Brüggen. Christina Ingenrieth hat nie geplant, den Genholter Hof in Brüggen von ihren Eltern zu übernehmen. Doch dann änderte ein Moment alles.

Eines war für Christina Ingenrieth immer klar: „Ich übernehme auf keinen Fall den Betrieb meiner Eltern!“ Nunja, manchmal kommt alles anders... Seit einem Jahr führt sie den Genholter Hof in Brüggen und ist nun sogar nominiert als „Landwirtin des Jahres 2024“. Wie es dazu kam? Dazu muss die 31-Jährige etwas ausholen. „Ich bin hier groß geworden“, erzählt sie. „Und ganz klassisch erlebt man dann auch alles mit.“ Wobei, das fügt sie direkt hinzu, „ich war mehr in der Gastronomie als in der Landwirtschaft.“ Schon als Kind ist sie immer durchs Hofcafé gewuselt, später hat sie regelmäßig beim Bedienen geholfen... Und klar, sie kann alles auch mal zeigen!

„Wir haben dienstags bis samstags von 9 bis 18 Uhr geöffnet“, erklärt Christina Ingenrieth, nachdem sie durch den Hofladen, über die Terrasse, bis zum Hofcafé geführt hat. Morgens gibt‘s ein üppiges Frühstücksbuffet, später eine kleine Mittagskarte und nachmittags selbstgemachte Kuchen. Mama Gertrud war schon wieder fleißig, Papa Hermann hat übrigens mitgeholfen, deshalb ist der Kühlschrank gerade gut gefüllt: Stachelbeerbaiser, Kirschstreusel, Champagnerpfirsich... „Und Käsekuchen geht immer“, weiß die 31-Jährige. Das Hofcafé gibt‘s seit 25 Jahren, die Landwirtschaft ist jedoch schon viel länger ein wichtiges Standbein des Genholter Hofs. Der Opa war Landwirt, der Vater auch... und die beiden Töchter? Hatten erstmal andere Pläne!

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Ein Seminar, das alles für Christina Ingenrieth auf den Kopf stellt

Richtig so, denken die Eltern: „Ihr müsst für euch das finden, was ihr machen wollt!“ Schließlich wissen die beiden selbst nur allzu gut, wie viel Zeit und Kraft die alltägliche Arbeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb kostet. Für ihre Kinder wünschen sie sich ein anderes, einfacheres Leben... Und so absolviert Christina Ingenrieth erst eine Ausbildung zur Bankkauffrau, später studiert sie Betriebswirtschaftslehre. Drei Jahre lang wohnt sie in Münster, „eine tolle Stadt“, schwärmt sie, und doch kommt sie am Wochenende immer wieder zurück nach Brüggen, um im Hofcafé auszuhelfen. Komplett zurückzukehren, ist für sie zu diesem Zeitpunkt allerdings unvorstellbar.

Die Eltern Gertrud und Hermann Ingenrieth helfen auf dem Genholter Hof in Brüggen noch tatkräftig mit und backen u.a. die Kuchen fürs Hofcafé.
Die Eltern Gertrud und Hermann Ingenrieth helfen auf dem Genholter Hof in Brüggen noch tatkräftig mit und backen u.a. die Kuchen fürs Hofcafé. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Genau das ändert sich jedoch im Oktober 2017. In einem Seminar für Persönlichkeitsentwicklung sollen alle Studierenden die Augen schließen. Dann kommt die Frage: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ Und mit ihrer Antwort, „auf dem Genholter Hof!“, hätte sie selbst am allerwenigsten gerechnet. „Ich war erstmal überfordert“, erinnert sich Christina Ingenrieth. Wie soll sie damit umgehen? Mit wem darüber sprechen? Zunächst berät sie sich mit ihrer Schwester, dann mit ihren Eltern. Und nee, Freudensprünge macht erstmal niemand. „Weil die Rolle der Mutter und des Vaters dann wahrscheinlich doch stärker war“, überlegt sie. Die Skepsis ist bei allen groß, denn: „Ich war alleine, hatte nicht das Know-how.“

Lassen sich Arbeit und Freizeit in der Landwirtschaft vereinen?

Doch der Gedanke lässt Christina Ingenrieth nicht los. Deshalb wendet sie sich an eine Beraterin der Landwirtschaftskammer, die ihr einen hilfreichen Tipp gibt: „Nimm dir drei Jahre Zeit für die Entscheidung!“ Und genau das macht sie. Die Brüggenerin wägt alle Eventualitäten ab, schreibt ihre Gedanken auf. „Ich wollte nicht, dass meine Lebensqualität auf der Strecke bleibt“, sagt sie. Aber lässt sich beides, Freizeit und Arbeit, nicht auch in der Landwirtschaft vereinen? „Ich arbeite gern und viel“, betont sie, „aber ich möchte auch die Zeit haben, das Geld, das ich verdiene, auszugeben.“ Vielleicht unterscheidet sich dabei ihre Generation von der ihrer Eltern, ganz sicher sogar, aber dann muss sich eben auch das Unternehmen verändern.

