Essen. „Zauber der Stille“: Florian Illies erzählt sehr eigenwillig vom Leben Caspar David Friedrichs und dem Nachwirken bis heute. Munter bis flapsig.

Caspar David Friedrich, der Sonderling und Ausnahme-Künstler, als liebender Mann: Er ist 44, da findet er das Glück seines Lebens und heiratet die 19 Jahre jüngere Caroline. Wie sehr den Sehnsuchtsmaler das Glück durchströmt, als er nach den Flitterwochen auf Rügen mit „Line“ auf einem Segler Stralsund ansteuert, und welche Angst sie hatte vor ihrer allerersten Bootsfahrt – all das schildert Florian Illies in seinem neuen Buch „Zauber der Stille“, das nur der Auftakt sein dürfte zu einer vielstimmigen Caspar-David-Friedrich-Messe.

Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Große Gehege“ bei Dresden. Wie alle seine Landschaften ist auch diese zusammenkombiniert aus mehreren Landschaften, die Friedrich skizzierte und dann im Atelier zusammensetzte.
Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Große Gehege“ bei Dresden. Wie alle seine Landschaften ist auch diese zusammenkombiniert aus mehreren Landschaften, die Friedrich skizzierte und dann im Atelier zusammensetzte. © incamerastock / Alamy Stock Photo

2024 jährt sich der Geburtstag des deutschesten aller Maler zum 250. Male, und schon am 15. Dezember beginnt in der Hamburger Kunsthalle der große Ausstellungsreigen mit über 50 Gemälden und 90 Zeichnungen unter dem Titel „Kunst für eine kommende Zeit“.

Caspar David Friedrich: Der preußische Königshof kaufte seine Bilder

Und in der Tat, zu Lebzeiten war Caspar David Friedrich (1774-1840) gerade mal ein Jahrzehnt ein Maler-Star, ab 1810, als der Preußische Königshof seiner Bilder kaufte. Zehn Jahre später begann sein Stern bereits wieder zu sinken. Die Zeitschriften monierten die Dunkelheit und Melancholie seiner Bilder, den vielen Nebel. Und angesagt war jetzt die Düsseldorfer Malerschule, waren die süßlich-frömmelnde Szenen voller Innerlichkeit malenden Nazarener.

Caspar David Friedrichs „Eismeer“, zu sehen in der Hamburger Kunsthalle, die ab dem 15. Dezember die erste große Ausstellung zum Jubiläum eröffnen wird – im kommenden Jahr jährt sich Caspar David Friedrichs Geburtstag zum 250. Mal.
Caspar David Friedrichs „Eismeer“, zu sehen in der Hamburger Kunsthalle, die ab dem 15. Dezember die erste große Ausstellung zum Jubiläum eröffnen wird – im kommenden Jahr jährt sich Caspar David Friedrichs Geburtstag zum 250. Mal. © classicpaintings / Alamy Stock Photo

Und es kam noch schlimmer: Im letzten Lebensjahrzehnt war Friedrich bereits vergessen – und sollte es bis 1906 bleiben, als in der Berliner Nationalgalerie eine „Jahrhun­dertausstellung deutscher Kunst mit über 50 Bildern jenes Malers gezeigt wird, dessen Werke bis dahin in Museum-Depots verstaubten, bei Stiftsdamen überm Bett hingen oder zum größten Teil bei den Nachfahren Caspar David Friedrichs herumstanden. Seither ist er schier unaufhaltsam zum Lieblingsmaler der Deutschen aufgestiegen – nur die ‘68er störten sich an seiner „Kleinbürgerlichkeit“. Aber Friedrich war Demokrat. Schon zehn Jahre später zierte Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ die Anthologie „Kein schöner Land?“ mit Aufsätzen „zur Lage der Nation“.

Caspar David Friedrichs erfolglose Annäherungsversuche an Goethe – Diebstähle

Die Caspar-David-Friedrich-Schau im Essener Folkwang 2006/2007 war mit 357.000 Besuchern einer der größten Erfolge des Museums. Die Bücher und Ausstellungskataloge über den Maler zählen inzwischen nach Regalmetern. So hat Florian Illies denn auch keine klassische Biografie von der Geburt bis zum Tode über den Maler geschrieben, sondern seine „Reise durch die Zeiten“, wie es im Untertitel heißt: Illies belebt biografische Episoden wie die Hochzeitsreise oder Friedrichs Annäherungsversuche an Goethe mit imaginierten Gefühlen, Briefzitaten und Spekulationen und verbindet das mit Fakten, Geschichten und Anekdoten über die Nachwirkung Caspar David Friedrichs bis heute. Der unglaublichen Geschichten, wie der „Kreidefelsen auf Rügen“, der als ein Bild seines Zeitgenossen Carl Blechen galt, entdeckt wurde, oder wie ein hessischer Sammler in Frankreich für kleines Geld eine kleine Ölskizze erstand, die sich als millionenschwere Studie zum „Großen Gehege“ herausstellen sollte. Und die Räuberpistole aus der Frankfurter Unterwelt vom Diebstahl eines Friedrich-Gemäldes aus der Frankfurter Schirn – herrlich!

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„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (ca. 1818) von Caspar David Friedrich (1774-1840).
„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (ca. 1818) von Caspar David Friedrich (1774-1840). © Uber Bilder / Alamy Stock Photo

Das ist geschmeidig und amüsant erzählt, oft auch assoziativ und bisweilen, aber zum Glück selten, abschweifend (etwa zu Hitlers Nichte oder Gerhard Schröder). Auch flapsige Kommentare („Muss man erst einmal hinbekommen“), feuilletonistische Scherze und Kalauer finden sich gelegentlich, wenn sich Illies von seiner Erzählkunst etwas zu sehr hinreißen lässt. Aber es ist ein Buch, das den Menschen Caspar David, den rotblonden, blauäugigen Sonderling mit dem gewaltigen Backenbart (der angeblich die Narbe eines Selbstmordversuchs verdecken soll), ungemein plastisch vor Augen stellt. Nachvollziehbar wird, wie er zu seinen genialen Bildfindungen vorstößt. Und die Gliederung nach den vier Elementen wird am Ende auch plausibel. Beim Feuer zum Beispiel: Unglaublich viele Bilder Friedrichs sind verbrannt, von den 300 bis 350, die er gemalt haben soll, ist nur noch die Hälfte da. Der Vater hatte eine Seifensiederei und zog mit seinen Söhnen auch Kerzen, aber Caspar David war zu ungeschickt dazu, dauernd verbrannte er sich die Finger dabei.

Florian Illies: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten

Oder die Luft, die ein zentrales Element seiner Bilder ist. Und das Wasser, das der reinlichkeitsfixierte Maler liebte wie sonst nur die Kälte. Und als ihn der Düsseldorfer Akademie-Rektor Peter Cornelius, ein führender Nazarener, in seinem Atelier in Dresden besucht, hockt sich Friedrich, weil es nur einen Stuhl gibt, auf die Erde. Er befindet sich viel mehr, als man gemeinhin glaubt, auf dem Boden der Tatsachen. Seine Landschaften sind zwar zusammencollagiert aus Harz, Riesengebirge, Pommern, Ostsee und Böhmen. Aber sie handeln von Gefühlen, die viele Menschen teilen, bis heute.

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Zum Autor

Florian Illies, geboren 1971, machte als Buchautor zunächst Furore mit der „Generation Golf“ (2000). Er war Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, leitete das Auktionshaus Grisebach und ist heute Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“. Auch seine etwas anderen Geschichtsbücher „1913“ und „Liebe in Zeiten des Hasses“ waren Bestseller.