Issum/Kevelaer. Uwe Hoppmann war jahrelang alkoholabhängig. Wie er es geschafft hat, trocken zu werden – und zu bleiben.

  • Uwe Hoppmann aus Issum ist trockener Alkoholiker
  • Die Sucht begann mit 14 Jahren und einem ersten Bier
  • Mehrere Male versuchte er, keinen Alkohol mehr zu trinken
  • Nachts betete er: „Lieber Gott, lass mich die Nacht überleben“
  • Vor 24 Jahren schließlich schaffte er es – und wurde trocken

„Ich bin Alkoholiker.“ Das kann Uwe Hoppmann so sagen und nein, dafür schämt er sich nicht, schiebt er direkt hinterher, „das würde ich nur, wenn ich nichts dagegen getan hätte.“ Doch genau das hat er, sodass der 68-Jährige nun seit 24 Jahren trocken ist. Wie er das geschafft hat? Nun, dafür muss er zunächst einmal erzählen, wie es überhaupt so weit kommen konnte.

Es begann mit einem Bier. Uwe Hoppmann kann sich noch genau daran erinnern, „das war Gründonnerstag“, und er half mit seinen 14 Jahren mal wieder in dem Lebensmittelgroßhandel seines Vaters aus, um sein Taschengeld aufzubessern. Abends dann standen die anderen Männer draußen, tranken ihr „wohlverdientes Feierabendbier“, wie sie es nannten, und riefen ihm zu: „Mensch Uwe, du hast doch so toll mitgeholfen! Du hast dir auch dein Bier verdient.“ Und sein Vater? Hatte nix dagegen. Also nahm er den ersten Schluck... „Und es war ja nicht mal lecker, weil Pils so herb ist“, erklärt er, „aber ich fühlte mich akzeptiert.“

Schnapstrinken schon morgens vor der Schule

Nach diesem Erlebnis gehörte Alkohol zum Alltag dazu. Beim Abendessen machte sein Vater ein Bier auf... und der Sohn auch. Beim Partyfeiern probierte er schnell anderes aus, kam auf den Geschmack von Jägermeister, Cognac & Co. Seinen ersten Vollrausch erlebte er mit 15 Jahren, „an Rosenmontag“, erzählt er, „da machte um 12 Uhr die Firma zu, es gab belegte Brötchen und das, was man heute Vorglühen nennt.“ Am Morgen danach ging‘s ihm richtig schlecht, „und ich habe mir das erste Mal vorgenommen, keinen Alkohol mehr zu trinken“, sagt er. Lang hielt der Vorsatz nicht, auch, weil Alkohol durch den Handel seines Vaters immer greifbar war.

Bald trank Uwe Hoppmann schon morgens vor der Schule, „weil es cool war“, sagt er. Und weil es nicht auffiel. War der Kater am nächsten Tag aber doch mal zu schlimm, gab ihm sein Vater noch einen „hilfreichen“ Tipp mit: „Trink einen Kaffee-Cognac.“ Ja, rückblickend erkennt er, dass sein Vater auch alkoholkrank war. Dennoch ist er nicht verbittert, wenn er an ihn zurückdenkt. „Er konnte gut mit Menschen umgehen, war immer pünktlich und ist nie handgreiflich geworden“, erzählt er. „Ich will ihm das mit dem Alkohol nicht übelnehmen, weil er es einfach nicht besser wusste.“

Alkohol zerstörte die Beziehung zu seiner ersten großen Liebe

Auch er selbst merkte erst viel zu spät, wie viel Alkohol kaputt macht. Sechs Jahre lang war Uwe Hoppmann mit seiner großen Liebe aus der Schule verheiratet – bis sie an einem Januartag ihre Taschen packte und ging. Damals fiel er aus allen Wolken, heute hat er vollstes Verständnis: „Ich kann mich nicht an einen Tag erinnern, an dem ich nüchtern war.“ Nach der Trennung fiel er in ein Loch, das er mit Alkohol auszufüllen versuchte. „Ich hatte erste Ausfallerscheinungen“, erzählt er. Wie er nachts noch nach Hause gekommen war? Wusste er oft nicht mehr. „Meist mit dem Auto und das ist das Einzige, wofür ich mich wirklich schäme!“

Seit 24 Jahren ist Uwe Hoppmann trocken und darüber spricht er auch regelmäßig mit anderen Betroffenen.
Seit 24 Jahren ist Uwe Hoppmann trocken und darüber spricht er auch regelmäßig mit anderen Betroffenen. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Auch an Schlaf war kaum noch zu denken. Immer wieder wachte Uwe Hoppmann schweißgebadet und mit pochendem Herzen auf. Seine Gebete – „Lieber Gott, lass mich die Nacht überleben, dann trinke ich auch nie wieder!“ – wurden erhört... nur damit er am nächsten Morgen wieder zur vollen Flasche greifen konnte. „Ich habe bis zu zwei Liter Schnaps getrunken“, sagt er. Doch dann, mit 24 Jahren, wusste er: So konnte es nicht weitergehen. Er ging zum Arzt, ließ sich ins Krankenhaus für eine Entgiftungskur einweisen. Von Tag zu Tag ging‘s ihm besser und auch zuhause konnte er mehrere Monate lang auf Alkohol verzichten. Bis Weihnachten.

