An Rhein und Ruhr. Seit einigen Tagen werden in NRW Drittimpfungen durchgeführt - trotz fehlender Stiko-Empfehlung. Das NRW-Gesundheitsministerium nennt den Grund.
Während die Zahl der Erst- und Zweitimpfungen in den vergangenen Wochen deutlich zurückgegangen ist, bekommen einige Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen bereits ihre dritte Dosis. Anfang September startete NRW mit den Auffrischungsimpfungen. Doch wie viele Menschen nehmen das Angebot wahr? Und warum hat die Politik trotz fehlender Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) bereits mit den Drittimpfungen begonnen? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Wer kann sich eine Drittimpfung abholen?
Impfberechtigt sind in NRW derzeit drei Gruppen. Erstens: Bewohner und Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen, Menschen mit einer Immunschwäche, Pflegebedürftige in ihrer eigenen Wohnung sowie über 80-Jährige. Zweitens: Personen, die vollständig mit Astrazeneca oder Johnson & Johnson geimpft wurden. Und drittens: Bürger ab 60 Jahren nach ärztlicher Beratung. Voraussetzung für alle drei Gruppen ist, dass Erst- und Zweitimpfung mindestens sechs Monate zurückliegen.
Wo kann ich mich zur Impfung anmelden?
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Das NRW-Gesundheitsministerium (Mags) will Bewohnern in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen nach eigenen Angaben bis zum 31. Oktober ein Impfangebot vor Ort machen. „In den übrigen Einrichtungen mit vulnerablen Personen sollen die Auffrischungsimpfungen bis zum 31. Dezember abgeschlossen werden“, schreibt das Mags auf NRZ-Anfrage. Alle anderen Impfberechtigten aus Gruppe zwei und drei müssen sich bei ihrem Hausarzt melden. Sie erhalten nur auf eigene Anfrage ein Impfangebot.
Bieten alle Altenheime Drittimpfungen an?
Alle Pflegeeinrichtungen in NRW sind laut Mags aufgefordert, Auffrischungsimpfungen zu organisieren. Laut einer repräsentativen Telefonbefragung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) hatten bis zum 8. September bereits 84 Prozent der befragten Einrichtungen Termine für eine Drittimpfung vereinbart. „Bei einer Gesamtheit von insgesamt 1145 Heimen entspricht das rund 962 Heimen in Nordrhein“, so KVNO-Sprecher Thomas Petersdorff. „Die meisten Termine sollen noch in diesem Monat stattfinden.“
Welcher Impfstoff kommt zum Einsatz?
Verimpft werden die beiden mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech. „Lieferengpässe können derzeit ausgeschlossen werden“, sagt Petersdorff. Auch laut Mags-Angaben sei bei den Ärzten, mobilen Impfteams und in den Impfzentren ausreichend Impfstoff für Drittimpfungen vorhanden.
Wie funktioniert eine Drittimpfung?
„Wenn unser Körper mit einem Infektionserreger konfrontiert wird, findet eine Immunreaktion statt“, erklärt Virologe Mirko Trilling von der Universitätsmedizin Essen. „Ein Teil davon wird zu unserem immunologischen Gedächtnis.“ Bei einer Zweit- oder Drittimpfung starte die Immunreaktion deshalb auf einem höheren Niveau. „Vereinfacht gesagt kann man sich das wie eine Berg- und Talfahrt vorstellen: Nach einer Impfung nimmt der Schutz langsam ab, fällt aber nicht auf null zurück“, so Trilling. Folgt dann eine weitere Impfung, steige die Immunreaktion über das Niveau der Erst- und Zweitimpfung.
Wie schnell lässt die Wirkung der Erst- und Zweitimpfung nach?
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„Das lässt sich so pauschal nicht beantworten, weil zwischen einer Ansteckung, schweren und lebensbedrohlichen Verläufen unterschieden werden muss“, sagt der Essener Virologe. „Was man sagen kann: Wer ein gesundes Immunsystem hat, ist durch eine zweifache Impfung sehr lange und effizient vor einer schweren Erkrankung geschützt.“
Anders sehe es aus, falls jemand aufgrund seines hohen Alters oder einer Vorerkrankung immunologisch beeinträchtigt ist. „Wenn das Immunsystem nicht besonders effizient wirkt, kann eine Drittimpfung nach über einem halben Jahr durchaus Sinn machen.“ Studien würden zeigen, dass Erst- und Zweitimpfung bei immunologisch benachteiligten Personen insbesondere nach längeren Zeiten teilweise keinen ausreichenden Schutz vor der Delta-Variante böten.
Warum werden nicht alle Bürger drittgeimpft?
