Oberhausen. Zum Einstand war die Riesentonne 1994 „Feuer und Flamme“ fürs Ruhrgebiet. Heute tauchen Gasometer-Besucher begeistert in den „Planet Ozean“.

Europas höchste Ausstellungshalle zwischen Rhein-Herne-Kanal und zwei Bahntrassen wirkt derzeit trotz ihrer stolzen 117,5 Meter Höhe ein bisschen wie eine übergroße Fischkonserve: Schließlich wirbt ein schnittiger Blauhai, vor Südafrika fotografiert von Tobias Friedrich, derzeit für die bedrohten Schätze im „Planet Ozean“. Für neue Rekorde sorgt nicht nur diese 18. Ausstellung in 30 Jahren - sondern auch der Gasometer selbst seit seiner Einweihung am 15. Mai 1929. Die nun 30-jährige Karriere als Schauplatz für „Magische Orte“ und „Wunder der Natur“ ist der wohl unwahrscheinlichste Coup in der 95-jährigen Historie dieses „Gasbehälters mit einem an der Innenwand gleitenden Abschlusskörper“, wie das kaiserliche Patent von 1915 die Bauart dieses Gasometers definierte.

Ein Millionending war die größte technische Konstruktion ihrer Art in Europa schon während der über zweijährigen Bauzeit von Februar 1927 bis Mai 1929. Doch die Kosten von 1,74 Millionen Reichsmark hatten sich für die Gutehoffnungshütte binnen eines Jahres bezahlt gemacht. Denn jetzt wurde kein „Zuviel“ an Gichtgas mehr abgefackelt, sondern konnte kontinuierlich die Koksöfen beheizen – und das wertvollere Koksgas ging an die Ruhrchemie. Dafür lohnte sich sogar ein fast kompletter Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

1993 stand der Umbau zum Ausstellungsraum der Rekorde an – nachdem in teils erhitzten politischen Debatten andere Optionen vom Abriss bis zur Indoor-Golfanlage verworfen worden waren. Der gläserne Panorama-Aufzug zum Dach war der teuerste Posten des 16-Millionen-DM-Umbaus, gefolgt von der Entsorgung jener Ölteer-Mengen, die während der Betriebs-Jahrzehnte die über 1200 Tonnen schwere Scheibe schmierten - oder „den Deckel auf der Blechdose“, wie Jeanette Schmitz sagt. Die Gasometer-Geschäftsführerin (seit ebenfalls 30 Jahren) erinnert an frühe Pläne, die Riesentonne mit der dünnen Stahlhaut in ein inneres Gipskarton-Mäntelchen zu hüllen oder einen Turm mit vielen Etagen in den Gasometer hineinzusetzen. Sie sei „froh, dass das nicht gekommen ist: Unser heutiges Raumerlebnis ist viel besser“.

Stimmungsbild aus „Feuer und Flamme“: Uhren und der Radsatz einer Dampflok symbolisieren das Zeitalter der Beschleunigung.
Stimmungsbild aus „Feuer und Flamme“: Uhren und der Radsatz einer Dampflok symbolisieren das Zeitalter der Beschleunigung. © Gasometer GmbH | Michael Rasche

Zum Gasometer-Einstand waren 480.000 gleich „Feuer und Flamme“

Diesen einzigartigen - man könnte auch sagen: für konventionellen Ausstellungsbetrieb unmöglichen - Raum effektsicher zu bespielen, mussten selbst Könner unter den Kuratoren erst einmal lernen. Doch ein besseres Eröffnungs-Motto als „Feuer und Flamme“ ließe sich wohl kaum denken, untertitelt „200 Jahre Ruhrgebiet“. Jürg Steiner, der Architekt des Gasometer-Umbaus, nannte die Schau sogar den „Prototyp einer kulturhistorischen Ausstellung außerhalb des gängigen Museumsbetriebs“. 480.000 Besucher waren 1994/‘95 ein enormer Einstands-Erfolg - heute wär‘s eine Enttäuschung. Aber damals wagte man in der unheizbaren Riesentonne auch noch keinen Ganzjahres-Betrieb.

