Düsseldorf/Wesel. Für den Wolf könnte es enger werden in NRW. Das Land plant eine Verordnung nach niedersächsischem Vorbild. Dort wird geklagt - bald auch in NRW?
Der Streit um den Wolf wird am Niederrhein mit harten Bandagen ausgetragen: „Ich habe sogar Morddrohungen bekommen“, sagt der Schafhalter Kurt Opriel aus Hünxe bei Wesel, der im Mai 2021 vergeblich auf einen Abschuss der Wölfin „Gloria“ geklagt hatte. Die niederrheinische Wölfin hatte nachweisbar zahlreiche Schafe seines Betriebs gerissen.
40 Attacken von Wölfen auf Nutztiere, meist Schafe, gab es 2021 in NRW - allein die Hälfte im Wolfsgebiet am Niederrhein. Nachdem viele Schafhalter wie Opriel inzwischen ihre Tiere in Ställen schützen oder Hütehunde angeschafft haben, suchen die Wölfe sich offensichtlich andere Beutetiere. Am 10. Oktober wurde in Petershagen erstmals ein vom Wolf gerissenes Kalb entdeckt. Zudem begann in dem Weseler Wolfsgebiet eine Serie von Attacken auf Ponys und Kleinpferde.
Allerdings scheint es derzeit insgesamt im Wolfsgebiet Schermbeck ruhig zu sein, der letzte Nutztierriss in diesem Gebiet war laut einer Übersicht des Landesamts für Umwelt- und Verbraucherschutz (Lanuv) am 16. Dezember. Damals soll ein Wolf elf Kaninchen in Bottrop gerissen haben. Der jüngste Eintrag stammt vom 3. Januar aus Hennef im Rhein-Sieg-Kreis, wo ein Schaf gerissen worden sein soll. Die Fälle sind noch in der Überprüfung.
Ponyrisse haben Debatte um Wolfsabschuss befeuert
Die Bilder der mit Kehlbiss getöteten und teils stark angefressenen Tiere fachten die Debatten um einen Abschuss von Wölfen noch einmal deutlich an. Kurz vor Weihnachten reagierte NRW-Ministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) und kündigte für Anfang 2022 eine Wolfsverordnung nach niedersächsischem Vorbild an, die Abschussmöglichkeiten für die im Naturschutzrecht streng geschützten Wölfe klarer fassen und möglicherweise ausweiten soll.
Die niedersächsische Verordnung erlaubt Entnahmen unter anderem dann, wenn Wölfe sich Menschen gegenüber aggressiv zeigen, sich ihnen auf unter 30 Metern nähern und sich nicht „vergrämen“, also etwa durch Beschuss mit Gummigeschossen vertreiben lassen oder wenn sie Wolfschutzzäune mindestens zweimal überwunden und ein Tier gerissen haben. Allerdings müssten solche Übersprünge eines 1,20-Meter-Elektrozaunes mehrfach in einem engen zeitlichen Zusammenhang passieren, um eine Verhaltensauffälligkeit des Wolfes anzunehmen, sagte die Ministerin bei der Vorstellung ihrer Pläne.
Der Entwurf der geplanten „Verordnung zum Wolfsmanagement“ in NRW ist derzeit in Bearbeitung, noch im ersten Quartal sollen sich das Kabinett und der Landtag damit beschäftigen. Dabei würden auch die Regelungen und Erfahrungen aus anderen Bundesländern geprüft, schildert ein Sprecher des NRW-Umweltministeriums auf unsere Anfrage. „Mögliche Inhalte sind Vorgaben zur Besenderung für wissenschaftliche Zwecke und Regelungen zur gegebenenfalls erforderlichen Vergrämung oder Entnahme von Wölfen“, erläutert er. Der Entwurf soll in den nächsten Wochen den Verbänden vorgelegt werden.
Folgt die NRW-Verordnung dem niedersächsischen Vorbild, könnte es bald eng werden für die Niederrhein-Wölfin „Gloria“ und ihre Artgenossen. Im Nachbarbundesland wurden bereits vier Wölfe auf der Grundlage von „artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen“ geschossen - in zwei Fällen, weil ein Wolfsrudel wiederholt auch Rinder und Pferde gerissen hatte und in einem anderen Fall, weil ein erheblicher Schaden von rund 70.000 Euro durch Wolfsattacken entstanden war.
