An Rhein und Ruhr. Wegen des Coronavirus schließen alle Behinderten-Werkstätten in NRW. „Das ist richtig“, sagen die Träger. Die Infektionsgefahr sei zu groß.
Der Erlass aus dem Ministerium zur Schließung der Werkstätten für Menschen mit Behinderung wurde von den Betreibern seit Tagen gefordert: „Wir haben die letzten beiden Tage gehofft, dass der Erlass kommt“, sagt Alexander Schmanke, Geschäftsführer der WfbM Duisburg. Die Situation war für ihn und sein Team nicht einfach. Einige der 1100 Mitarbeiter seien bereits zu Hause geblieben, aber der Großteil ist noch zur Arbeit erschienen. Auch heute. Sie wurden aber wieder nach Hause geschickt oder gefahren.
In den Werkstätten arbeiten insbesondere Menschen, die durch Alter, Vorerkrankung oder Behinderung einem besonderen Risiko durch das Corona-Virus ausgesetzt sind, in engem Kontakt miteinander stehen. „Durch den Erlass wird dieses Risiko minimiert. Uns ist die Gesundheit aller Mitarbeiter sehr wichtig. Die Entscheidung ist richtig“, sagt Alexander Schmanke. Für die Mitarbeiter, deren Betreuung nicht sichergestellt werden kann, stellen wir eine Notfallbetreuung“, erklärt der Geschäftsführer. Diesbezüglich ist die Werkstatt mit Wohneinrichtungen, Betreuern und Eltern in Kontakt. Schmanke geht aber davon aus, dass weniger als zehn Prozent aller Mitarbeiter eine Betreuung benötigen: „Wir sind aber darauf vorbereitet, haben genügend Platz und auch Personal, um die Betreuung sicherzustellen.“
Dass der Erlass zur Schließung erst zwei Tage nach den Kita- und Schulschließungen kam, kommentiert Schmanke so: „Man hätte viel Unsicherheit vermeiden können, wenn wir früher hätten schließen können. Aber es ist jetzt noch nicht zu spät.“ Bislang gebe es in der Werkstatt weder einen Verdachtsfall, noch einen Infektionsfall. Von sich aus, hätten die Werkstätten ihren Betrieb nicht einstellen können. „Wir dürfen nicht einfach schließen. Dazu brauchten wir den Erlass“, erklärt der Geschäftsführer.
Die Wirtschaftlichen Folgen sind noch nicht abzusehen
Die Schließung der Werkstätten betrifft auch den AV Concept Store, das Restaurant Ziegenpeter und die Fahrradwerkstatt. Die Reaktionen in der Belegschaft seien unterschiedlich. „Einige waren freudig, weil sie jetzt zusätzlich frei haben. Andere haben es auch noch nicht verstanden, dass damit aber verbunden ist, überwiegend zu Hause zu bleiben. Und viele Mitarbeiter sind natürlich traurig, haben sich von den Kollegen verabschiedet. Für diejenigen, die alleine wohnen und wenig soziale Kontakte haben, kann es schwer werden“, macht Alexander Schmanke deutlich.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zwangspause seien für die Werkstätten noch nicht abzusehen. „Wir sprechen jetzt mit den Auftraggebern, werden einzelne Produktionsaufträge noch erfüllen können, auch aus Lagerbeständen. Aber Großaufträge sicher nicht. Wir hoffen, dass uns die Kunden nicht abspringen. Aber die Frage ist ja auch, was die noch derzeit brauchen“, berichtet Schmanke.
Ansonsten werden die hauptamtlichen Mitarbeiter weiter in den Betriebsstätten zur Arbeit erscheinen. Sie können nicht ins Homeoffice, weil sie von zu Hause einfach nichts tun können. Dafür können sie nun die Arbeit erledigen, die in den vergangenen Wochen liegen geblieben ist.
