New York. Er brachte Technologie und Poesie zusammen: Der US-Amerikaner prägte mit wegweisenden Arbeiten zu Geburt und Tod seine Kunstrichtung.
Eine vor Schmerzen schreiende Gebärende, der weit aufgerissene Mund im erstarrten Gesicht einer Sterbenden oder ein an den Füßen gefesselter kopfüber hängender Mann, auf den wie bei einer Folter Wasser herabregnet: Wer die Videoarbeiten des US-Künstlers Bill Viola einmal gesehen hat, vergisst sie so schnell nicht wieder – zu persönlich und verstörend sind seine Inszenierungen, zu nahe geht es, wie Viola über Geburt, Tod und das Leben dazwischen nachgedacht hat.
Der New Yorker Künstler hat einen großen Anteil daran, dass Videoinstallationen heute überhaupt als anerkannte Kunstform gelten und in den bedeutendsten Museen der Welt zu finden sind. Am Freitag ist Viola im Alter von 73 Jahren gestorben. Sein Galerist Jim Cohan bestätigte der Deutschen Presse-Agentur einen entsprechenden Beitrag auf der Instagram-Seite der Bill Viola Studios, eine von Violas Frau Kira Perov geleitete Produktionsfirma im kalifornischen Long Beach. Viola zählte zu den einflussreichsten Künstlern seiner Generation. Anerkennung hat er auch mit einer großen Installation in Deutschland gefunden.
Bill Violas prägende Erfahrung: als Kind fast ertrunken
Der 1951 im New Yorker Stadtteil Queens geborene Viola erlebte bereits als Sechsjähriger ein dramatisches Ereignis, das ihn künstlerisch für immer prägen sollte. Er fiel auf einem See von einem Floß und wäre beinahe ertrunken, beschrieb die Eindrücke unter Wasser aber später in einer Interviewreihe mit dem Louisiana Museum of Modern Art als die „vielleicht schönste Welt, die ich je gesehen habe“. Er habe sich leicht gefühlt und das Erlebnis lange Zeit immer wieder vor seinem inneren Auge erlebt, sagte Viola, der damals von seinem Onkel gerettet wurde. Das Erlebnis des Ertrinkens, aber auch die Rückkehr ins Leben, waren Dauerthemen für Viola. Auch deshalb wählte er immer wieder Kirchen als Ort für seine Installationen.
Bei einer Ausstellung auf der Biennale in Venedig zeigte er 2007 „Ocean without Shore“ (Ozean ohne Ufer) nicht etwa in einem Pavillon, sondern auf drei großen Bildschirmen, die auf drei Altären aufgestellt waren. „Altäre sind ein Ort, an dem die Toten mit den Lebenden kommunizieren“, erklärte Viola.
Installation „Martyrs“ symbolisierte das Leid von Menschen
2014 stellte Viola dann in der Londoner St. Paul‘s-Kathedrale aus. In einem Seitenschiff kämpften vier Darsteller auf großen Bildschirmen mit den Naturkräften Luft, Feuer, Erde und Wasser, darunter auch der an Seilen gefesselte, kopfüber hängende Mann. „Martyrs“ hieß die Installation, die zeigte, wie die Märtyrer von den vier Elementen gepeinigt und fast zerbrochen werden, bevor sie „durch den Tod in das Licht gleiten“, wie Viola es selbst beschrieb. Die Märtyrer seien auch ein Symbol für das Leid von Menschen, deren Qualen wir durch die Massenmedien überall auf der Welt mitverfolgen könnten, sagte Viola damals. Sie seien eine Anklage gegen die Untätigkeit der Zuschauenden.
Viola wurde auch Magnet am Gasometer Oberhausen
Berühmt wurde auch „Nantes Triptych“, eine Installation von drei Video-Bildschirmen. Sie zeigte eine gebärende Freundin von Viola, einen im Wasser treibenden verschwommenen Mann und seine Mutter auf dem Sterbebett ihres Pflegeheims. „Ich dachte, dies sind die großen universalen Erfahrungen“, erklärte er dazu in einem Interview. „Das sind die größten privaten menschlichen Erlebnisse und die Kamera ist die Bedrohung dieser Privatsphäre – und so entsteht die Spannung.“
Arrangements sind häufig ein Geduldsspiel
Für seine Zeitgenossen, die schnelle Schnitte gewohnt sind, wurden solche Arbeiten manchmal zum Geduldsspiel. Oft zeigten sie minutenlang nur eine Einstellung, doch hinter diesen simplen Ideen steckten komplexe, durchdachte Arrangements. Etwa im Oberhausener Gasometer, wo er 2003 „Five Angels for the Millennium“ installierte: Menschen, die ins Wasser springen, eintauchen, untertauchen. Verfremdet durch extreme Zeitlupen, Farben, Klänge und Rückwärtsprojektionen. Dazu kam der Hall im riesigen Gasometer. Fast 140 000 Menschen wollten das sehen.
Vor fünf Jahren bekam Viola den Praemium Imperiale des japanischen Kaiserhauses, die weltweit höchste Auszeichnung für die bildende Kunst. Damit sollte seine „bewegte Malerei“ gewürdigt werden. „Es wird Violas bleibender Beitrag zur Kunstgeschichte sein, dass er Video und Film – das bewegte Bild, ein Medium, das wir alle für selbstverständlich hinnehmen – benutzt hat, um die Tiefen der menschlichen Emotion auszuloten“, erklärte Galerist Cohan. „Bills Arbeit spricht den Kenner genauso an wie die Uneingeweihten.“ – Violas größtes Verdienst mag aber sein, dass es heute keine Diskussion mehr darüber gibt, ob Videos auch Kunst sein können. dpa