Köln. Die Wähler sind sauer, frustriert und weitgehend hoffnungslos. Das hat das Kölner Rheingold-Institut herausgefunden. Doch es gibt einen Strohhalm.
Stephan Grünewald zuzuhören ist faszinierend. Weil man sich nach ungefähr zwei Minuten ertappt fühlt. Bei seinen eigenen Gefühlen, Sehnsüchten und Ängsten. Und damit räumt er indirekt auch jene Skepsis weg, die sich unweigerlich einschleicht: Wie, es soll reichen, gerade mal 50 Menschen zwei Stunden lang zu befragen, um rauszubekommen, wie ein ganzes Volk tickt? Was es fürchtet, bewegt und (fast nicht mehr) hofft?
Stephan Grünewalds Rheingold-Institut betreibt qualititativ-psychologische Wirkungsforschung, mit immerhin 50 Festangestellten und dies seit Jahrzehnten und offenbar schafft es das Haus tatsächlich, Volkes Stimme zu erlauschen und wiederzugeben. Und am Ende einer Online-Pressekonferenz, durchaus ungewöhnlich, fliegen Grünewald dann virtuelle Herzchen, Beifall, Blümchen zu. Scheint also die Stimmung, die Seele irgendwie doch zutreffend abgelauscht zu haben.
Fehlgesteuerte Migration, bröckelnde Infrastruktur
Sie wissen es also auch, dass Sie unzufrieden, frustriert, genervt sind vom Zustand in diesem Land. Die Attentate von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg machen Angst vor fehlgesteuerter Migration, die Wirtschaft stottert, die Infrastruktur bröckelt und wir haben das Gefühl, in einem Problemstau ohne Ausweg festzustecken. Und, insbesondere auch unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein Problem: Wer seinem Frust, seinen Ängsten und seinem Ärger Luft macht und damit auch nur in den Ruch kommt, womöglich mit der AfD zu sympathisieren, wird schnell ausgegrenzt. Aus Angst, gewisse Dinge nicht mehr sagen zu können oder nur um den Preis persönlicher Konflikte, verstummen viele.
Auenland unter Mama Merkel ist abgebrannt, eine neue Vaterfigur nicht in Sicht. Die Hoffnung, dass das radikale Reformprojekt „Ampel“ einen Ruck durchs Land gehen lässt, ist verpufft. „Doch statt einer väterlichen Schutzmacht haben wir einen steten Bruderzwist erlebt“, sagte Grünewald. „Der Dauerzank in Berlin hat im Land das Gefühl erzeugt, dass man verwaist ist und allein gelassen mit den Problemen.“
Die Stimmung im Land wird zunehmend als explosiv wahrgenommen. Die Folge ist eine Spaltung: Das links-bürgerliche Lager fürchtet den Untergang des Abendlandes, wenn die AfD an die Macht kommt, neigt zu Idealisierungen, sieht sich als letztes Bollwerk des Guten. „Die Gesellschaft ist tief gespalten. Wir hatten bei den Befragungen den Eindruck von zwei Paralleluniversen“, so Grünewald.
Das eher konservative Lager sieht den Untergang schon im Gange, steht fassungslos vor dem maroden Zustand des Landes, sieht bei „denen da oben“ nur Inkompetenz und fühlt sich zunehmend heimatlos im eigenen Land. Hier wächst die Wut und die Sehnsucht nach machtvollem Handeln. „Doch kein Kandidat löst dieses Profil ein“, so Grünewald.
Die „Angstfaszination“ für Trump wächst
Damit wächst auch hierzulande die „Angstfaszination“ für Donald Trump, für einen, der scheinbar effektiv auf den Tisch haut, durchregiert, den Knoten zerschlägt. Wenn alles nicht mehr hilft, brauchen wir halt einen Systemsprenger, so die Logik. In der Wirklichkeit, so Grünewald, wird es wohl wieder eine GroKo geben.
Mag die Scholz-Kampagne der SPD unter allen Kampagnen noch die treffendste sein und mit ein bisschen „Tribute von Panem“-Flair staatsmännisch wirken: „Er bleibt Projektionsfläche für alles was schief läuft“, so Grünewald. Und Merz? „Schaut die Menschen auf den Plakaten nicht einmal an.“ Die Vokabeln von Stolz und die Farbgebung – auch da sieht mancher Nähe zur AfD. Und umgekehrt: In den Plakaten der AfD finden sich Menschen, steht was von Aufschwung, Frieden und Zukunft. „Fast die bessere CDU-Kampagne“, so Grünewald, abgesehen von Eisprinzessin Weidel.
Merz, so Grünewald weiter in seiner pointierten Zuspitzung der Kandidaten aus dem Blick des Wahlvolkes, sei ein „hohes Tier“ zwischen Black Rock und Blackbox. Außenpolitisch vielleicht ein guter Repräsentant, aber zu arrogant für die Bürger im Land, Habeck ist zwar die „menschgewordene Wärmepumpe“, aber politisch auch oft eine Luftnummer gewesen.
Lindner? Wer war das noch mal? Schon fast vom Wähler vergessen, so Grünewald. Mephisto-artige Wahlplakate, war damals der Lustpolitiker, steht aber nur auf der Schuldenbremse, während er als Porschefahrer jedes Tempolimit crasht, liebt sich selbst mehr als das Land. Weidel, eine aristokratische Scharfrichterin und böse Stiefmutter, auf die man sich nicht verlassen kann. Wieso wohl wohnt sie nicht in Deutschland? Sahra Wagenknecht, eine Märtyrerin der Vergangenheit, für die einen Friedensengel, für die anderen Rattenfängerin, irgendwie jenseitig, so die in den Studien ermittelten Wahrnehmungsbilder, die Grünewald pointiert zuspitzt.
Wo bleibt da die Hoffnung? Einen Strohhalm hat Grünewald doch: Es gebe eine gehemmte Bewegungsenergie, die freigesetzt werden müsse. Zuletzt sei diese nach dem Beginn des Ukrainekriegs spürbar gewesen. Als aus Angst vor dem Blackout im kommenden Winter alle mitgemacht haben: Alle haben zu Hause den Thermostat runtergedreht und die da oben haben LNG-Terminals gebaut. Das Licht blieb an.