Der Nabu Niedersachsen hat Klage gegen die dortige Verordnung eingereicht, weil sie aus Sicht der Naturschützer gegen Europarecht verstößt. Wirksamer Herdenschutz sei das einzige Mittel für ein Zusammenleben mit dem Wolf, argumentiert der dortige Nabu. Bei den vier niedersächsischen Abschlüssen seien außerdem nicht die angeblich auffälligen Wölfe entnommen, sondern jeweils ein Nachkomme stellvertretend geschossen worden, kritisieren die Naturschützer: „Das ist eine Art Vergeltung und kann nicht rechtens sein.“ Die Verordnung lege den Schwerpunkt nicht auf den Herdenschutz, sondern auf den Abschuss.
Wolfsverordnung: SPD-Landwirtschaftsfachmann ist skeptisch
„Wir hoffen, dass die NRW-Verordnung nicht 1:1 in Niedersachsen abgeschrieben wird“, sagt der Sprecher des Landesfachausschusses Wolf beim Nabu NRW, Thomas Pusch. Vor Entnahmen von Wölfen müssten wirklich alle Alternativen ausgeschöpft sein. Natürlich werde sich auch der Nabu NRW anschauen, ob die Verordnung EU-konform sei. „Es kommt auf die genaue Formulierung an. Hoffentlich werden die Verbände auch gehört.“
Christian Chwallek, stellvertretender Vorsitzender des Nabu NRW, will zunächst einen großen Runden Tisch mit NRW-Regierung, Naturschutzverbänden und Behörden in den kommenden Wochen abwarten, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Doch klar ist: Für den Nabu steht der „konsequente Herdenschutz“ an oberster Stelle. Die derzeit ruhige Lage führt Chwallek auch ein Stück weit auf den bisherigen Herdenschutz, das nächtliche Aufstallen der Tiere und die Aufmerksamkeit der Tierhalter zurück. Im Wolfsgebiet Schermbeck gebe es eine hohe Rehdichte – weshalb sich Wölfin Gloria dort wohl auch angesiedelt habe, schildert Chwallek. Genug Nahrung sei also vorhanden.
Auch der Landwirtschaftsfachmann in der oppositionellen Landtags-SPD, René Schneider, zeigt sich skeptisch angesichts der Pläne. Für einen gerichtsfesten Abschuss müsste man die Übergriffe einzelnen Tieren zuordnen. Das sei aber äußerst schwierig. Und selbst wenn ein einzelnen Wolf dann geschossen werden dürfe: Wie soll man ihn im Wald identifizieren?, gibt Schneider zu bedenken.
NRW-Naturschutzhaushalt umfasst 37 Millionen Euro
Solange Entnahmen von Wölfen nicht erlaubt sind, bleibt die Aufstockung von Schutzmaßnahmen mit Landeshilfe als einziges probates Mittel - doch das ist ziemlich teuer. 2021 seien Weidetierhalter NRW-weit bereits mit 1,5 Millionen Euro für Schutzzäune und Hütehunde unterstützt worden, teilte das Ministerium vor kurzem mit. 2022 sind weitere Mittel geplant, weil seit dem neuen Jahr im Schermbecker Wolfsgebiet auch der Schutz von Ponys, Klein- und Jungpferden gefördert wird. Das könne sich auf bis zu sieben Millionen Euro addieren, falls dort alle Pferdehaltungen gefördert würden, so das Ministerium.
Dabei ist der NRW-Naturschutzhaushalt, aus dem das Geld stammt, mit rund 37 Millionen Euro pro Jahr nicht übermäßig üppig dotiert, und er hat mit der Förderung der bedrohten Artenvielfalt im Land noch viele andere wichtige Aufgaben. Mit einem nennenswerten Teil des Etats Zäune zu bezahlen, stoße im Ministerium nicht gerade auf Begeisterung, war zu hören. (mit dpa)
Fragen zum Herdenschutz beantworten die Herdenschutzberater der Landwirtschaftskammer NRW unter 02945-989 429 oder 02945-989 740. Weitere Infos: www.landwirtschaftskammer.de