Amsterdam. Veranstalterin verkündet Ende des Schönheitswettbewerbs. Sie verfolgt nun ein neues Ziel. Andere Organisatoren halten an Tradition fest.

Beim Schaulaufen der Schönen spielt der Typ keine Rolle. In den letzten Jahren war eine dunkelhaarige Schauspielerin unter den Gewinnerinnen, eine blonde Youtuberin und ein mittlerweile 23-jährges Transgender-Model. Seit fast einem Jahrhundert suchen die Niederländer jährlich die bezauberndste Frau des Landes. Mit dieser Tradition ist nun Schluss.

Die Organisatoren blasen die Wahl der „Miss Nederland“ ab. Die demütige Begründung: Diese Art der Unterhaltungskultur sei nicht länger mit dem Zeitgeist kompatibel. „Immer mehr junge Menschen“ rebellierten gegen „bestimmte Schönheitsideale“, Schärpe und Krone seien „nicht mehr zeitgemäß und teils problematisch“.

Ist die Kür einer Schönheitskönigin nach moderner Lesart eine frauenfeindliche Angelegenheit? Ist es generell sexistisch, das Aussehen von Menschen zu beurteilen – auch wenn sie sich freiwillig auf die Bühne stellen? Die Selbstauflösung der Organisation, die den Wettbewerb ausrichtete, spaltet das kleine Nordseeland. Cheforganisatorin Monica van Ee begründet den Paukenschlag so: „Es ist meine persönliche Mission, jungen Frauen ein Sprungbrett zu bieten und für viele junge Frauen ein Vorbild zu sein.“ Immer weniger Menschen identifizierten sich mit Schönheitsidealen. Im Gegenteil, sie haben realisiert, dass die Bewertung ihres Äußeren die Kandidatinnen belaste. Immer wieder, so van Ee, hätten sie sich Sätze anhören müssen wie „sie ist zu weiß, sie ist zu schwarz“. Als mit Rikkie Kolle 2023 erstmals eine Transfrau den Titel holte, erhielt sie eigenen Angaben zufolge Morddrohungen.

Wie zeitgemäß ist die Miss-Wahl?

Statt weiterhin perfekte Frauen zu suchen, haben die Verantwortlichen eine neue Onlineplattform gegründet, auf der Themen wie Emanzipation, psychische Gesundheit, Vielfalt und Selbstdarstellung besprochen werden sollen. Auf „Niet Meer Van Deze Tijd“ (Nicht mehr aus dieser Zeit) gebe es „keine Kronen mehr, sondern Geschichten, die berühren“.

Vor allem im Netz empören sich einige über eine Entscheidung, die in in ihren Augen Ausdruck einer woken Cancel Culture ist. „Die moralischen Kreuzfahrer setzen sich in diesem Land wieder durch“, kommentiert ein genervter Leser der Zeitung „AD“. Doch der radikale Schnitt erfährt auch Verständnis, sogar aus der Modelbranche. Amber Rustenberg etwa hält das Aus für eine gute Entscheidung. Die 27-jährige Amsterdamerin war im Juni zur „Miss Niederlande“ gewählt worden und wird somit die letzte Titelträgerin sein. „Eine sehr große Ehre“ sei das, sie gehe „ein bisschen“ in die Geschichte ein. Die Titelträgerin nutzt den Rest ihrer Amtszeit dazu, die neue Internetplattform bekannt zu machen. Sie habe selbst an Depressionen gelitten, so Rustenberg, weil sie ständig Zweifel gehabt habe, ob sie „gut genug, schön genug, klug genug“ sei.

Miss-Wahlen zwischen Emanzipation und Fleischbeschau

Protest gegen solcherlei Fleischbeschau ist nicht neu, die Ablehnung des Schönheitskults treibt skurrile Blüten. So wird seit 1990 in der Toskana die „Miss Cicciona d‘Italia“ gewählt, die nationale „Miss Dickwanst“. Teilnahmebedingung für die Frauen: mindestens 100 Kilo Gewicht. Bei Rimini feiern die Zuschauer beim Wettbewerb „Miss Chirurgia Estetica“ jährlich Frauen mit prallen Botox-Lippen und Silikonbrüsten. Und die Belgier ernannten 2009 eine „Miss Obdachlos“, die sich darüber freute, ein Jahr mietfrei wohnen zu dürfen.

Schönheitswettbewerbe kamen nach dem Ersten Weltkrieg in Mode. 1920 krönten die Franzosen „La plus belle femme de France“, 1921 die Amerikaner ihre „Miss America“, 1927 die Italiener die „Miss Italia“ sowie die Deutschen ihre „Miss Germany“. 1929 rief die Zeitschrift „Het Leven“ zur Wahl der „Miss Holland“ auf, aus der ab 1989 die „Miss Nederland“ wurde.

Das europäische Mutterland der Miss-Kultur ist Belgien. Die erste Wahl zur „Miss Europa“ fand bereits 1888 im Kurort Spa statt. 20 Frauen nahmen teil, die meisten von ihnen Belgierinnen und Französinnen. Am Ende machte die 18-jährige Marthe Soucarèt das Rennen, ein aus der Karibik stammendes Pariser Mädchen. „Eine Blondine mit schwarzen Augen, ausgestattet mit schönen Rundungen und einer schmalen Taille“, lobte die französische Zeitung „Le Figaro“ damals. Im traditionsbewussten Belgien denken sie nicht daran, dem niederländischen Beispiel zu folgen. Darline Devos, die Organisatorin der „Miss België“-Wahl, sieht die Sache ganz anders als Monica van Ee. Jedes Jahr gingen 1500 Bewerbungen bei ihr ein, berichtet die 60-Jährige. Die Frauen seien Botschafterinnen des ganzen Landes – und sehr wohl zeitgemäß.