Wesel. Ältere Menschen, die das Internet nicht nutzen, haben immer mehr Probleme. Oft geht es um ganz praktische Dinge. Die Pandemie hat das verschärft.
Schon seit Jahren beobachtet Hermann Dobe, Vorsitzender des Sozialverbandes VdK für Wesel-Mitte, ein Phänomen, das er jetzt offen anspricht: „Viele brüsten sich mit großen Erfolgen bei der Digitalisierung, vergessen dabei aber komplett, dass damit auch einige Bevölkerungsgruppen abgehängt werden.“ Vor allem ältere Mitbürger hätten mehr und mehr Probleme, wenn sie nicht das Internet nutzen.
„Versuchen Sie mal Termine fürs Impfen oder in Testzentren zu machen, ohne online zu sein“, spricht er ein Thema an, das seit Beginn der Corona-Krise deutlich zu Tage tritt. Ähnliche Beispiele gibt es seit rund zwei Jahren immer mehr: In manchen Schwimmbädern kann man teilweise nur noch online ein Ticket buchen – ohne eigenen Zugang zum Internet: schwierig bis unmöglich.
Auch in anderen Bereichen geht man offenbar davon aus, dass jeder Mensch Zugriff aufs Netz hat. „Wie oft höre in in der Tagesschau: Mehr Informationen dazu gibt es bei uns im Internet“, ärgert sich Dobe. Was Senioren ebenfalls irritiert: Bei so mancher Telefon-Infohotline sowie in Info-Broschüren wird wie selbstverständlich auf eine Internetseite verwiesen, um mehr Informationen zu erhalten. „Aber noch lange nicht jeder hat Internet“, gibt Dobe zu bedenken. Er hat seine Mitglieder-Datei „durchforstet“ und kommt zu dem Ergebnis: Etwa 40 bis 50 Prozent der über 65-Jährigen haben kein Smartphone oder einen Computer. „Das ist ein Riesenproblem, in vielen Bereichen sind sie einfach weg vom Fenster.“
VdK in Wesel: Pandemie verschärft die Probleme noch
Vor allem in der Corona-Pandemie verschärfe sich nun diese Benachteiligung noch mal, meint Dobe: „Der VdK hat eine Warnung vor persönlichen Kontakten herausgegeben. Wer aber kein Internet hat, hat ein echtes Problem bei der Kommunikation mit der Außenwelt. Das gilt übrigens auch für jüngere Mitglieder, die wegen einer geistigen Behinderung zum Beispiel nicht mit einem Smartphone umgehen können. Für sie wird der Kontakt zu anderen mehr und mehr eine sehr schwierige Kiste.“
Und auch noch lange nicht alle Senioren nutzen die Möglichkeiten des Internets, beobachtet Hermann Dobe: „Fast alle unsere Mitglieder, die Internetzugang haben, schreiben ab und zu eine E-Mail. Manche von ihnen nutzen das Internet auch noch zum Einkaufen, einige wenige zum Online-Banking – Letzteres aber oft auch nur mit äußerster Angst.“
Lesen Sie hier den Kommentar: Digitalisierung darf nicht ausgrenzen!
Annemarie Gerlach, die Vorsitzende des Weseler Seniorenbeirats, bestätigt: „Wir sehen in der zunehmenden Digitalisierung schon eine Gefahr. Für uns ist das keine Frage: Es muss immer auch eine analoge Alternative geben.“ Mit fünf Mentoren bietet der Seniorenbeirat übers Internet-Café Schulungen an. Gerlach gibt zu bedenken: „Einige zeigen sich dafür daran sehr interessiert, doch es gibt natürlich noch viele Senioren, die nicht digital unterwegs sind.“
Studie liefert ein Lagebild zur Digitalisierung in Deutschland
Ein umfassendes jährliches Lagebild zum Digitalisierungsgrad der Gesellschaft liefert der D21-Digital-Index. Aktuell sind demnach 88 Prozent der deutschen Bevölkerung online, 80 Prozent nutzen das mobile Internet. Das bedeutet aber im Umkehrschluss: In Deutschland nutzen aktuell 8,5 Millionen Menschen nie das Internet.
Die Untersuchung beleuchtet unter anderem auch die Gruppe der „Digital Abseits-Stehenden“, die 16 Prozent der Gesellschaft ausmachen: Zu dieser Gruppe behören die „Offliner“ und die „Minimal-Onliner“ – diese Gruppe nimmt nicht oder nur sehr selten an der digitalen Welt teil. Diese Menschen hätten in der Regel wenig Interesse an digitalen Themen, oder wenn, dann brauchen sie Unterstützung.
Knapp drei Viertel (72 Prozent) der sogenannten „Offliner“ sind älter als 65 Jahre. Und: „Der formale Bildungsgrad ist in der Gruppe der ,Digital Abseits-Stehenden’ im Durchschnitt am Geringsten“, so der Digital-Index. Die Studie kommt zu dem Schluss: „Kenntnisse, Lebensumstände und Bedürfnisse unterscheiden sich sehr stark. Eine Gesellschaft und Politik, die die digitale Teilhabe für alle ermöglichen möchte, muss dieser Diversität gerecht werden.“