Tamilen: Warum Kevelaer auch Muslimen und Hindus heilig ist
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Kevelaer. Seit 37 Jahren: Jedes Jahr zu Mariä Himmelfahrt kommen Tamilen aus ganz Europa an den Niederrhein. Das Pilgern ist auch eine politische Kundgebung.
Tausende Kerzen mit Herzenswünschen erstrahlen an diesem heißen Samstag am Kapellenplatz gegenüber der Marienbasilika. Bis zu 12.000 Tamilen werden an diesem Tag erwartet. Aus ganz Europa strömen die Menschen, die ursprünglich aus dem Norden Sri Lankas stammen, nach Kevelaer am linken Niederrhein.
Durch den langjährigen Bürgerkrieg auf der Insel ist die Wallfahrt zum Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“ ein Höhepunkt im kirchlichen Jahreskreis. So beschreibt es das Domradio. Und so sehen es die Menschen vor Ort. Freiwillig habe niemand die Heimat verlassen, erzählen sie. „Erst 2009 ist der Bürgerkrieg offiziell beendet worden“, erklärt Joseph Robinson von der Tamilenseelsorge in Essen; auch er ein Flüchtling wie fast alle.
„In Sri Lanka sind die Tamilen eine Minderheit von ungefähr 20 Prozent. 70 Prozent sind Singhalesen, die Übrigen gehören anderen Bevölkerungsschichten an“, erzählt er. Die meisten Tamilen sind Hindus, viele gehören dem Christentum oder dem Islam an. Und genau diese Unterschiede sind für Tamilen kein Problem. Insofern ist die 37. Wallfahrt auch ein gelebtes interreligiöses Fest.
Aus anderen Ländern angereist
Alle sind für den großen Tag festlich gekleidet. Jungen von drei Jahren tragen Anzüge, Mädchen prachtvolle Kleider. Aus Wuppertal ist der Tamile Vegman angereist mit seinen Verwandten. Seine Frau hat für die achtjährige Tochter eine weiße Bluse mit rosa Blumen und gleichfarbigen Knöpfen gewählt, ein passendes rosa Röckchen und weiße Glitzerschuhe mit Schleifen. Die Kleine strahlt. „Spannend und ganz toll“ findet sie den Tag.
Ihr Vater (38) erzählt, dass die Familie schon um 10 Uhr am Forum Pax Christi war, um die Messe mitzuerleben. Auch für den Maschinenbauingenieur ist die Wallfahrt ein ganz besonderes Ereignis. Natürlich zündet er auch Kerzen an. Ein Ritual, an das viele Wünsche geknüpft sind. „Persönliche, aber auch allgemeine und politische“, sagt er und erzählt sein Schicksal.
„Ich bin Anfang der 2000er Jahre ganz alleine nach Deutschland geflohen – ohne meine Familie. Denn es war Bürgerkrieg und ich sollte kämpfen. Aber ich kämpfe nicht mit Waffen für etwas und nicht gegen etwas. Da blieb nur die Flucht. In Wuppertal hatte ich ein paar Verwandte, darum fiel die Wahl auf Deutschland“, sagt der Ingenieur, der der römisch-katholischen Kirche angehört. Alle Tamilen, die über ihr Schicksal erzählen, haben ähnliche Erfahrungen und Lebensläufe. Auch, wenn es sie in unterschiedlichste Länder Europas geweht hat.
Ramona kommt jedes Jahr im August zur Tamilen-Wallfahrt an den Niederrhein und trifft Verwandte aus vielen Ländern. Die junge Frau wohnt eine Fahrstunde von London entfernt Richtung Norden und ist glücklich in England. Nach dem Studium arbeitet sie jetzt in der Personalabteilung einer Firma. Geboren wurde sie als Tochter tamilischer Eltern in den Niederlanden. Auch sie hat schon eine Kerze angezündet – ganz speziell für ihren Freund, verrät sie.
Ihre Oma in Sri Lanka hat sie einmal besucht. Ansonsten hat sie zu dem Land ihrer Eltern wenig Bezug. Stark beeindruckt habe sie allerdings die unglaubliche Hitze dort, erzählt sie. Heute feiert sie mit einer großen Gruppe von Verwandten, die aus den Niederlanden und England nach Kevelaer gekommen sind. Ein religiöses Verwandtentreffen, das allen guttut.
Auch die 14-jährige Tanee ist aus England angereist und freut sich, so viele bekannte und verwandte Gesichter wiederzusehen. Kevelaer bedeutet für sie alle Entspannung für die Seele, Hoffnung und Freude. „Wissen Sie, der Konflikt in Sri Lanka ist noch längst nicht zu Ende. Die Tamilen werden nach wie vor unterdrückt, sozial klein gehalten und haben wenig Rechte. Sie sind die deutlich gebildetere Schicht in dem Land, aber das Elend hat bisher nicht aufgehört, nur es spricht niemand mehr davon. Das interessiert einfach die Welt nicht mehr“, schildert Veeramaran V., ein praktizierender Hindu aus Essen.
„Deutsch-Tamile oder Tamilen-Deutscher “
Der 30-jährige studierte Vertriebler hat gerade mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn Kerzen auf dem Kapellenplatz angezündet. Alle Lebensgeschichten der Tamilen sind immer noch eng verknüpft mit dem jahrelangen Bürgerkrieg.
Veeramaran hat Sri Lanka öfter schon besucht. Ob er sich da heimisch fühlen würde, wenn er jetzt dort leben sollte, er kann es nicht genau sagen.
Tausende Tamilen treffen sich zur Wallfahrt in Kevelaer
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Bei einem Besuch im Land seiner Eltern hat er seine Frau kennen und lieben gelernt. Sie ist ihm nach Deutschland gefolgt. „Ich bin ein echtes Ruhrpott-Kind, in Essen-Altenessen aufgewachsen, auch in Dortmund hab ich schon gelebt“, erzählt er. „Ich bin Deutsch-Tamile oder Tamilen-Deutscher, wie man möchte.“
Im Meer der brennenden Kerzen, feinen Anzüge, und glänzenden Saris feiern auch Tänzerinnen zu Ehren der heiligen Maria im bundesweit zweitgrößten katholischen Pilgerort. 12.000 Teilnehmende sollen es nach Angaben der Polizei in diesem Jahr gewesen sein. Auch Bischof Justin Gnanapragasam ist extra aus Sri Lanka nach Kevelaer angereist. Die Stadt ist mittlerweile Ersatz für die Pilgerstadt Madhu in Norden Sri Lankas, die immer im August zum katholischen Hochfest Mariä Himmelfahrt einlädt.
Und auch das kann man an diesem Wallfahrtstag zwischen Tanz und eucharistischer Anbetung sehen: Kinder, die Luftballons in die Höhe halten mit Spiderman, Flugzeug und Fisch. In Kevelaer trifft Weltliches auf Religiöses, treffen sich Hindus, Christen und Moslems und beten alle gemeinsam für den Weltfrieden.
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