Ameland. Mit „Sunneklaas“ auf Ameland haben Niederländer ihre eigene Version der skandalträchtigen „Klaasohm“-Tradition. Touris unerwünscht. Ein Einblick.

Die Lichter auf der Insel sind aus, die Straßen leer. Für Frauen und Kinder gilt am Abend eine Art Ausgangssperre. Und wer doch das Haus verlässt, wird mit Schlägen bestraft. Touristen und Presse sind dabei unerwünscht. „Sunneklaas“ heißt die Tradition, die jedes Jahr um den 5. Dezember auf der niederländischen Insel Ameland gefeiert wird und an den Brauch des „Klaasohm“ der ostfriesischen Nordseeinsel Borkum erinnert. Erst kürzlich hatte eine Dokumentation mit dem Titel „Frauen schlagen als Volksfest“ eines NDR-Fernsehteams deutschlandweit für Empörung gesorgt.

Der niederländische Nachrichtensender NOS (Nederlandse Omroep Stichting) titelte daraufhin am vergangenen Wochenende: „Ook Duitse versie van Sunneklaas in opspraak“, also: „Auch deutsche Version des Sunneklaas in Verruf geraten“. Denn auch die Ameländer halten ihre Tradition gerne aus der Öffentlichkeit heraus. Foto- und Videoaufnahmen des zweitägigen Volksfestes gibt es kaum. Bereits in der Vergangenheit hatte die Tradition im Nachbarland große Diskussionen ausgelöst. Diese erreichten schließlich 2023 ihren Höhepunkt, als ein Kamerateam von „PowNed“ versucht hatte, den Brauch auf der Insel zu begleiten. Feierlustige hatten die Journalisten daraufhin über die Insel verfolgt und bedroht.

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Ameländer Bürgermeister schreibt offenen Brief an Inselbewohner

Als Vorbereitung auf den Feiertag in dieser Woche wandte sich erst kürzlich der Bürgermeister von Ameland, Leo Pieter Stoel, an die Bewohner und appellierte an die Insulaner, dass das Fest so stattfinden müsse, wie die Gemeinde es seit Jahren gewohnt sei. „Damit will ich nicht sagen, dass es keine Grenzen gibt. Die gibt es“, heißt es in dem Schreiben. Jeder auf Ameland müsse in der Lage sein, das Fest sicher zu gestalten. „Das bedeutet, dass man aufeinander und auf Besucher vom Festland Rücksicht nehmen muss.“ Und auch die Pressefreiheit gelte auf Ameland, Reporter dürften über alles, was in der Öffentlichkeit geschehe, berichten. „Wir dürfen Reporter nicht bei ihrer Arbeit behindern.“

Aufgrund der Erfahrung der vergangenen Jahre und der Berichterstattung hätte sich die Gemeinde intensiv auf das diesjährige Sunneklaas-Fest vorbereitet. Somit stünden mehr Beamte als üblich zur Verfügung, „sichtbar und weniger sichtbar, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten.“ Außerdem setze man in den Dörfern Nes, Ballum, Hollum und Buren Ordnungshüter der Gemeinde ein. „Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinarbeiten, dass wir unser Spiel in Zukunft wieder ohne zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen spielen können, wie wir es gewohnt sind.“

Sunneklaas auf Ameland: Ab 17 Uhr beginnt die Jagd

Zuletzt hatten einige Ameländer bei einer Produktion des lokalen Fernsehsenders Omrop Fryslân mitgewirkt und in einer etwa halbstündigen Doku mit dem Titel „Sunneklas op Ameland: „Leve en late leve“ (auf Deutsch: Ameländer Sunneklaas: Leben und leben lassen) über die Tradition berichtet. Vor allem wird das Sunneklaas-Fest von den Bewohnern dort als „kulturgeschichtliche Tradition“ bezeichnet.

