eine Reststrommenge festgeschrieben. Ist diese produziert, muss der Meiler vom Netz. Falls Neckarwestheim 1 weiter mit Volllast betrieben werde, wäre die Reststrommenge „somit Mitte 2009 aufgebraucht” heißt es in einem 2007 verfassten Papier, in dem ein „optimierter” Betrieb vorgeschlagen wird. Begründet wird das mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Strompreise von 2007 lägen „deutlich” unter denen, die für 2009 zu erwarten seien. Deswegen solle der Betrieb „an Wochenenden und nachts” heruntergefahren und auf „Stromerzeugung zu niedrigen Preisen” verzichtet werden. Das erklärte Ziel also: ein höherer Gewinn im Jahr 2009. So viel zum „billigen” Atomstrom.
Unterrichtung eines „ausgewählten” Kreises
2008 werden in einem anderen Papier neben den wirtschaftlichen auch politische Gründe für eine Drosselung der Produktion genannt. Es stelle sich die „Situation im Hinblick auf eine öffentliche und politische Akzeptanz eines längeren Betriebes der vorhandenen KKW in Deutschland zunehmend positiver dar”, was nach den Bundestagswahlen im Herbst 2009 „zu einer Gesetzesänderung für längere Laufzeiten im Atomgesetz führen könne”.
Über die „Optimierung” des Betriebs, so raten die EnBW-Strategen, solle ein „ausgewählter Kreis” informiert werden, zu dem sie unter anderem das Kanzleramt, das Bundeswirtschaftsministerium und die Fraktionsspitze der Union zählen. Aber: „Von einer proaktiven Unterrichtung der Presse ist abzuraten.”
Künast: "Miese Tricksereien"
Verboten ist das Vorgehen des Stromkonzerns nicht. Gleichwohl schäumen Kernkraftgegner: „Mit miesen Tricksereien haben die Atomkonzerne den Atomkonsens einseitig aufgekündigt”, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der NRZ. Das Vorgehen zeige einmal mehr die „Profitgier” der Konzerne. „Es ist unfassbar wie skrupellos die EnBW ihren alten Schrottmeiler über die Wahlen gerettet hat”, ärgerte sich Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer.
Neckarwestheim 1 hat in der Vergangenheit des öfteren mit Pannen Schlagzeilen gemacht. Die aktuellsten: 2002 kam heraus, dass ein sicherheitstechnisch relevantes Bauteil falsch herum eingebaut wurde, ebenfalls 2002 diagnostizierte die Reaktorsicherheitskommission (RSK) nach einem Zwischenfall eine ganze Reihe von Defiziten. 2003 leckte die Verdampferanlage der nuklearen Abwasseraufbereitung. 2005 wurden schließlich an etlichen Befestigungsschrauben der Kernumfassungsbleche Risse festgestellt.