Auch der Landschaftsverband Rheinland begrüßt den Erlass
So wie bei der WfbM in Duisburg haben auch die Werkstätten anderer Träger in NRW gehandelt. Auch die Werkstätten der Lebenshilfe Unterer Niederrhein haben ihre Arbeitsstätten in Alpen-Veen, Rees und Wesel geschlossen. Schon vor Tagen habe man einen Krisenstab einberufen. Einen womöglich höheren Betreuungsbedarf in den Wohnformen versuche man mit den Ressourcen aus anderen Bereichen wie Kitas, Freizeittreffs sowie den Werkstätten zu besetzen. Geschäftsführer Mike Stefan Töller spricht von einer „großen Solidarität“ innerhalb der Organisation. Das gelte auch für externe Wohneinrichtungen. „Wenn wir noch Kapazitäten haben, stellen wir die anderen Trägern zur Verfügung.“
Einige Wohngruppen hatten in den vergangenen Tagen von sich auch bereits ihre Bewohner nicht mehr in die Tagesstrukturen geschickt, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Auch der Landschaftsverband Rheinland begrüßt den Erlass des Ministeriums.
Auch der Landschaftsverband Rheinland begrüßt den Erlass des Ministeriums, weist aber auch darauf hin, dass es neben dem Gesundheitsschutz „gleichzeitig genauso wichtig ist, dass die Menschen mit Behinderung, die auf Betreuung und Unterstützung angewiesen sind, diese auch verlässlich sichergestellt werden, wenn die pflegerische oder soziale Betreuung sonst nicht möglich ist, weil private oder familiäre Betreuungspersonen wie beispielsweise Eltern arbeiten müssen. Der LVR appelliert an die Träger von Tagesstätten und Werkstätten, in diesen Fällen die Betreuung aufrecht zu halten. „Das Recht auf Betreuung und der Schutz der Gesundheit müssen gemeinsam gesichert werden“, sagt LVR-Sozialdezernent Dirk Lewandrowski.
Darum hatten Verantwortliche das Land aufgefordert, zu handeln
Noch am Dienstagabend forderte die Lebenshilfe, dass das Land endlich handelt. Die Lebenshilfe sagte offen, was sich viele Werkstätten in den letzten Tagen nicht getraut haben, deutlich zu sagen: „Wir befürchten, dass die Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu einem Katalysator der Verbreitung des Virus in den Wohneinrichtungen und Familien wird, sagte Philipp Peters, Pressesprecher des Lebenshilfe Landesverband mit Sitz in Hürth.
Die Lebenshilfe NRW hatte zudem die Sorge, dass in den Wohneinrichtungen zunehmend Personal erkrankt ausfalle. Die Personalsituation in den Häusern sei durch den Fachkräftemangel schon angespannt, wenn die Mitarbeiter nun noch ausfallen, sei die Versorgungs- und Betreuungssituation nicht mehr gewährleistet.
„Wir befürchten eine Entlassungswelle im sozialen Sektor“
Die Lebenshilfe sah „den langfristigen Fortbestand der Eingliederungshilfe insbesondere in den Bereichen Frühförderung, Schulbegleitung und Familienunterstützende Dienste in Gefahr, weil Kostenträger diese Phase scheinbar als aktuelles Einsparprogramm nutzen oder die Träger in Unsicherheit belassen und mit laufenden Personalkosten alleine lassen“, so Peters. Dabei sei das Geld in den Haushaltsplänen der Träger bereits eingeplant. „Wir befürchten eine Entlassungswelle im sozialen Sektor, dabei sind alle Träger auf Personal langfristig angewiesen.“
„Wir erinnern hier nochmals an unseren Vorschlag zur Einrichtung eines gesonderten Fonds für die Eingliederungshilfe“, erklärte der Pressesprecher im Vorfeld. Landesgeschäftsführerin Bärbel Brüning appellierte an alle Verantwortlichen des Gesundheitsbereichs, „die Eingliederungshilfe in Bezug auf Schutzmaterialien genauso wie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen unbedingt zu berücksichtigen. Bereits jetzt gibt es Engpässe auch in verschiedensten Wohnformen.“