Der Legende nach sollen die Männer bei dem Fest böse Geister von der Insel vertreiben. Frauen und Kinder müssten nach Einbruch der Dunkelheit in ihren Häusern sein oder versammeln sich in „huiskes“ (Häuschen) oder Cafés – Zutritt gebe es dort jedoch nur unter männlicher Aufsicht. Dann, ab etwa 17 Uhr, gehen die Männer, die sogenannten „sunneklazen“, auf die Jagd. Bekleidet mit Laken, großen Gewändern und unheimlichen Masken ziehen sie durch die Straßen. Häufig mit dabei: unter anderem Stöcker oder Viehhörner.

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Dann beginnt das Katz-und-Maus-Spiel: Frauen und Kinder, die eigentlich in ihren Häusern bleiben sollen, versuchen, von Haus zu Haus zu ziehen. „Es ist unglaublich spannend. Es ist eigentlich eine Art Versteckspiel“, sagt eine Ameländerin in der Dokumentation. Doch was passiert, wenn die Frauen entdeckt werden? „Wir tragen diese Stöcke aus gutem Grund. Diese Frauen sind unerlaubt eingedrungen. Dann müssen wir sie korrigieren“, sagt ein weiterer Bewohner, der zu der Tradition befragt wird.

„Und wenn ich meine Frau auf der Straße mit einem Stock schlage?“, entgegnet der Reporter. „We slaan ze niet in elklaar, we geven ze een tiken tegen hun billen.“ Übersetzt: „Wir verprügeln sie nicht, wir geben ihnen einen Klaps auf den Hintern“, ist die Antwort des Hollumers. Dass es dabei nicht immer so glimpflich abläuft, zeigt ein Beitrag der Tageszeitung taz aus dem Jahr 2006. Die Frau, die für eine Reportage über das Sunneklaas-Fest vor Ort war, schildert darin gewaltvolle Szenen: „Während ich an meinem Fahrradschloss hantiere, spüre ich die Männer über mir und fühle die ersten Schläge.“ Von Stockschlägen auf Rücken und Beine ist die Rede. „Sie umringen mich, tuten mir mit großen gewundenen Kuhhörnern einen schaurigen Ton ins Gesicht und schlagen auf meine Beine. Einer beugt sich weit über mich und brüllt mich auf Holländisch an“, heißt es weiter in der Reportage.

In dem Beitrag ist ebenfalls der Brauch beschrieben, von dem auch die Inselbewohner in der lokalen TV-Dokumentation berichten: Männer schlagen mit ihren Stöcken auf den Boden, die Frauen seien damit aufgefordert, herüberzuspringen. Zum Abschluss des Festes kehrten die „sunneklazen“ in die „huiskes“ ein und die gesamte Inselgemeinschaft feiere. Die Verkleidungen blieben dabei an – und Frauen dürfen nach Mitternacht nur in männlicher Begleitung wieder nach Hause zurückkehren.

Ameländer erklären: „Es ist unser Spiel, wir können die Medien nicht gebrauchen“

Dass man Sunneklaas auf Ameland wie ein großes Geheimnis schützt und die Insel für die Tradition abschottet, argumentieren die Ameländer unter anderem mit der Angst, zu einer Attraktion zu werden. „Es ist unser Spiel, wir können die Medien dabei nicht gebrauchen“, sagt beispielsweise ein Insulaner. „Eine Feministin kann vom Festland kommen und sagen ‚Ich möchte gerne auf die Straße gehen. In den Niederlanden darf ich frei auf die Straße gehen.‘ Ja, das darf sie. Aber wir feiern hier unser Fest. Entweder geht sie also zwei Tage nicht auf die Straße oder sie bleibt zu Hause“, sagt ein anderer Bewohner im Interview.

Für die Ameländer Frauen, die in dem Bericht von Omrop Fryslân zu Wort kommen, scheint die Aufregung um den Brauch umsonst: „Wenn die Leute hier geschlagen und unterdrückt würden, dann würden wir nicht alle mitmachen, oder?“, fragt eine Bewohnerin im Interview. Zumindest für sie seien es „die schönsten Tage im Jahr.“