Essen. In der Stadt angefeindet, in der Schule engagiert: Frida-Levy-Schülerinnen erleben Rassismus hautnah. Was sie in ihrem Alltag antreibt.

Frida Levy war 51 Jahre alt, als die Nationalsozialisten im Januar 1933 an die Macht kamen. Als Jüdin wurde die Essener Frauenrechtlerin zur Zielscheibe der neuen Machthaber. Der Antisemitismus, der schon in der Weimarer Republik weite Teile der Bevölkerung erfasst hatte, war nun staatliche Politik. Und heute? Die antisemitischen Straftaten sind in NRW stark angestiegen, auch rassistische Übergriffe häufen sich. Wie reagieren Schülerinnen und Schüler an einer Gesamtschule, die Frida Levys Namen trägt, darauf? Ein Ortsbesuch.

Zahnarzt lehnte das Kopftuch ab

Shaimaa (16) erlebt fast jeden Tag, wie es ist, rassistisch angegangen zu werden. „Ich werde ganz oft von Menschen beschimpft, weil ich ein Kopftuch trage“, erzählt sie. „Sie greifen mich mit Worten an, ohne Grund, manchmal auch mit Blicken.“ Noch schlimmer war es für sie, als sie im vergangenen Jahr einen Platz für ein Tagespraktikum suchte. Ein Zahnarzt sagte ihr: „Ich würde dich gern annehmen, aber du musst in dieser Zeit dein Kopftuch ausziehen.“ Shaimaa erinnert sich: „Das hat mich traurig und zugleich sauer gemacht. Ich habe dann Nein gesagt, weil das Kopftuch ein Teil meiner Identität ist.“

Das für sie schockierende Erlebnis verarbeitete die 16-Jährige unter anderem in einem Podcast, den die AG „Schule ohne Rassismus“ an der Frida-Levy-Gesamtschule produziert hat. Shaimaa spricht dort mit Ohemaa (15) über antimuslimischen Rassismus. Auch Ohemaa ist erschüttert: „Ich finde das schlimm. Jeder sollte die Freiheit haben, sich sein Aussehen oder seine Religion auszusuchen.“ In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es, niemand dürfe wegen seines Glaubens benachteiligt werden.

Demonstration nach Schüssen auf das Rabbinerhaus

Die Gesamtschule liegt nur 100 Meter neben der Alten Synagoge, heute ein Haus jüdischer Kultur. Als im November 2022 Schüsse auf das frühere Rabbinerhaus abgegeben wurden, rief die Schülervertretung zu einer Solidaritätsaktion auf. Rund 600 Schülerinnen und Schüler beteiligten sich und hielten Transparente mit dem Slogan „Gegen Antisemitismus“ in die Höhe. Uri Kaufmann, der damalige Leiter der Alten Synagoge, bedankte sich „für diese unterstützende Initiative wacher und engagierter Schülerinnen und Schüler“. Celina (16) berichtet, wie sie in der AG „Schule ohne Rassismus“ damals Plakate erstellt haben. Mit dem ernsten Gesicht von Frida Levy.

Für die Jüdin, die 1881 als viertes Kind von Samson und Johanna Stern geboren wurde, organisiert die Schule einmal im Jahr den „Frida-Levy-Tag“. „Wir werden immer wieder daran erinnert, wer sie war“, sagt Schülersprecher Emanuel (18). Jedes Jahr lernen die neuen Fünftklässler ihre Geschichte kennen, in der Oberstufe tauchen die Jugendlichen noch intensiver ins Thema ein und machen sich auf Spurensuche. Frida Levys Stolperstein liegt nur 1,5 Kilometer entfernt, an dem Ort, wo sie wohnte – „deportiert 1942, ermordet in Riga“.

Josy (links) und Shaimaa engagieren sich in der AG „Schule ohne Rassismus“. 
Josy (links) und Shaimaa engagieren sich in der AG „Schule ohne Rassismus“.  © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Kann so etwas heute wieder passieren? „Es darf sich auf keinen Fall wiederholen“, sagt Nour (15). „Und dafür ist Bildung ganz wichtig. Viele haben einfach zu wenig Ahnung. Sie können nicht einschätzen, wie schlimm das für die Menschen war, die damals verfolgt wurden.“ Ihrer Meinung nach sollte der Schulunterricht interaktiver sein, „es reicht nicht, nur Aufgaben im Buch zu lösen“. Nour würde gern einmal das Anne-Frank-Haus in Amsterdam besuchen, „da sieht man, wie sie gelebt haben“.

