Oberhausen. Zwei Tage nach seinem 67. feiert der Australier in der Rudolf-Weber-Arena die eigenwilligen „Gospel“-Songs des neuen Albums. Noch gibt‘s Karten.

Neben Tonträgern aus Gold oder Platin sowie ausverkauften Stadien gibt es jene ultimative Auszeichnung für verdiente Rockmusiker, die immer noch ein höchst seltenes Privileg ist: Denn gediegene Graphic Novels kennt man nur von den Beatles und Bowie, von Elvis und Johnny Cash - und von Nick Cave. Der Australier beteuert denn auch im Klappentext der eigenen Bilder-Biographie ausdrücklich seine Unschuld: Nein, er habe Eliza Day nicht erschlagen - eine zarte Anspielung auf sein Duett mit Kylie Minogue, „Where the Wild Roses Grow“. Denn beim Zeichner Reinhard Kleist sah das im üppigen „Nick Cave“-Comic „Mercy on me“ von 2017 ganz anders aus. Entscheidend gewandelt gegenüber seinem geradezu mörderischen Düster-Image präsentiert der Sänger am Dienstag, 24. September - übrigens zwei Tage nach seinem 67. Geburtstag - in der Rudolf-Weber-Arena die Songs des neuen Albums „The Wild God“.

„Vielleicht haben wir damit unsere eigene Gospel-Musik kreiert.“

Thomas Wydler (64),
Schlagzeuger der Bad Seeds

Die neuen Lieder sind weit entfernt von den schaurig-schönen Mörderballaden und furiosen Wutsongs des vorigen Jahrhunderts, fanden aber bereits höchsten Anklang bei den privilegierten Hörern der Londoner Musikpresse, die sich den 18. Longplayer der Bad Seeds vorab anhören durften. „Der weise Mann des Rock“, wie es in einem großen Cave-Porträt der aktuellen „Mojo“-Ausgabe heißt, trägt zwar keinen weißgrauen Rauschebart wie sein kongenialer Geiger und häufiger Co-Autor Warren Ellis, hat sich aber im vierten Jahrzehnt dieser einst wilden Goth-Punks einen einzigartigen Status erarbeitet: Welche Band beginnt erst im Herbst ihrer Karriere damit, zuverlässig Stadien zu füllen? Für den Start der „Wild God“-Europatournee in Oberhausen sind übrigens noch Karten erhältlich.

Der Sänger als „Fliegender Holländer“:  Eine der vielen Rollen von Nick Cave, wie Reinhard Kleist ihn porträtierte.
Der Sänger als „Fliegender Holländer“: Eine der vielen Rollen von Nick Cave, wie Reinhard Kleist ihn porträtierte. © Carlsen Verlag | Reinhard Kleist

Die Goth-Fraktion unter den Fans dürfte schon befürchtet haben, dass Cave und Ellis - die beide auch ohne die „böse Saat“ unermüdlich produktiv sind - ihre altvertraute Band seit der ergreifenden Trauerarbeit des Albums „Ghosteen“ 2019 womöglich aufgegeben hätten. Doch wie Gitarrist George Vjestica über das unverzichtbare Septett sagt: „Diese Band kann mit größter Zurückhaltung spielen - und mit höchstem Energielevel. Unsere Musik kann die wütendste und die zärtlichste sein.“ Und der aus Zürich stammenden Seeds-Schlagzeuger Thomas Wydler meint zum neuen Album: „Vielleicht haben wir damit auf abstrakte Art unsere eigene Gospel-Musik kreiert.“

Neue Cave-Songs handeln von Anita Lane - und von Johannes vom Kreuz

Sicher keine falsche Kategorie - schließlich disputiert der 66-jährige Bandleader im singulären Online-Forum seiner „Red Hand Files“ mit den Fans im Wortsinne über Gott und die Welt. Und die literarischen Visionen eines Heiligen aus dem 16. Jahrhundert, nämlich des als Johannes vom Kreuz bekannten spanischen Mystikers, inspirierten den Text des Titelsongs „The Wild God“. Das macht jemanden wie Nick Cave längst nicht zum Frömmler - schließlich verneigt sich der neue Song „O Wow O Wow (How Wonderful She Is)“ explizit vor Anita Lane, der „Bad Seeds“-Frau der frühen Jahre. Als einzige Musikerin in der heutigen Formation übernimmt die kanadische Keyboardspielerin - und Kunstpfeiferin - Carly Paradis jetzt diesen Part.

Als Kreativgespann nahezu unvertrennlich: Warren Ellis und Nick Cave in „20.000 Days on Earth“, der Filmdoku von 2014.
Als Kreativgespann nahezu unvertrennlich: Warren Ellis und Nick Cave in „20.000 Days on Earth“, der Filmdoku von 2014. © Rapid Eye Movies | Rapid Eye Movies

Ob im dreiteiligen Anzug aus feinem Zwirn oder im aus dem Hosenbund gerissenen Hemd: Noch immer stürmen die Seeds - jedenfalls jene an den Saiten-Instrumenten - an den Bühnenrand wie eine Piraten-Crew. „Aber ihre Konzerte fühlen sich plötzlich nicht mehr wie ein Angriff an“, so ein verblüffter britischer Rezensent, „sondern wie eine Umarmung“.

Diese geradezu innige Beziehung zwischen Nick Cave und seinem Publikum hatte selbst Reinhard Kleist in seinem gezeichneten Biopic vor sieben Jahren nicht vorausgeahnt. Der geniale Zeichner hatte übrigens im Schloss Oberhausen bisher erst einen Kurzauftritt: vor zehn Jahren in der Gruppenschau „Streich auf Streich - 150 Jahre deutschsprachige Comics“. Angesichts so großartiger Musiker-Porträts von „I See a Darkness“ bis „Starman“ wäre es durchaus an der Zeit für eine große Einzelausstellung in der Ludwiggalerie.

Noch gibt‘s Tickets für den Start der „Wild God“-Europatournee

Es gibt noch Tickets für Nick Cave and the Bad Seeds in der Rudolf-Weber-Arena. Sie kosten zwischen 60 Euro und knapp 106 Euro. Die früher als König-Pilsener-Arena bekannte Halle an der Arenastraße 1 bietet Platz für bis zu 12.700 Fans.