Oberhausen. Viele Passanten stören sich an den Trinkern in der Oberhausener Innenstadt. Doch wie ist ihr Leben wirklich? Wir haben mit ihnen gesprochen.
- Die Trinkerszene trifft sich nahezu täglich in der Oberhausener Innenstadt
- Viele Passanten sind genervt von ihrem Anblick
- In Gesprächen mit ihnen wird klar: Viele ertragen ihre Einsamkeit nicht
Der Altmarkt in der Oberhausener Innenstadt liegt im hochsommerlichen Mittags-Sonnenschein. Im Biergarten vom Gdanska sitzen nur vereinzelt Gäste, ein paar Meter weiter warten zwei Marktstände auf Kundschaft. Vom Trubel auf der Einkaufsstraße dringt kaum etwas bis hierhin. Am Brunnen steht ein Paar und küsst sich leidenschaftlich. Daneben, ungerührt, sitzen zwei Männer mit Bierflaschen in der Hand: Hausmarke bei Netto, 52 Cent. Wenn es etwas Besonderes sein soll, dann trinken sie hier Curuba. Das geht aber nicht oft, denn die Männer und Frauen, die hier am Brunnen ihre Zeit totschlagen, müssen auf jeden Cent achten. Sie verzichten auf vieles, doch den Alkohol brauchen sie, um den Tag zu überstehen. Und den nächsten.
Jede Stadt hat ihre „Szene“, dieses Grüppchen von Leuten, die irgendwo scheinbar anlasslos herumstehen. Manche sehen verwahrlost aus, einige wirken aggressiv, suchen Streit und schreien herum. Die meisten jedoch sitzen in einer Ecke, traurige Gestalten mit glasigen Augen. Sie betteln nicht, sie sprechen niemanden an. Dennoch empfinden viele sie als störend. Geschäftsleute wollen sie nicht in ihrer Nähe haben, weil sie die Kundschaft vergraulen könnten, Flaneure in den Innenstädten finden, dass sie das Stadtbild verschandeln. In Oberhausen ist das leerstehende Kaufhaus von P&C ein beliebter Treffpunkt für sie. Und der Brunnen am Altmarkt.
„Man kann diese Menschen nicht verdrängen und nicht wegsperren“, sagt Frank Bremkamp, Leiter des Bereichs Soziales, Gesundheit und Integration bei der Diakonie in Oberhausen. Vor zwei Jahren hat er einen Vertrag mit der Stadt darüber abgeschlossen, sich der Oberhausener „Szene“ in der City anzunehmen. Die Projektzeit ist gerade abgelaufen, es wurden weitere zwei Jahre vereinbart, in denen Bremkamp zwei seiner Sozialarbeiter als Streetworker regelmäßig in die Marktstraße schickt. Um zu „vermitteln“, wie er es nennt. Damit alle den öffentlichen Platz nutzen können, der auch allen zusteht.
Trinkerszene Oberhausen: „Ich könnte 20 Flaschen Bier am Tag trinken“
Daniel Frömmel und Yvette Bernick haben ihre Mission damit gestartet, Kontakt aufzubauen. Damit sie überhaupt einen Ansprechpartner haben, wenn es zu Konflikten kommt. Nach zwei Jahren wissen die Streetworker so einiges über ihre Klientel: 80 Prozent von ihnen sind Männer, die meisten sind zwischen 30 und 60 Jahre alt, es handelt sich um keine homogene Gruppe, sondern eher um Einzelpersonen oder Freunde/Bekannte, die zu zweit oder dritt unterwegs sind. Ihr Verhalten ist oft unberechenbar, denn: Fast alle sind in Substitution, das heißt, sie haben früher Heroin genommen und versuchen nun, mithilfe der Methadon-Ausgabe im Substitutionszentrum an der Hermann-Albertz-Straße davon loszukommen. „Das sind schwerstabhängige Menschen“, sagt Daniel Frömmel. Und weil die Ersatzstoffe keinen Rausch auslösen, suchen sie diesen in anderen Betäubungsmitteln wie Alkohol oder Cannabis.