Bewegende Erfahrungen in Euthanasie-Tötungsanstalt

An einer ähnlichen Fahrt hat die 16-jährige Josy bereits teilgenommen. Mit der AG hatte sie im Rahmen des Lowenstein-Family-Awards eine Fahrt zu einer früheren Euthanasie-Tötungsanstalt in Brandenburg an der Havel gewonnen. „Wir haben viel über die Opferfamilien gelernt“, erinnert sie sich. Eine intensive Erfahrung, die sich ins Gedächtnis eingebrannt hat.

Ein Ort wie die Frida-Levy-Gesamtschule, an der viele Nationen und Religionen zusammentreffen, kann ein guter Ort sein, um Ressentiments abzubauen. Schülersprecher Emanuel ist überzeugt: „Selbst wenn man von zu Hause mit Vorurteilen in die fünfte Klasse kommt, verschwinden die hier sehr schnell. Die Angst vor dem Fremden gibt es bei uns nicht.“ Doch auch hier fallen in den Klassen manchmal im Streit diskriminierende Worte mit „Sch…“ am Anfang oder das N-Wort, „manche finden das lustig oder cool, aber es ist nicht akzeptabel“, findet Shaimaa.

Empörung über das Geheimtreffen der AfD

Jetzt will die Schule einen „diskriminierungskritischen Klassenrat“ einführen, „wir überlegen, wie wir das noch handlungsorientierter gestalten können“, sagt Lehrerin Marilena Gehrke. Dann schwenkt das Gespräch um zur AfD und den Abschiebeplänen, die bei dem Geheimtreffen im November 2023 ans Licht gekommen waren.

Nun ist es Emanuel, der sich empört. Remigration sei ein schlimmes Wort: „Ich habe mich integriert, habe die Sprache gelernt, mache hier mein Abi. Und dann sagt einer zu mir: ‚Geh zurück in dein Land!‘? Ist das hier nicht mein Land? Ich bin in Viersen geboren und die Heimatsprache meiner Eltern aus Ghana spreche ich schlechter als Deutsch.“ Der 18-Jährige kann sich nicht vorstellen, wie Deutschland ohne die vielen Ausländerinnen und Ausländer überleben könnte. Aber eins weiß er: „Wenn wir ein Land sein wollen, in dem alle willkommen sind, muss man bei den Kindern in der Schule ansetzen.“

Viele rassistische Inhalte auf Tiktok

Denn gerade bei jungen Menschen verfangen rechte Parolen schnell, wie erst kürzlich eine neue Studie ergeben hat. 51 Prozent aller 14- bis 29-Jährigen nutzen regelmäßig TikTok, wo die AfD deutlich stärker als die anderen Parteien vertreten ist. „Auf TikTok habe ich schon viele rassistische Inhalte gesehen“, sagt Rita (15). Videos, die Hass auf Ausländer und Juden säen. Videos, die Hitler verherrlichen. „Ich hab auch schon was gemeldet.“

Mehr rechtsextreme Straftaten

Im Jahr 2023 gab es mehr rechtsextreme Straftaten als im Jahr zuvor. Nach den vorläufigen Zahlen der Polizei wurden 2023 28.945 Straftaten verzeichnet. 2022 waren es noch 23.493. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) warf der AfD vor, mit menschenverachtenden und rassistischen Äußerungen ein Klima der Ressentiments und der Gewalt zu schüren.

Nour ist der Meinung, jeder einzelne müsse ein Bewusstsein für die Gefahr entwickeln, die von diesen Inhalten ausgeht, und den Konsum reduzieren. „Ein Verbot hilft weniger als die eigene Überzeugung.“

In der AG „Schule ohne Rassismus“ planen sie jedenfalls schon neue Aktionen, als Nächstes steht eine weitere Teilnahme am Lowenstein-Family-Award 2024 an - zum Thema „Wenn Heimat zur Fremde wird…Das Schicksal jüdischer Familien aus Essen”.