Oberhausen. Der 66-jährige Australier ist weit mehr als Sänger düsterer Balladen: Sein Blog „Red Hand Files“ spendet Trost und teilt tiefe Gedanken.
Oberhausen darf sich durchaus geehrt fühlen: In der Rudolf-Weber-Arena eröffnen Nick Cave und seine getreuen Bad Seeds am Dienstag, 24. September, die herbstliche Runde ihrer Europatournee - übrigens zwei Tage nach dem 67. Geburtstag des Sängers, Autors, auf vorbildliche Art kontroversen Bloggers und neuerdings sogar Bildhauers aus Warracknabeal im Süden Australiens. Unter den 27 Stationen dieser „The Wild God“-Tour, benannt nach dem für August angekündigten neuen Album, sind nur vier deutsche Städte. Der Vorverkauf ist gestartet.
Bereits seit 37 Jahren besteht für Filmfans die (wohlgemerkt indirekte) Beziehung zwischen dem Düster-Rocker und Oberhausen: Es ist „Der Himmel über Berlin“, die filmische Engelsgeschichte des hier aufgewachsenen Wim Wenders, in der die Bad Seeds den Himmelsboten Bruno Ganz und Otto Sander in ihren langen Wintermänteln die Hölle heißmachen. Seitdem haben sich Nick Cave und seine Band, die inzwischen ihr 18. Studioalbum eingespielt hat, immer wieder neu erfunden.
Nick Cave als Blogger: Sänger stellt sich den ganz großen Fragen
Der Vorgänger des kommenden Tonträgers war 2019 „Ghosteen“, ein Album, das die Goth-Fraktion unter den Fans wohl schon mit seinem üppig bunten Fantasy-Cover verschreckt hatte. Dabei waren die überaus klangschön und zurückhaltend gestalteten Songs auf „Ghosteen“ Trauerarbeit: Gewidmet ist das Album dem an einem Gehirntumor verstorbenen „Seeds“-Keyboarder Conway Savage. Doch die Songtexte beschrieb Nick Cave als „metaphysische Gespräche“ mit seinem Sohn Arthur, der 15-jährig von den Klippen bei Brighton in den Tod gestürzt war.
Die Tragödie ließ den Sänger nicht verstummen, sondern machte ihn zum Blogger: Die „Red Hand Files“ sind ein in der Rockwelt wohl einzigartiges Online-Forum: Üppig illustriert, überwiegend mit religiösen Bildern aus der gesamten Kunstgeschichte, stellt sich Nick Cave hier den ganz großen Fragen aus seiner Community. Er tauscht sich aus mit trauernden Vätern, die ein Kind durch Selbstmord verloren haben, oder beantwortet in aller Ausführlichkeit die Frage: „Warum bist Du so überzeugt, dass Gott männlich ist?“
Nick Cave: neues Album „voller Geheimnisse“
Caves congenialer Kompagnon Warren Ellis gäbe mit seinem wallenden, graumelierten Bart zwar einen prächtigen Gottvater für jedwede neue Bibelverfilmung - doch natürlich stellt sich der 66-Jährige keinen persönlichen Gott auf schimmernden Wolken vor. Caves Glaube heißt Zweifel. Und den Wandel zu einer zunehmend melodiös-getragenen Musik erklärte er in Interviews auch mit einer gewandelten Bibellektüre: vom Alten zum Neuen Testament.
Seinen eigenen Dämonen gibt der ausdrucksstark Zweifelnde - nach Erfolgen als Romancier und Drehbuchautor - nun auch als Bildhauer Gestalt: Das Kunstmuseum im finnischen Tampere zeigte im vorigen Jahr eine gemeinsame Ausstellung mit dem Hollywood-Star Brad Pitt. 17 Keramik-Figurinen des Satans waren Nick Caves Beitrag.
Ob höllischer Ritt auf kreischenden Gitarren- und Violinen-Saiten oder himmelwärts erhabener Bariton: Auf seine charmant-verrätselte Art erzählt Nick Cave in den „Red Hand Files“ bereits vom kommenden Album „voller Geheimnisse: Es besteht aus einer Serie auf komplexe Art verbundener Erzählungen.“ Als zentralen Song nennt der Autor „Conversion“ - lässt aber offen, ob eine „Bekehrung“ im christlichen Sinne gemeint ist. Der 87-jährige Barde Kris Kristofferson erscheine in „Frogs“ und ein ganzes Dutzend weißer Vampire in „Cinnamon Horses“. Nick Cave verspricht den Fans ein auf seine eigene Art „freudvolles“ Album.