Minister zu Guttenberg tritt zurück - von einem Papier
Die Komplexität moderner Gesellschaften und die Undurchsichtigkeit wirtschaftlicher Prozesse lassen uns leider keine andere Wahl. Wir sind darauf angewiesen, Vertrauen zu delegieren; gerade vor Wahlen. Die Posse um das Ideenstoffsammlungskonzeptpapier aus dem Hause von Wirtschaftsminister Guttenberg (CSU) nährt die Zweifel, ob dieses Vertrauen in geeigneten Händen ist.
Ausgerechnet Umfragevolkes Liebling macht dabei keine bella figura. Guttenberg, dem viel zu früh eine fast übermenschliche Standfestigkeit angedichtet wurde, ausgelöst durch eine Rücktrittserwägung im Fall Opel, tritt diesmal wirklich zurück. Allerdings, so etwas nennt man Selbstentzauberung, nur von einem Papier.
In dem stehen jede Menge industriefreundliche und latent arbeitnehmerunfreundliche Sachen. Die sind unter Möchtegern-Koalitionären von Union und FDP seit langem öko-nomisches Tagesgespräch, wenn es darum geht, wie eine Entsozialdemokratisierung nach der Marter der großen Koalition aussehen müsste.
Jeder weiß das. Spricht aber nicht laut drüber. Auch weil Angela Merkel es gar nicht schätzt, wenn man ihrem präsidialen Kuschelkurs in die Parade fährt und Millionen Unentschlossenen neoliberal angestrichene Gründe liefert, um das Kreuzchen andernorts zu machen. Dereinst geschehen, als ein gewisser Professor Kirchhoff seine verwegenen Steuer-Pläne auf den Tisch legte und der Union ein ungenießbares Ei ins Nest.
Guttenberg, so viel zum Thema Standfestigkeit, hat die Kuh gestern nicht aus freien Stücken vom Eis geholt. Im Kanzleramt weiß man, dass aus einem warmen Sonnenstrahl nach Wochen voller Dauerregen - nichts anderes ist die Guttenbergsche Papier-Posse für die SPD - ein stabiles Hoch werden kann. Strich drunter: Die SPD hat einen Deutschland-Plan, die Union keinen. Aber dafür einen Wirtschaftsminister, der sich aus Angst vor dem Wähler auf Kosten seiner Mitarbeiter von ganz eigenen Deutschland-Plänen seines Ministeriums distanziert. Hilfe! Dieser Wahlkampf hört nicht auf, uns zu verdrießen. Und wir haben erst Mitte August. NRZ