Vom „Themensofa“ bis zum visionären Blick in den Cyberspace verblüffte „Der Traum vom Sehen“ als futuristisch gestaltete TV-Ausstellung im Gasometer.
Vom „Themensofa“ bis zum visionären Blick in den Cyberspace verblüffte „Der Traum vom Sehen“ als futuristisch gestaltete TV-Ausstellung im Gasometer. © Gasometer GmbH | Peter Lippsmeier

Vom einzigen Gasometer-Flop zum visionären Blick ins Cyberspace

Mit einem kühl-grafischen Poster und dem Slogan „ein Kunstereignis“ wurde 1996 „Ich, Phoenix“ zum einzigen „Flop“ der Gasometer-Historie - oder jedenfalls zur einzigen Schau mit einer „nur“ fünfstelligen Besucherzahl von 96.000. Dabei versammelte der „Vogel aus der Asche“ eine Creme de la Creme der deutschen Kunstszene von Thomas Ruff bis Katharina Sieverding. „Der Traum vom Sehen“ glich 1997/‘98 den kleinen Schnitzer wieder aus: 540.000 Besucher erhoben sich von den heimischen Sofas, um das „Zeitalter der Televisionen“, so der Untertitel, in hunderten Objekten und Filmszenen diskutiert zu sehen - inklusive eines damals noch visionären Blicks in den Cyberspace.

Der Kamera-Blick geht nach oben, an den Gasometer-Himmel - falls diese Perspektive aus der Christo-Schau „The Wall“ verwirren sollte. Im weiten Weiß der „Big Air Package“ wurde es für die Fotografen-Zunft noch irritierender.
Der Kamera-Blick geht nach oben, an den Gasometer-Himmel - falls diese Perspektive aus der Christo-Schau „The Wall“ verwirren sollte. Im weiten Weiß der „Big Air Package“ wurde es für die Fotografen-Zunft noch irritierender. © FFS | Ilja Höpping

Christos Gasometer-Doppel: Tonnenschwer und luftig-leicht

Nur ein Künstler durfte den Gasometer gleich zweimal bespielen - und der kam stets zu zweit: Schließlich waren Christo und Jeanne-Claude auch 1999 schon auf den Postern für „The Wall“ gleichberechtigt: Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer teilte das Künstlerehepaar die Riesentonne mit einer poppig-bunten Mauer aus 13.000 Öltonnen. Die „Mauer aus Ölfässern – Eiserner Vorhang“ war 1961 in Paris die erste Arbeit des Exil-Bulgaren im öffentlichen Raum gewesen: Sie hatte dem damals 26-Jährigen eine Nacht in der Gendarmerie eingebracht. Die 2013 nur mehr mit „Christo Big Air Package“ plakatierte Reprise war der größte denkbare Kontrast: eine „Luft-Skulptur“, die sich nur in ihrem Inneren erleben lässt. Mit 390.000 und 444.00 Besuchern blieben beide „Christos“ im Mittelfeld der Gasometer-Hits.

Der Gasometer feierte vor 24 Jahren ein Jahrhundert Deutscher Fußballbund (DFB) - und die Manege überwölbte eine große Fußball-Kuppel.
Der Gasometer feierte vor 24 Jahren ein Jahrhundert Deutscher Fußballbund (DFB) - und die Manege überwölbte eine große Fußball-Kuppel. © FFS | Tom Thöne

Fehltritt Fußball und ein Reinfall als „Glücksfall“

„Das Runde gehört ins Runde“ hätte auch schon für Christos tausendfachen Tonnenglanz gelten können. Für die Fußball-Schau des Jahres 2000, „Der Ball ist rund“, schmückte sich die Gasometer-Manege mit einer großen Fußball-Kuppel. Ein nationales Fußballmuseum war damals noch nicht einmal das sprichwörtliche „Gänseblümchen auf der Wiese“ - es sollte erst 2015 in Dortmund eröffnen. Nach Besucherzahlen war die Resonanz mit 219.000 allerdings nicht rekordmeisterlich, war auch „Blaues Gold“ 2001/’02 fast ein Reinfall. Doch der Künstler und Architekt Ian Ritchie sorgte für die Wende zum Ganzjahresbetrieb: Seine anspruchsvollen Ideen sorgten für derartige Verzögerungen, dass man sich entschloss, die Schau bis in den Winter zu öffnen. „Die ganze Manege war ein See“, erinnert sich Jeanette Schmitz, „mit einem ganz feinen Eisfilm“. Die aus der Not geborene Idee nennt die Gasometer-Chefin heute „einen Glücksfall“.