Das sei auch eine ethische Frage: „Wir müssen natürlich weltweit verhindern, dass Menschen an einer COVID-19-Erkrankung sterben“, sagt Trilling. „Deshalb muss man sich vor Augen führen – und das sagt auch die WHO -, dass es für andere Länder nachteilige Folgen hat, wenn wir in Industrienationen breite Drittimpfungsaktionen starten würden und somit die Chance auf eine Erst- und Zweitimpfung für Bürger aus anderen Ländern reduzieren. Statt der gesamten Bevölkerung Auffrischungsimpfungen anzubieten, sei es sinnvoller, zunächst Erst- und Zweitimpfungen in Entwicklungsländern zu ermöglichen.
Davon würde auch Deutschland indirekt profitieren: „Wir wollen die weltweite Virusvermehrung ja möglichst kleinhalten. Wenn es aber zum Beispiel Regionen mit vielen Teilgeimpften gibt, in denen das Virus trotzdem stark zirkulieren kann, steigt das Risiko von Varianten.“ Es sei auch nicht im deutschen Interesse, wenn das Infektionsgeschehen wie in der ersten Pandemie-Phase von einer Region zur anderen „wandere“. Auch Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbands Nordrhein, wirbt deshalb für eine hohe Quote an Erst- und Zweitimpfungen: „Es nützt nichts, wenn wir die vulnerablen Gruppen immer wieder auffrischen, aber einen großen Anteil von Leuten haben, die eine Impfung komplett verweigern.“
Wie viele Bürger in NRW sind bereits drittgeimpft?
Laut Robert Koch-Institut haben bis zum 13. September insgesamt 57.738 Bürger in NRW eine dritte Dosis erhalten. „Die Auffrischungsimpfungen haben gerade erst begonnen“, schreibt das Mags. Zudem stehe aktuell auch noch eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) aus. Vor diesem Hintergrund seien die Zahlen in NRW als „sehr gut“ zu bewerten. „29,7 Prozent der bundesweit erfolgten Auffrischungsimpfungen haben in NRW stattgefunden. Das ist deutlich mehr als der NRW-Anteil an der Bevölkerung in Deutschland.“ Dieser liegt bei 21,6 Prozent.
Warum wurden die Drittimpfungen trotz fehlender STIKO-Empfehlung gestartet?
Die Meldedaten zum Infektionsgeschehen sowie die Rückmeldungen der Verbände der Pflege hätten laut Mags auf mehrere Impfdurchbrüche in Alten- und Pflegeheimen hingewiesen – darunter auch Bewohner, die ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. „Um dem entgegenzutreten, wurde durch die Gesundheitsministerkonferenz die Durchführung einer Auffrischungsimpfung bei diesen Personengruppen beschlossen“, schreibt das Mags auf NRZ-Anfrage.
Wie viele Hausärzte in NRW bieten Drittimpfungen an?
Dazu liegen Baaken vom Hausärzteverband Nordrhein keine Daten vor. Sie habe aber den Eindruck, dass es in der Bevölkerung aufgrund der fehlenden STIKO-Empfehlung noch eine gewisse Zurückhaltung gebe. „Die Leute sind vorsichtig.“ Auch der Hausärzteverband wolle zunächst abwarten: „Wir machen keine Hektik, das Thema ist nicht brandakut“, so Baaken. Für die meisten Bürger komme eine dritte Dosis ohnehin erst frühestens im Winter in Frage. Ihr Verband erhoffe sich nun eine Einordnung der STIKO – auch zu der Frage, wie die Drittimpfung parallel zur Grippeimpfung durchgeführt werden soll.
Wie sicher ist die Drittimpfung?
Ein Vorfall in einem Oberhausener Pflegeheim hatte Anfang September für Aufsehen gesorgt: Dort mussten zwei Personen nach einer Drittimpfung wiederbelebt werden. Unklar ist, ob die Reanimation in Zusammenhang mit der Auffrischungsimpfung steht. Vergleichbare Zwischenfälle seien für das KVNO-Gebiet derzeit nicht dokumentiert, so Petersdorff. Auch dem Mags sind abgesehen von dem Oberhausener Beispiel bislang keine schwerwiegenden Impfreaktionen bekannt.
Laut Trilling gebe es keine Hinweise darauf, dass die Drittimpfung in irgendeiner Form gefährlicher sei als die Erst- und Zweitimpfung. „Aus immunologischer Sicht ist es so, dass nach einer Drittimpfung üblicherweise ein starker Anstieg der virusspezifischen Antikörper nachgewiesen werden konnte.“ Hochbetagten Menschen sowie Personen mit Immunschwäche würde er entsprechend dem aktuellen Vorgehen nach sechs Monaten zu einer Auffrischungsimpfung raten. „Die Menschen brauchen sich da meiner Meinung nach keine Sorgen machen“, so Trilling. „Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass insbesondere diese Gruppe sehr von einer Drittimpfung profitieren wird.“