Schermbeck. Jeden Tag legt Janine Marx aus Schermbeck viele Kilometer zu Fuß zurück. Wie sie ihre Grenzen überwindet und damit gegen Erkrankungen ankämpft.

Die kürzeste Entfernung von Deutschland aus zum Südpol beträgt rund 15.700 Kilometer. Kennen Sie jemanden, der diese Strecke jedes Jahr zu Fuß geht? Sie tut es: Janine Marx, 26 Jahre alt, aus Schermbeck-Damm. Ihre roten Haare schauen ein wenig unter der Mütze hervor, wenn sie mit dem typischen Klick-Klack ihrer Walkingstöcke und in Barfußschuhen zu ihren täglichen Runden aufbricht. Janine läuft jeden Tag 42 Kilometer, oft sogar über 50. Ihre morgendliche Runde umfasst 32 Kilometer, die „kleine“ Nachmittagsrunde nochmal 10. „Mittags“, erzählt sie, „laufe ich dann noch die Hunderunde mit Kayla, meiner 8 Monate alten Hündin.“

Lauf ist für Schermbeckerin mehr als nur Sport

Warum macht jemand so etwas Extremes? Genau das wird die Schermbeckerin oft gefragt. „Ich sage dann immer, dass es mir guttut und mir die Struktur gibt, die ich brauche. Natürlich steckt noch mehr dahinter, aber das ist auf der Straße, beim Smalltalk, nicht einfach zu erklären.“ Denn das Laufen bedeutet für Janine weit mehr als nur Bewegung. Wie bei vielen Menschen hat es für sie eine heilende Wirkung – nicht nur auf den Körper, sondern auch auf den Geist. Die kontinuierliche Bewegung fördert die Ausschüttung von Endorphinen und hilft, Stress abzubauen. „Während ich laufe“, erklärt sie, „denke ich nach, reflektiere und verarbeite. Es ist wie aktive Meditation.“ Der Rhythmus der Schritte und die gleichmäßige Atmung helfen ihr, Gedanken zu ordnen und das Gefühl von Kontrolle zurückzugewinnen, das ihr oft fehlt.

Schon als Säugling wurde bei Janine ein Hydrocephalus diagnostiziert. Ihr musste ein Shunt eingesetzt werden, um das aufgestaute Gehirnwasser abzuleiten. Mehrmals musste der Shunt im Laufe der Jahre angepasst oder ausgetauscht werden. „Die Operationen sind nicht das Schlimmste“, erzählt sie. „Die Angst bei jedem Kopfschmerz, dass wieder etwas sein könnte, ist schlimm. Und früher das Mobbing in der Schule. Kinder warfen mir absichtlich Basketbälle an den Kopf und beleidigten mich. Das hat nicht nur physisch weh getan.“

Außerdem leidet Janine seit Jahren unter Rheuma und Arthrose. Laut dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin sind allein von chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen bundesweit mindestens 20.000 Kinder und Jugendliche betroffen. „Ich hatte immer Schmerzen und war sehr sensibel. Ich habe Menschen leicht vertraut und wurde oft enttäuscht. Freunde habe ich nicht. Meine beste Freundin ist Kayla“, sagt sie mit spürbarer Enttäuschung.

Neue Diagnosen und alte Ungewissheiten

Als das Mobbing auch an der weiterführenden Schule immer schlimmer wird, bricht Janine das Fachabitur ab. „Der Druck war zu groß. Jeden Morgen mit Bauchschmerzen in die Schule zu gehen, war unerträglich.“ In dieser Zeit beginnt sie, regelmäßig Sport zu treiben: Reiten, Radfahren, Fitnessstudio und Joggen – täglich 13 bis 16 km. Sie merkt schnell, dass Sport ihr guttut.

„Ich laufe nicht weg. Ich laufe mit mir und zu mir hin. Der Sport ist ein Ventil und die Schmerzen verringern sich beim Laufen. Ich laufe mich über den Tag frei.“ Bereits vor Jahren hat sie starke Gelenkschmerzen. Die Hände sind taub, die Finger verfärben sich und die Rückenschmerzen durch das Rheuma werden immer schlimmer. Rehasport und Physiotherapie lindern die Beschwerden zumindest etwas. Aus dem Joggen wird vor drei Jahren dann ihre Leidenschaft für das Walken. Das ist heute wichtiger denn je, weil Janines gesundheitliche Situation immer belastender wird.

„Ich laufe, solange es gesundheitlich geht – hoffentlich kann ich das noch lange tun.“

Janine Marx

Aktuell hat sie die Diagnose zu einer seltenen, unheilbaren Autoimmunerkrankung erhalten und eine weitere mögliche Diagnose steht noch aus. „Die Krankheiten können von heute auf morgen ausbrechen. Wenn sie die Organe angreifen, bleiben mir vielleicht nur noch 10 bis 15 Jahre.“ Die Ungewissheit ist für sie nur schwer auszuhalten. „Die Symptome fangen bei der Haut an und ich habe ja schon länger blaue Hände und Finger. Das macht mir Angst. Aber das Laufen hilft mir, meine Gedanken zu sortieren und mein Leben aufzuarbeiten. Ich laufe, solange es gesundheitlich geht – hoffentlich kann ich das noch lange tun.“

Schon als Teenager sucht Janine vergeblich nach Antworten auf den Ursprung ihrer Schmerzen, wird jedoch nicht ernst genommen. „Jetzt ist es zu spät“, sagt sie. „Ich versuche, jeden Tag mitzunehmen und zu genießen. Leider bin ich zu krank für einen Job. Ich mache den Haushalt für meine Mutter und meinen Bruder und laufe. Ich lebe wie im Maschinenmodus.“ Janine läuft jeden Tag – und mit jedem Kilometer schafft sie sich einen Freiraum. Sie hat einen Weg gefunden, mit ihrer Krankheit umzugehen, ihre innere Widerstandskraft zu stärken und den Herausforderungen ihres Lebens zu begegnen.