„Wind der Hoffnung“ hieß nahezu poetisch jene Ausstellung 2004, die ein Duplikat jenes Ballons in den Gasometer stellte, in dem Bertrand Piccard und Brian Jones die Erde umrundet hatten.
„Wind der Hoffnung“ hieß nahezu poetisch jene Ausstellung 2004, die ein Duplikat jenes Ballons in den Gasometer stellte, in dem Bertrand Piccard und Brian Jones die Erde umrundet hatten. © FFS | Tom Thöne

Der Gasometer als hoffnungsvoller „Versuchsballon“

Die Nuller-Jahre des 21. Jahrhunderts machten die Riesentonne zum „Versuchsballon“ - sogar in wörtlicher Hinsicht. Zunächst zeigte der jüngst verstorbene Videokünstler Bill Viola 2003 für immerhin 145.000 Besucher „Five Angels for the Millenium“. Der damals 52-jährige New Yorker nannte den 117,5 Meter hohen Raum „einen Ort, an dem Träume entstehen“. Nicht minder pathetisch nannten die beiden weltumrundenden Ballon-Piloten Bertrand Piccard und Brian Jones ihre Schau an der Adresse Arenastraße 11 „Wind der Hoffnung“: Raumfüllend rückte eine exakte Replik von Ballon und Kapsel namens „Breitling Orbiter 3“ in den stahlumhüllten Luftraum. Den bestirnten Himmel über uns simulierte dann 2006 die Bremer Klangkünstlerin Christina Kubisch unter dem Motto „Feuer Licht Himmel“ - 113.000 Besucher waren ein Achtungserfolg.

Die Wüste an der Küste, ein Satellitenbild von Namibia, bannt den Blick. „Das Auge des Himmels“ begründete 2008 die langjährige Zusammenarbeit mit den Bild-Magiern des DLR.
Die Wüste an der Küste, ein Satellitenbild von Namibia, bannt den Blick. „Das Auge des Himmels“ begründete 2008 die langjährige Zusammenarbeit mit den Bild-Magiern des DLR. © FFS | Tim Deffte

Beobachter von Erde und Weltall: der neue Gasometer-Partner DLR

Eine Schau von Satellitenbildern, „Das Auge des Himmels“, ließ 2008 die Besucherzahl auf 375.000 hochschnellen. Noch wichtiger: Sie begründete die bis heute bewährte Zusammenarbeit mit dem Earth Observation Centre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das in den nächsten 16 Jahren noch viel spektakulärere Bilddateien für die Riesentonne liefern sollte. Folgerichtig reichte 2009/‘10 die „Sternstunden“-Schau als zweite DLR-Kooperation fast an die Millionengrenze mit ihren betörenden Bildern aus dem Weltall - und mit einem zum Greifen nahen Mond: Erstmals wurde ein weißer Ballon hier zur schimmernden Projektionsfläche.

Unschöner Schein: Die Reproduktionen barocker Meisterwerke ignorierten die Maße der Originale ebenso wie deren Farben - ein unbefriedigender Abschied des Gasometers von Kunstausstellungen.
Unschöner Schein: Die Reproduktionen barocker Meisterwerke ignorierten die Maße der Originale ebenso wie deren Farben - ein unbefriedigender Abschied des Gasometers von Kunstausstellungen. © FFS | Kai Kitschenberg

Unschöner Schein: Kunstgeschichte für die Tonne

Zwei Ausstellungen mit durchaus stattlichen Besucherzahlen fügten sich weniger gut in die Riesentonne - und hätten in einem konventionellen Gebäude wohl bessere Möglichkeiten gehabt. Angesichts von inzwischen fast 1200 Unesco-Welterbestätten wird schon deutlich, dass sich die Schau „Magische Orte“ 2011/‘12 zu viel vorgenommen hatte. Beim wilden Ritt durch die Kunstgeschichte unter dem Titel „Der schöne Schein“ litt 2014/‘15 sogar die Schönheit: Denn die in einem (meist zu großen) Einheitsmaß reproduzierten Meisterwerke - von der Antike bis zum Impressionismus - waren nicht einmal annähernd farbgetreue Wiedergaben.

Die Erde geht auf: Die 20 Meter durchmessende Ballon-Skulptur, bespielt mit DLR-Daten, schwebte erstmals für die „Wunder der Natur“ im Gasometer.
Die Erde geht auf: Die 20 Meter durchmessende Ballon-Skulptur, bespielt mit DLR-Daten, schwebte erstmals für die „Wunder der Natur“ im Gasometer. © FUNKE Foto Services | Tom Thöne

„Wunder der Natur“: Die Erdkugel schwebt im Gasometer

Mit „Wunder der Natur“ 2016/‘17 hatte die Gasometer-Crew schließlich ihr bis heute bestimmendes Thema gefunden - für sich und fürs Publikum, das erstmals in Millionenstärke die grandiosen Tier- und Landschaftsfotografien bewunderte: 1.350.000 Besucher waren‘s schließlich, die sich nicht zuletzt von der schimmernden „Erdskulptur“ im tiefdunklen Luftraum dieses 117,5 Meter hohen Ausstellungsraums faszinieren ließen. Hier konnten die DLR-Datenmagier so richtig auftrumpfen, während der berühmte Ambient-Meister Brian Eno eine eher unspektakuläre Klangkulisse beisteuerte.

