Oberhausen. In den Großformaten von Andrea Benders „Kunstschnee“-Ausstellung können sich Betrachter verlieren: Es sind Räume voll faszinierender Geheimnisse.

Ganz so schnell wie auf den Filmbildern im Zeitraffer bringt Andrea Bender ihre Zeichnungen nicht aufs Papier. Dennoch zeigt der faszinierende Projektions-Loop, unterbrochen von meditativen Bildern einer eisigen isländischen Fjordlandschaft, in aller Deutlichkeit: Für die Ausstellung „Kunstschnee“ in der Panoramagalerie des Schlosses Oberhausen ist eine virtuose Zeichnerin am Werk. Mit ihrer zwischen schnellen Skizzen und grandios ausgearbeiteten Gemälden changierenden Werkauswahl gestaltet die 51-Jährige bis zum 6. Oktober die „Parallel“-Ausstellung des Kunstvereins Oberhausen in der Ludwiggalerie, parallel zur Fotoschau der „UK Women“ im Großen Schloss.

Als sichtlich begeisterte Gastgeberin schwärmt deren Direktorin Christine Vogt geradezu von jenen „Geheimnissen“, mit denen die Malerin so unaufdringlich wie wirkmächtig ihre Gemälde bestückt. „Nur“ vier gewaltige Formate füllen den sacht geschwungenen Raum der Panoramagalerie: drei Interieurs von ganz unterschiedlicher Prägung sowie das nicht minder rätselvolle Porträt eines „Sacher Boy mit blauem Pferd“. Von Canaletto, dem peniblen Feinstmaler des Rokoko, hieß es, er habe nie eine Innenansicht gemalt. Andrea Bender, die einstige Schülerin des „Jungen Wilden“ Jörg Immendorff, holt ganze Traumwelten in ihre perspektivisch ausgeklügelten Raumfluchten.

Fabelwesen und einen Micky-Maus-Maskenträger platzierte Andrea Bender in ihrem detailverliebten Gemälde eines Bibliothekssaals von surrealen Ausmaßen. „Es sind Seh-Stücke“, meint Christine Vogt, die Direktorin der Ludwiggalerie.
Fabelwesen und einen Micky-Maus-Maskenträger platzierte Andrea Bender in ihrem detailverliebten Gemälde eines Bibliothekssaals von surrealen Ausmaßen. „Es sind Seh-Stücke“, meint Christine Vogt, die Direktorin der Ludwiggalerie. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

So können sich selbst Innenräume, üppigst verwandelt, als „Jahreszeitenbilder“ präsentieren: Gleich zweimal zeigt die „Kunstschnee“-Schau einen prächtig barocken Prunksaal, wie aus den Schlössern Versailles oder Sanssouci, dargeboten als „Explosion von Farben und Lavuren“, so die Chefin der Ludwiggalerie. Im linken der beiden Werke zeigt sich die Prachtentfaltung überfroren von Eisklippen als wär‘s eine Verneigung vor Caspar David Friedrichs gleichnamigem Werk. Allerdings drapiert Andrea Bender kokett auch ein plattes Eisbärenfell auf dem edlen Parkett - und damit nicht genug lümmelt im Vordergrund ein ebenso plattgelegenes Cartoon-Raubtier.

Sind es Menschen oder Aliens im gemalten Prunksaal?

Im rechten Pendant des Prunksaal-Paares ranken nicht nur die spachteldick aufgetragenen Ornamente des Kronleuchters. Vielmehr scheinen aggressive Dschungel-Orchideen die Pracht der Spiegel und samtenen Sofapolster zu überwuchern. Die geisterhaft fahlen Personengrüppchen in beiden Gemälden - „Sind es Menschen oder Aliens?“, fragt man sich mit Christine Vogt - könnte man inmitten derart vieler Blickfänge glatt übersehen. Erst recht braucht es den aufmerksamen dritten Blick, um im gerüschten Vorhang ein weiteres, Dschinn-artiges Anlitz zu entdecken: den Geist aus dem Tuschekasten . . .

Virtuos-beunruhigende Gemälde zeigte Andrea Bender bereits 2015 als Gast des Kunstvereins in Oberhausen - damals in der Dümptener Kranhalle des Galeristen Peter Tedden.
Virtuos-beunruhigende Gemälde zeigte Andrea Bender bereits 2015 als Gast des Kunstvereins in Oberhausen - damals in der Dümptener Kranhalle des Galeristen Peter Tedden. © Funke Foto Services | Michael Dahlke

Im kleineren Kabinett-Raum neben dem Museumsshop läuft dann in Dauerschleife jener Film „Edda schmilzt“ , entstanden 2020 in Reykjavik während eines „Artist in Residence“-Aufenthaltes. Die doppelte Isolation des Corona-Lockdowns auf einer subpolaren Insel konnte Andrea Benders zeichnerischem Schwung ganz offensichtlich nichts anhaben: Mit betörender Sicherheit ihrer Mittel füllt sie Blatt um Blatt mit imaginären Porträtstudien oder allegorischen Motiven. Christine Vogt nennt es „faszinierend, wie diese Figuren aus dem Nichts entstehen“. Dem Kunstverein glückte mit dieser Schau ein Highlight, wie zuletzt mit der durchaus geistesverwandten Porträtkunst von Cornelia Schleime und ihrer „Seidenspinnerei“.

„Stubenrein“ heißt die Werkschau als Katalog

Die Ausstellung „Kunstschnee“ eröffnet am Sonntag, 23. Juni, um 12 Uhr im Kleinen Schloss der Ludwiggalerie, Konrad-Adenauer-Allee 46.; die Künstlerin ist anwesend. Der Eintritt ist während der gesamten Ausstellungszeit bis zum 6. Oktober frei.

Im Museumsshop erhältlich ist für 20 Euro ein schmucker Werkkatalog von Andrea Bender mit dem etwas anrüchigen Titel „Stubenrein“.