Alkohol ist überall präsent, auch in der eigenen Familie

Der Vater hatte sein Bier auf dem Tisch stehen, die Mutter ihren Wein... und der Sohn? Er müsse doch einfach nur den Schnaps weglassen, meinte seine Mutter, ein Gläschen Wein zum Essen schade doch nicht. Nun, „14 Tage später war ich da, wo ich vorher war.“ Nach einem Jahr machte er erneut eine Entgiftungskur, danach eine Langzeittherapie. Denn, das sagt er immer wieder auch anderen Betroffenen: „Verlasst euch nie darauf, dass so etwas ewig hält.“ Rückfälle passieren, aber sie passieren seltener, wenn Betroffene an Selbsthilfegruppen oder Einzeltherapien angebunden sind.

Das weiß Uwe Hoppmann aus eigener, schmerzlicher Erfahrung. Ja, danach war er in einer Selbsthilfegruppe. Ja, danach lief alles richtig gut. Er lernte eine Frau kennen, heiratete und wurde Vater, er machte Karriere und zog mit seiner Familie in ein Haus. Zur Selbsthilfegruppe ging er irgendwann nicht mehr – keine Zeit, kein Bedarf. Er hatte es doch geschafft. Oder? Zumindest bis zu diesem Klassenausflug seines Sohnes, bei dem alle Familien mit dem Rad nach Holland fuhren und dann gemeinsam zum Picknick anhielten... Er packte seine Thermoskanne mit Kaffee aus, der Vater neben ihm die Flasche Bier mit den Worten: „Trink doch was Anständiges!“

„Dry January“: Selbsttest für alle

Vielleicht sind es nicht die schweren Zeiten, die so herausfordernd für einen Alkoholkranken sind, überlegt der 68-Jährige, sondern die guten Momente. Alkohol ist gesellschaftlich so akzeptiert, dass auch er wieder dachte: „Mir geht‘s doch gut, da kann ich ja wohl ein Bier trinken!“ Aber es bleibt nie bei einem Bier. Auch bei ihm ging damit alles von vorne los. Er trank wieder, erst nur abends, dann auch tagsüber. Auf der Arbeit merkte niemand etwas, „ich hatte immer ein Wick Blau-Bonbon in der Tasche“, erinnert er sich. Nur Zuhause sprach ihn irgendwann seine Frau darauf an. „Aber da war es schon zu spät“, sagt er.

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Sein „letztes Aufbäumen“, wie er es nennt, war dann im Jahr 2000. Weil ihn seine Hausärztin nicht ernst nahm, „Sie haben doch kein Alkoholproblem!“, fuhr er selbst zum Krankenhaus und ließ sich in die Geschlossene einweisen. „Ich wusste, dass das meine letzte Chance war.“ Und die nutzte er. Der 7. November 2000 ist für ihn wie ein zweiter Geburtstag. Seitdem ist er trocken, seitdem führt er ein neues Leben. Natürlich war in den 24 Jahren nicht immer alles einfach – seine Frau starb an Krebs, er selbst erkrankte ebenfalls und rutschte in die Arbeitsunfähigkeit, seine neue Partnerin verließ ihn – doch nur ein einziges Mal war er kurz davor, zur Tankstelle zu fahren und eine Schnapsflasche zu kaufen...

„Gemeinsam ohne Alcohol“

Uwe Hoppmann leitet die Selbsthilfegruppe „Gemeinsam ohne Alcohol“, die sich jeden Montag von 19 bis 20.30 Uhr im Raum Benedict des Hotels und Generationenhauses, Klostergarten 1 in Kevelaer, trifft.

Eine Anmeldung ist nicht notwendig. Wer dennoch vorab Fragen hat, kann sich bei Uwe Hoppmann melden: 0176/20096123 oder ohneAlcohol@gmail.com. Weitere Infos: www.ohne-alcohol.de

„Aber ich habe dann meinen Sohn angerufen, der direkt zu mir gefahren und auch über Nacht geblieben ist“, erzählt Uwe Hoppmann. Das war seine Rettung. Genauso wichtig war und ist aber auch die Selbsthilfegruppe, die er vor 23 Jahren gegründet hat. „Weil die Betroffenen dich verstehen“, sagt er. Im Gegensatz zu vielen anderen, für die Alkohol einfach immer dazu gehört. „Bei jedem Fest spielt Alkohol eine Rolle“, erklärt er. Deshalb findet er Aktionen wie den „Dry January“ auch sinnvoll, „als Selbsttest“, sagt er, „um herauszufinden, ob einen der Alkoholgenuss täglich begleitet.“ Seine Vermutung: Bei vielen Menschen wäre genau das der Fall, viele Menschen müssten sich eingestehen: „Auch ich bin Alkoholiker.“