Im Hofladen des Genholter Hofs in Brüggen finden sich so manche Leckereien...
Im Hofladen des Genholter Hofs in Brüggen finden sich so manche Leckereien... © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Irgendwie muss es klappen! Und das will Christina Ingenrieth allen beweisen. Also entscheidet sie im Juli 2020: „Ich mach‘s!“ Drei Jahre lang dauert der Übergang, in der ihr Vater sie in den landwirtschaftlichen Bereich einarbeitet, dann ist es im Juli 2023 offiziell: Sie übernimmt, als vierte Generation, den Genholter Hof. Wobei, ihre Mutter hat das Hofcafé aktuell noch gepachtet, ihr Vater hilft nicht nur in der Backstube, sondern auch auf den Wochenmärkten weiter mit... Und klar, bei vielen Fragen bespricht sich die 31-Jährige auch immer noch mit ihren Eltern. „Aber ich bin jetzt die Letztentscheiderin.“ Und als solche hat sie bereits einiges verändert. Manchmal sind es kleine Dinge, wie die drei Gästezimmer, mit denen sie nun auch auf großen Plattformen vertreten sind.

Christina Ingenrieth: „Ich bin keine Landwirtin, sondern Unternehmerin.“

Manchmal sind es aber auch grundlegendere Themen, wie die Vermarktung ihrer Produkte. „Die Landwirtschaft ist das Herz des Hofs und muss weiterhin bestehen“, betont Christina Ingenrieth. Aber wie kann das, gerade mit Blick auf Klimawandel und Personalmangel, funktionieren? Erdbeeren könnten sie im geschützten Anbau besser vor dem unbeständigen Wetter schützen, Spargel könnten sie auf noch mehr Wochenmärkten verkaufen. Ja, die 31-Jährige hat viele Pläne und Ideen! Deshalb freut sie sich natürlich riesig, dass sie als „Landwirtin des Jahres 2024“ nominiert ist. Wobei ihr eines wichtig ist zu betonen: „Ich bin keine Landwirtin, sondern Unternehmerin.“

Landwirtin des Jahres 2024

Agrarheute, ein Agrar-Fachmagazin, ermittelt im Rahmen des Ceres Award die besten Landwirte und Landwirtinnen des Jahres 2024. Insgesamt gibt es 21 Finalistinnen und Finalisten aus ganz Deutschland, darunter auch die Jungunternehmerin Christina Ingenrieth.

Die Begründung: „Als ausgebildete Bankkauffrau und studierte Betriebswirtschaftlerin bringt Christina Ingenrieth perfekte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Unternehmerin in der Landwirtschaft mit sich. Spargel, Erdbeeren, Süßkartoffeln und der Ackerbau bilden das landwirtschaftliche Herzstück des Hofes. Für zusätzliche Einkünfte sorgen Gästezimmer, ein Café, Mietgärten und sehr clevere neue Vermarktungsideen, denn die junge Hofnachfolgerin entwickelt den Familienbetrieb auch mal „Out of the Box“ weiter.“

Der mit insgesamt 27.000 Euro dotierte Preis ist die höchste Auszeichnung in der Landwirtschaft und wird in diesem Jahr zum elften Mal verliehen. Die feierliche Preisverleihung, an der Gäste aus Landwirtschaft und Politik teilnehmen, wird am 30. Oktober in Berlin stattfinden.

Weitere Informationen zum Genholter Hof sind online zu finden unter: www.genholter-hof.de. Übrigens, Christina Ingenrieth schreibt in ihrer monatlichen Kolumne der Landwirtschaftlichen Zeitschrift Rheinland über ihr Leben als Jungunternehmerin: www.lz-rheinland.de/nachricht/jungunternehmerin-hautnah

Und als solche kann sie sich gleich über noch eine Nachricht freuen. Der Bundesverband der deutschen Landfrauen hat sie in der Kategorie „Jungunternehmerin“ ausgezeichnet. Was sie gedacht hat, als sie davon gehört hat? „Krass!“, sagt sie und lacht. Weil sie sich natürlich freut, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird, aber weil sie gerade auch anderen Unternehmerinnen zeigen möchte: „Es geht auch so, abseits des klassischen Weges!“