Düsseldorf. Zur größten proisraelischen Kundgebung anlässlich des Jahrestags des Hamas-Massakers kommen nur einige Hundert Menschen
Düsseldorf Es ist 16 Uhr, als sich auf dem Graf-Adolf-Platz in Düsseldorf einige Hundert Demonstranten versammeln. Manche tragen Israelfahnen, andere die Fahnen des Iran, als das Land unter dem Schah noch ein enger Verbündeter Israels war. Viele halten Schilder, auf denen die Gesichter der Menschen zu sehen sind, die seit dem 7. Oktober 2023 in der Geiselhaft der Hamas sind.
Zur größten proisraelischen Kundgebung in NRW zum Gedenken an den beispiellosen Terrorüberfall vor einem Jahr sind etwa 1000 Menschen gekommen. Nur 1000 Menschen.
Olga ist extra aus Gummersbach angereist. Sie trägt ein Schild, auf dem die Familie Bibas aus dem Kibbuz Nir Oz zu sehen ist. Der Vater, die Mutter, die beiden Kinder, das jüngste noch ein Baby. „Mein Herz schlägt für die gesamte Bevölkerung Israels, nicht nur für die Geiseln“, sagt sie. Der überschaubare Zulauf an diesem Nachmittag überrascht sie nicht: „Das war zu erwarten.“
„Es ist sicher hier, die Polizei ist da“
Die 68-Jährige hat jüdische Wurzeln, ihre Enkel gehen in München auf eine jüdische Schule. Dort seien die Sicherheitsmaßnahmen nach dem 7. Oktober deutlich verschärft worden, erzählt sie. „Der Antisemitismus hat zugenommen. Es ist Alltag für Juden, dass ihre Kinder unter Bewachung in die Schule gehen müssen. Das kann nicht normal sein.“ Bevor sich der „Marsch des Lebens“ auf den Weg zum wenige Hundert Meter entfernten Johannes-Rau-Platz macht, bittet eine Rednerin darum, Ruhe zu bewahren und sich nicht provozieren zu lassen. „Es ist sicher hier, die Polizei ist da.“
Benjoel Neureder, 20, trägt die weiß-blaue Fahne mit dem Davidstern. Er ist gekommen, um Israel zu unterstützen sagt er. Ihm fehlt die entschlossene Solidarität mit dem Land – ob in der Politik oder in der Bevölkerung. Thomas Humm, 66, kritisiert die Medien, die zu oft Israel in ein falsches Licht rücken und Fakenews verbreiten würden. Er ist gläubiger Christ, schon deswegen stehe er an der Seite des Landes, in dem Jesus als Jude geboren worden sei.
Die Rettung der 101 Geiseln, die noch immer in der Geiselhaft der Hamas sind, ist traditionell die Hauptforderung derjenigen, die zum „Marsch des Lebens“ kommen. „Hamas, lasst die Geiseln frei“, steht auf einem der Schilder. Auf dem schwarzen Transparent, mit dem die Kundgebung angeführt wird, stehen die Namen der Toten des Terrorangriffs.
Neubaur: „Wir dürfen die Feinde der Demokratie nicht gewinnen lassen“
Mona Neubaur, die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin, läuft hinter diesem Transparent, an der Seite von Alon Dorn, dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde Düsseldorfs.„Seit dem 7. Oktober habe ich von Anfang deutlich gemacht, dass die Solidarität mit Menschen jüdischen Glaubens im Zentrum stehen muss. Das war der größte Angriff auf jüdisches Leben seit der Shoah“, sagt die Grünen-Politikerin. Der „Marsch des Lebens“ sei auch deshalb für sie wichtig, weil „wir uns gegenseitig Halt geben“. Bei ihrer Rede auf dem Johannes-Rau-Platz betont Neubaur, dass die Hamas für die Eskalation im Nahen Osten verantwortlich ist, warnt vor wachsendem Antisemitismus und mahnt: „Wir dürfen die Feinde der Demokratie nicht gewinnen lassen.“
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Die Zunahme des Antisemitismus in NRW und in Deutschland ist ein Thema, das alle Teilnehmer der Kundgebung und alle Redner umtreibt. Alon Dorn, der Vorstand der Jüdischen Gemeinde, verweist auf eine jüngst vom Landesinnenministerium veröffentlichte Studie, laut der bereits ein Viertel der Bevölkerung ein verfestigtes antisemitisches Weltbild hat. „Antisemitismus getarnt als Israelkritik ist in unserer Gesellschaft tief verankert“, sagt er.
Dorn kritisiert eine „perverse Umkehr“ in der öffentlichen Wahrnehmung des Nahostkonflikts, in dem mit dem 7. Oktober eine „neue Dimension des Judenhasses“ begonnen habe. Der Antisemitismus sei ein Problem, dass nicht durch die Politik allein gelöst werden könne. „Die Zivilgesellschaft muss uns schützen“, so Dorn. Schon aus Eigeninteresse: „Es beginnt mit uns Juden, aber es endet nicht mit uns. Der Angriff auf die Demokratie ist ein Angriff auf uns alle.“
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Der überschaubare Zulauf bei der Kundgebung lässt aber manchen Teilnehmern Zweifel aufkommen, ob die Zivilgesellschaft hinter den jüdischen Menschen in Deutschland steht. Michael Szentei-Heise, der frühere Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde, freut sich zwar generell über die Solidarität, die auf der Demonstration gezeigt wird. Dass nur so wenige Menschen gekommen sind, sei aber „peinlich für die Stadtgesellschaft.“ Die Demonstration verläuft friedlich. Zu Zwischenfällen kommt es nicht.