Oberhausen. Die Oberhausener CDU wird erstmals in ihrer Geschichte von einer Frau geführt: Simone Stehr löst Wilhelm Hausmann ab - und schlägt Pflöcke ein.
Mit einer programmatischen Grundsatzrede hat die 53-jährige Lehrerin Simone-Tatjana Stehr am Dienstagabend die Herzen der CDU-Delegierten erobert: Sie wurde mit einem ausgezeichneten Ergebnis von 95,7 Prozent der Stimmen auf dem Parteitag der Oberhausener Christdemokraten zur neuen Vorsitzenden des Kreisverbandes gewählt. Sie löst damit den dienstältesten NRW-CDU-Kreisverbandsvorsitzenden ab, den Architekten Wilhelm Hausmann, der die Oberhausener CDU 21 Jahre leitete. Mit Stehr steht damit zum ersten Mal in der Geschichte der CDU Oberhausen eine Frau an der Spitze.
In ihrer Bewerbungsrede scheut die Sterkraderin nicht davor zurück, klare Positionen zu heiklen Themen zu beziehen und findet grundsätzlich: „Wir brauchen einen neuen Diskurs über Zumutbarkeiten in unserer Gesellschaft.“ So sieht die Direktorin des Oberhausener Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung Sparpotenzial im Sozialbereich - und kritisierte die SPD für die Einführung des Bürgergeldes. „Das Bürgergeld ist die Quasi-Wiedergutmachung der SPD für die Hartz-Reformen. Es ist zum bedingungslosen Grundeinkommen geworden. Das, was an Sozialtransfers geleistet wird, hat keine Anreizstruktur mehr. Für eine Familie mit zwei Kindern knapp 3500 Euro Sozialleistungen bereitzustellen und zugleich Leistungsträgern immer mehr abzuverlangen, ist nicht gut. Welche Volkswirtschaft kann so funktionieren? Bei fast einer Billion Euro an Steuereinnahmen und 40 Prozent Bundesausgaben für Soziales ist etwas massiv in Schieflage geraten.“
Auch interessant
Die neue Oberhausener CDU-Chefin hält auch den Kurs des Landes in der Migrationspolitik für falsch. „Wir treiben Leistungsträger aus dem Land und fokussieren uns bei der Einwanderung völlig einseitig auf das Thema Asyl. Wir müssen dafür sorgen, dass Leistungsträger in Deutschland bleiben und aktiv nach Deutschland kommen.“
Die Pädagogin, die durch ihre berufliche Tätigkeit viel Kontakt mit jungen Menschen hat, kritisiert den Zustand unserer Gesellschaft, weil zu viele Bürger „individuelle Befindlichkeiten einklagen statt auf das kollektive Interesse“ zu schauen. „Eine andere Meinung wird zu oft nicht mehr als positiver Anlass zur inhaltlichen Debatte verstanden, sondern als Angriff auf die eigenen Gefühle. Zumutbar scheint nur noch zu sein, was keine Gefühle verletzt.“ In dieser Lage plädiert Stehr dafür, dass die Politik Klartext über die Realität redet und den Bürgern einiges zumuten sollte. „Sagen, was ist! Eine Politik, die Wahrheiten nicht mehr ausspricht und Themen nicht mehr anfasst, weil sie Angst hat, damit anzuecken, darf nicht unser Stil in der CDU Oberhausen sein.“ Sprach dies aus - und erhielt dafür längeren Applaus der CDU-Delegierten.
Stehr ist bereits seit 2015 Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt und seit drei Jahren im CDU-Landesvorstand. Damit hält sie in Oberhausen nun die entscheidenden Fäden in der Hand - und will bei der Kommunalwahl 2025 die Partei als stärkste Kraft in der früheren SPD-Stadt etablieren. Als Stellvertreter von Stehr wählte der Parteitag Gundula Hausmann-Peters mit 91 Prozent zum ersten Mal in diese Position und bestätigte Johannes Thelen als Vize zum wiederholten Male.
Vor der Wahl des neuen Vorstandes hat die CDU Wilhelm Hausmann gebührend mit viel Lob und Dank verabschiedet - und mit einem zweiminütigen, teils stehenden Applaus. „Als Zeichen der Stärke und Ewigkeit“ (Stehr) erhielt „Baumfreund“ Hausmann eine Eiche geschenkt. „Es ist dir gelungen, das Profil der CDU zu stärken, du bist zum politischen Architekten der 21 Jahre geworden.“ Hausmann selbst warb in seiner Abschiedsrede dafür, den Streit in der Demokratie schätzen zu lernen. „Denn nur dann kommen die Positionen der Parteien klar heraus.“
Er forderte politische Änderungen in vier Bereichen: einen stärkeren Kampf gegen den Klimawandel, um Menschen auch an der Ruhr in Oberhausen zu schützen, einen intensiven Einsatz von Bund und Land, den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu sichern, eine neue Überlegung zur Wehrpflicht („die Abschaffung war übereilt“) und einen strengeren Migrations-Kurs. „Wir waren in der CDU zu lange zu gutgläubig. Die Kommunen haben die Belastungsgrenze erreicht. Dieses Thema darf man nicht den politisch extremen Rändern überlassen, sondern Lösungen müssen in der Mitte der Gesellschaft gefunden werden.“
Hausmann könnte sich nun seinem gut beschäftigten Architektenbüro widmen, will aber weiterhin politisch aktiv sein - er peilt einen Sitz im Landtag an. Stehr wiederum kann sich durchaus vorstellen, wie man in der CDU hört, sich für die 2025 anstehende Bundestagswahl um einen guten Listenplatz der Partei zu bewerben.