„Ich könnte 20 Flaschen Bier am Tag trinken“, sagt Sascha, der jetzt auch auf den Stufen des Brunnens sitzt. Er sieht traurig zu Boden, es war nicht als Witz gemeint. „Leider“, fügt er leise hinzu. Der 46-Jährige ist einer der wenigen, die ihren Namen nennen wollen. Die meisten wollen unsichtbar sein. Einfach in Ruhe gelassen werden. „Solange mir keiner was tut, tue ich keinem was“, sagt ein etwas älterer Mann, der ansonsten schweigt. Routiniert nimmt er einen Schluck aus der Pulle. Andere hier wirken hektischer. Das Paar umschlingt sich immer wieder, stößt sich ab, kommt wieder zusammen. Besonders sie kann nicht stillhalten.
Natalie ist 38 Jahre alt. Man merkt ihr an, dass sie betrunken ist. Immer wieder richtet sie ihren langen blonden Zopf. Den Drogenentzug hat sie geschafft. Wie die meisten hier, die zur Entgiftung schon im St.Josef-Krankenhaus waren. „Aber ich trinke halt noch“, sagt Natalie. Damit müsste sie auch noch aufhören, damit sie ihre Tochter zurückbekommt. Die ist 15 und lebt in einer Pflegefamilie. Eine eigene Wohnung hat sie zurzeit nicht, sie und ihr Freund schlafen bei einem Bekannten, der ein Zimmer in seiner Wohnung an sie vermietet hat.
Trinkerszene in Oberhausener Innenstadt: nicht obdachlos, sondern wohnungslos
„Viele sind nicht obdachlos, sondern wohnungslos“, erklärt Daniel Frömmel. Eine Adresse zu haben, ist wichtig, sonst gibt es keine Sozialleistungen vom Staat. Wenn es gar nicht anders geht, können sie die Diakonie als Postadresse angeben. Der Sozialarbeiter macht sich keine Illusionen: „Da wird es keiner in die Abstinenz schaffen.“ Ihre Unterstützung sei trotzdem gerngesehen und sie freuen sich, wenn ihre Hilfe angenommen wird. „Die haben sonst niemanden“, sagt Frömmel. Mal helfen sie, Post von Ämtern zu lesen und zu beantworten, mal gehen sie zusammen zur Kleiderkammer und besorgen neue Klamotten. Wirkt jemand hungrig, laden sie ihn zum Mittagessen im Diakonie-Treffpunkt an der Grenzstraße.
„Das hört sich vielleicht nach Kleinigkeiten an, aber das sind große Erfolge“, sagt Yvette Bernick. Als es einmal einer Klientin immer schlechter ging, sie irgendwann sogar im Koma lag, haben sie die Frau im Krankenhaus besucht. Der schlimmste Fall sei aber ein anderer gewesen: Wegen verunreinigter Spritzen hatte eine Klientin eine Blutvergiftung. Es mussten ihr Gliedmaßen amputiert werden. Sie hat es nicht überlebt.
Warum, fragen sich viele Oberhausenerinnen und Oberhausener, können sich diese Leute nicht einfach zu Hause treffen, so wie andere auch? „Die meisten haben nur ganz kleine Wohnungen“, sagt Streetworker Daniel Frömmel. „Und sie können auch nicht jedem trauen.“ Wer süchtig ist, braucht dauernd Geld. Am Brunnen gibt es die Geschichte von einem Freund, der den anderen bestohlen hat, als dieser schlief. Als er den Diebstahl bemerkte, ging er mit einer Machete auf ihn los. Die Polizei wurde gerufen, „und jetzt habe ich 1200 Euro Schulden“. Man muss aufpassen, mit wem man sich anfreundet, da sind sich alle einig. „Das ist der tägliche Kampf ums Überleben“, sagt ein anderer.