Alpenglühen: In der Manege des Gasometers ließ sich 2019 trefflich unter der Spitze des Matterhorns chillen - 537.000 folgten dem Ruf des Berges.
Alpenglühen: In der Manege des Gasometers ließ sich 2019 trefflich unter der Spitze des Matterhorns chillen - 537.000 folgten dem Ruf des Berges. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Der Berg ruft“ - und hängt kopfüber im Gasometer

Unser blauer Planet ist in seiner fragilen Schönheit nicht zu toppen - und war es auch nicht mit „Der Berg ruft“: Die Idee, ein Modell des Matterhorns „kopfüber“ über der Manege zu platzieren, sorgte zwar ebenfalls für Schauwerte. Viele dürften diesen Anblick aber auch als Skurrilität empfunden haben. Es war 2019 die letzte von Professor Peter Pachnicke kuratierte Ausstellung, der seit „Das Auge des Himmels“ dem Gasometer eng verbunden war.

Hunderte Ölfässer in antarktischer Natur - daran war Christo unschuldig: „Das zerbrechliche Paradies“ zeigte im Gasometer in aller Deutlichkeit auch die Gefährdung unseres blauen Planeten.
Hunderte Ölfässer in antarktischer Natur - daran war Christo unschuldig: „Das zerbrechliche Paradies“ zeigte im Gasometer in aller Deutlichkeit auch die Gefährdung unseres blauen Planeten. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Vom Rost befreit zum neuen Besucher-Millionen-Rekord

Kaum eine Kultur-Institution hatte soviel Glück mit dem Pandemiejahr wie die Gasometer GmbH: Schließlich war 2020 ohnehin für eine umfassende, 11,5 Millionen Euro teure Restaurierung der rostenden Stahltonne vorgesehen: Zwischenzeitlich zeigte sich das Industriedenkmal ganz in Weiß - als wäre postum noch ein Verpackungstraum von Christo und Jeanne-Claude wahr geworden. „Das zerbrechliche Paradies“ ließ weitere zwei Jahre lang, von Oktober 2021 bis November 2023, die Erdkugel aufgehen und zeigte in aller Deutlichkeit neben paradiesischen Naturschönheiten deren Bedrohung durch Raubbau und Klimawandel.

Idyll? Beim zärtlich schnäbelnden Basstölpel-Paar auf Helgoland verweist Fotograf Ondrej Prosicky auf das „Plastiknest“ aus Resten von Fischernetzen. Und im Hintergrund rechts pflügt ein gewaltiges Containerschiff heran.
Idyll? Beim zärtlich schnäbelnden Basstölpel-Paar auf Helgoland verweist Fotograf Ondrej Prosicky auf das „Plastiknest“ aus Resten von Fischernetzen. Und im Hintergrund rechts pflügt ein gewaltiges Containerschiff heran. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Für „Planet Ozean“ macht der Gasometer die Welle

„Planet Ozean“ erscheint als logische Fortsetzung dieses Themas - und hätte ebenfalls den blauen Planeten schweben lassen können. Stattdessen gab die Gasometer-Crew mit einer 20 mal 40 Meter messenden Gazefläche die „höchste Leinwand der Welt“ in Auftrag: Um diese „Welle“ über der Manege zu bespielen, die selbst einen Buckelwal in Lebensgröße zeigt, käme hochklassige Naturfotografie an ihre Grenzen. Die animierte Rekord-„Welle“ ist somit eine weitere Gasometer-Pioniertat. Ars Electronica Solutions aus Linz sorgt damit für einen jener Datenverarbeitungs-Geniestreiche, wie sie bisher dem DLR-Team um Nils Sparwasser gelungen waren.

Eine zweite Saison für den Ausstellungs-Hit ist wahrscheinlich

Die Öffnungszeiten des Gasometers sind dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Tickets lassen sich über den neuen Online-Shop bestellen oder an der Tageskasse kaufen. Der Preis für ein Erwachsenenticket beträgt 14 Euro, ermäßigt 11 Euro; Familien zahlen 33 Euro. 22 Euro kostet der Katalog aus dem Klartext-Verlag.

„Planet Ozean“ ist zunächst bis zum 30. Dezember 2024 im Gasometer zu sehen. Allerdings gingen die erfolgreichsten Ausstellungen bisher stets in eine zweite Saison. Online informiert gasometer.de