Wesel. In Wesel strebt eine junge Frau einen ungewöhnlichen Beruf an: Sie will Bestatterin werden. Was sie dabei begeistert und herausfordert.

Kälte. Das ist, was Ines Listl in den Sinn kommt, als sie an ihre erste Berührung eines Verstorbenen, der gerade aus der Kühlung kam, zurückdenkt. „Das erste Mal einen toten Menschen anzufassen war seltsam und surreal“, beschreibt sie ihre Erinnerung. „Ganz extrem war es auch, als ich das erste Mal eine Verstorbene geschminkt habe und die Reaktion, mit der man bei einer Berührung rechnet, einfach nicht kam. Das war ein sehr komisches Gefühl.“  

Die junge Frau, die von den Dr. Martens-Stiefeln hinauf bis hin zum Blazer ganz in Schwarz gekleidet ist, wirkt entspannt, während sie über ihre Erfahrungen redet und einige Kerzen in der Trauerhalle anzündet. Währenddessen kümmert sich nebenan eine ihrer Kolleginnen um einen Verstorbenen. Der Fachbegriff dafür lautet „Versorgung“ und diese ist neben vielen anderen Aspekten Teil der Ausbildung zur Bestatterin, die Ines Listl zurzeit beim Bestattungsunternehmen Keunecke in Wesel absolviert.  

„Ich fand den Beruf Bestatter schon immer interessant“, sagt die Auszubildende. „Mit dem Tod hatte ich schon früh Berührungspunkte, als meine Großeltern verstorben sind. Meine Eltern haben mich damals den ganzen Prozess miterleben lassen.“ Schon damals habe sie diesen spannend gefunden und als sie in der neunten Klasse ein Vortrag über das Bestatter-Handwerk hielt, war ihr Interesse endgültig geweckt. Im Anschluss absolvierte sie mehrere Praktika. 

Serie „Lust auf Lehre“

Der Fachkräfte-Mangel in Deutschland ist kein neues Phänomen und macht auch vor Ausbildungsbetrieben nicht Halt. Immer mehr Unternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Auszubildende zu finden. Wie der Jahresbericht des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt, blieben im Jahr 2023 73.400 Ausbildungsstellen unbesetzt – ein neuer Höchststand. 2,9 Millionen Menschen unter 34 Jahren haben in Deutschland keinen Berufsabschluss.

Dabei sind die Möglichkeiten abseits von Abitur und Studium nach wie vor mannigfaltig – auch in Wesel.
In dieser Serie stellen wir Ausbildungsberufe und vor allem junge Menschen, die sie absolvieren, vor.

„Ich denke, jeder ist zu etwas berufen“

Und dabei blieb es nicht. Eigentlich hätte sie gerne von vornherein ihre Ausbildung bei Michael Keunecke gemacht, doch Missverständnisse führten dazu, dass sie erst einmal in einem anderen Bestattungsunternehmen unterkam. Dann folgte jedoch schon bald der Wechsel zu Keunecke. In ihrem neuen Ausbildungsbetrieb ist sie schon überall involviert gewesen. „Primär bin ich in der Versorgung, arbeite also mit den Verstorbenen selbst“, sagt sie. Dabei wird sie immer von ihren Kolleginnen und ihrem Chef betreut. Außerdem ist sie auch bei Beerdigungen dabei, wenn sie gebraucht wird. Einige davon hat sie auch schon selbst durchgeführt.  

Bei ihrer Entscheidung Bestatterin werden zu wollen, wird Ines Listl von ihrer Familie unterstützt. Neben physischen Herausforderungen braucht es auch mentale Stärke, um den Beruf ausüben zu können.
Bei ihrer Entscheidung Bestatterin werden zu wollen, wird Ines Listl von ihrer Familie unterstützt. Neben physischen Herausforderungen braucht es auch mentale Stärke, um den Beruf ausüben zu können. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

„Man muss schon einiges aushalten können. Und vor allem auch damit umgehen können“, weiß die angehende Bestatterin. „Ich glaube, diesen Beruf kann nicht jeder ausüben, aber ich könnte auch nicht Friseurin sein. Ich denke, jeder ist zu etwas berufen.“ Und neben den richtigen Eigenschaften, die man für diese Aufgabe mitbringen muss, ist es auch wichtig, mit der Belastung umzugehen. Der ständige Kontakt zu Tod und Trauer muss verarbeitet werden. „Am besten ist es, darüber zu reden“, verrät Ines Listl. Dabei spiele vor allem auch die jeweilige Situation eine wichtige Rolle. Beispielsweise sei der Tod eines jungen Menschen schwerer zu verkraften als der einer 90-jährigen. „Jeder hat dabei einen eigenen Verarbeitungsprozess“, sagt sie.  

Von Seiten ihrer Familie wurde Ines Listl stets bei ihrer Berufswahl unterstützt. „Meine Eltern waren sofort begeistert“, sagt sie. „Bei meinen Freunden ist das schon wieder anders. Einige interessiert es sehr und bei anderen muss ich mich wirklich zurückhalten, weil sie davon nichts hören wollen.“ Dass die Wahl Bestatterin werden zu wollen, für sie das richtige ist, da ist sie sich jedoch ganz sicher, auch wenn sie als kleines Kind Feuerwehrfrau werden wollte. „Mein Vater ist Feuerwehrmann und damals wollte ich mit ihm zusammenarbeiten“, erinnert sie sich. In ihrer Familie gibt es bisher noch keine Bestatter.  

Ein Großteil der Bestatter-Azubis ist weiblich

„Die Bestattungsfachkräfte, die wir ausbilden, sind fast ausschließlich keine Kinder von Bestattungsunternehmern“, erklärt Michael Keunecke. „Außerdem ist der absolute Großteil der Auszubildenden weiblich.“ An den vier Standorten, die etwa 850 bis 900 Verstorbene im Jahr betreuen, sind außer Chef Michael Keunecke nur drei andere Männer tätig. Keunecke erklärt sich das vor allem damit, dass die soziale Kompetenz bei Frauen oftmals stärker ausgeprägt sei als bei Männern. „Wir sind dafür da, der Familie einen guten Abschied zu gewährleisten“, sagt er. „Dabei haben wir die besten Erfahrungen mit Frauen gemacht. Allerdings wäre es nicht schlecht, wenn noch der ein oder andere Mann dazukäme“, sagt er.  

Das hat damit zu tun, dass für die Aufgaben einer Bestattungsfachkraft neben Einfühlungsvermögen und Sozialkompetenz eben auch Muskelkraft gefragt ist. Denn auch wenn der Großteil der Menschen in Krankenhäusern stirbt, was die Abholung erleichtert, gibt es auch immer wieder Haussterbefälle, bei denen Kraft vonnöten ist. Wichtiger als das sei jedoch immer noch der passende Charakter und das Engagement für den Beruf. Denn nur so kann den Verstorbenen ein würdevolles Ende und den Hinterbliebenen ein angemessener Abschied von ihren Liebsten ermöglicht werden. Mit Professionalität, Einfühlungsvermögen und Wärme.