Menschen, denen es so schlecht geht wie Sascha oder Natalie, die haben schon einiges erlebt in ihrem Leben. „Heimerfahrung, geringes Bildungsniveau, Vergewaltigung“, zählt Daniel Frömmel das Leid auf, das ihm begegnet. Eine Therapie habe oftmals keinen Zweck, weil es kein Ziel gebe, auf das man hinarbeiten könne. „Diese Strukturen, in die man normalerweise versucht zurückzukehren, die haben sie nie gehabt.“ Also landeten fast alle nach dem Entzug wieder auf der Straße. Hier finden sie zumindest oberflächlich die Nähe, die ihnen in der Einsamkeit zu Hause fehlt. Es sind keine Freundschaften, die hier entstehen, dafür ist jede und jeder viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aber ein Gefühl von Gemeinschaft, das gibt es doch. Und einige kennen sich sogar schon seit Jahrzehnten.
Weg von den Drogen, aber immer noch an der Flasche: „Szene“ in Oberhausens Einkaufsstraße
So wie Natalie und Pommes, der gerade dazugekommen ist. Auch er kann nicht stillstehen, fuchtelt beim Sprechen mit seinem verbundenen Arm herum. Was ist passiert? Er will es nicht sagen. „Ach, das ist nix“, sagt er mit einer wegwerfenden Bewegung. „Das ist doch gar nix.“ Einige lachen wissend. Es scheint nicht ohne Blessuren zu gehen, dieses Leben, das sie führen. Pommes ist 44. Er versteht nicht, was die Leute an ihm und den anderen stört. „Wir laufen hier herum und räumen den ganzen Müll weg“, sagt er. Und wenn morgens die alte Dame vorbeikommt, die Leergut sammelt, dann gebe er ihr immer seine leeren Flaschen. Trotzdem muss er sich was anhören von Passanten, „Ey, du Penner“ zum Beispiel. „Egal“, sagt Pommes und grinst. „Ist mir doch egal. Nur bei Hurensohn, da sag ich dann was. Irgendwann ist Schluss.“
Sascha erzählt gerade wieder von den Kakerlaken und Bettwanzen in seiner Wohnung. Der Eigentümer mache nichts dagegen, beschwert er sich. Die Streetworker hören es sich an, sie wollen sehen, was sich tun lässt. Am Brunnen ist es inzwischen voller geworden, einige kommen mit Fahrrädern. Ein kleines Mädchen schaut sich schüchtern um, während sie die Fingerchen ins fließende Wasser hält. Ihre Eltern stehen daneben und behalten die Gruppe im Blick. „Der Brunnen ist für alle da“, sagt einer. „Wir tun keinem was, wir sitzen hier nur.“ Es gab schon einmal den Versuch der Stadt, einen Ort zu schaffen, weit weg von den bösen Blicken der anderen Bürgerinnen und Bürger. Doch der Verschlag auf dem Parkplatz an der Friedrich-Karl-Straße wurde nach kurzer Zeit schon nicht mehr nicht angenommen, kein Wunder.
„Und wenn wir einen Platz kriegen würden, mit Toilette, wird es immer ein paar Arschlöcher geben, die alles kaputt machen. Es gibt Leute, die haben mit allem abgeschlossen. Die pissen auch an die Kirche.“ Hajo, der in der Zwischenzeit mit einem Bier da sitzt, gepflegte Erscheinung, graues Haar, spricht Tacheles. Niemand widerspricht. Der 61-Jährige hat schon alles erlebt, auch wenn man es ihm nicht ansieht. Mit 17 Jahren habe er das erste Mal Heroin genommen, erzählt er. „Sucht ist eine Krankheit.“ Er habe völlig vergessen, wie es ist, normale Kontakte zu haben. „Neulich saß ich auf dem Fahrrad und dachte: Triff dich doch mal ganz normal mit jemandem auf einen Kaffee. Mit jemandem, der gar nichts mit der ganzen Sache zu tun hat.“ Er habe es einfach nicht geschafft.
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