Mülheim. Nach dem Machtkampf im Sommer will Mülheims grüne Basis nach vorne schauen. Mit einem Rekordbudget geht der Kreisverband in die Bundestagswahl.
Die grünen Flaggen mit der symbolischen Sonnenblume sind links und rechts der Leinwand aufgestellt, gut 100 Stühle stehen in Reih‘ und Glied im sogenannten Lichthof des „Haus der Wirtschaft“. Die Formalitäten flutschen durch: Tagesordnung, Sitzungsleitung, Team für Stimmenauszählung, die Einigung auf Redezeiten der Kandidaten und Fragen im Publikum laufen ohne Widerspruch. Und die Wahl des grünen Spitzenkandidaten für den Bundeswahlkampf in Mülheim: Björn Maue wird mit rund 88 Prozent der Stimmen gewählt - vier Gegenstimmen, zwei Enthaltungen.
Aber auch nur von 50 Stimmberechtigten, die sich am Dienstagabend an der Wiesenstraße eingefunden haben, wo man sonst die CDU oder einen Wirtschaftsverband vermuten würde. Kein Vergleich zu den wenigstens 130 Grünen, die noch im Juni in der Alten Dreherei lebendig und lautstark um eine Richtung, um Macht und die Chance auf einen Sitz im Bundestag stritten.
Mülheimer Grüne investieren so viel wie noch nie in die Bundestagswahl
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Aber eben auch deutlich weniger zornig, weniger polarisiert zwischen dem vom Kreisvorstand unterstützten Lager Maue und dem Lager Krumwiede-Steiner. Es geht inzwischen ohnehin um wenig: Über ein mögliches Mandat im Bundestag ist auf den Bezirkslisten der Grünen längst anders entschieden worden. Sollte nicht ein Wunder geschehen und die Mülheimerinnen und Mülheimer mehrheitlich grün wählen, hat Maue keine Aussicht, für Mülheim in den Bundestag einzuziehen.
Jetzt kann es nur noch darum gehen, die Basis zu gewinnen, nicht nur für die Stimmabgabe an der Urne, sondern für das Plakatieren, für Wahlstände, für Hausbesuche. Denn Ehrenamtliche braucht es reichlich, selbst wenn das Budget einen mittleren sechsstelligen Betrag (allein 8000 Euro für Personal) umfasst - so groß war es noch nie für eine Bundestagswahl in Mülheim.
Die kritische Nachfrage aus dem vom hohen Budget überraschten Publikum, ob das denn sein müsse und dann auch genügend für die „eigentlich wichtigere“ Kommunalwahl im September 2025 übrig bleibe, kommentiert man im Haus der Wirtschaft kurz mit „ja, es ist genug Geld da“. Denn auch die Mitgliederzahl ist mit gut 230 Menschen weiterhin so hoch wie selten. Die Beiträge sprudeln also und selbst die Querelen um säumige „Mandatsträger:innen“ sind dem Vernehmen nach von gestern.
Maue selbstkritisch: „Ich weiß, 47 Prozent hätten sich jemand anderen gewünscht“
Neuneinhalb Wochen - so steht‘s im Zeitstrahl der Grünen - hat das Wahlkampfteam noch, wenn es am 14. Dezember gewählt ist. Das klingt weniger sexy als die namentlich angespielte Filmvorlage von 1986. Denn man wird wohl nicht nur ohne Kim Basinger und Mickey Rourke auskommen müssen. Weihnachten und Neujahr lassen den Kampf um Stimmen noch weiter schrumpfen.
Björn Maue, der bei den Grünen in der Finanzpolitik zu Hause ist, hat in seiner Antrittsrede für den Bundestagswahlkampf offenbar auch kalkuliert, dass seine Spitzenposition infrage gestellt werden könnte: „Ich weiß, 47 Prozent des Kreisverbandes hätten sich statt meiner heute jemand anderen an diesem Redepult gewünscht.“ Und doch wolle Maue sich deshalb nicht „wegducken, weil der Weg womöglich nicht in Berlin endet“.
Womit Mülheims Grüne punkten wollen: Altschuldenlösung, Rechtsruck, soziale Spaltung
Die Themen, mit denen Maue die Grünen für den Bundestagswahlkampf abholen will, sind die von bundesweiter und zugleich lokaler Bedeutung: die Altschuldenlösung, der Rechtsruck im Land, die soziale Spaltung. Der sperrigen Frage der kommunalen Verschuldung - dem Finanzexperten geht selbst ein „Eigenkapitalausgleichs, -sicherungs und -zulagensystem“ locker von den Lippen, das er im Rahmen eines reformierten Länderfinanzausgleichs fordert. Oder ganz einfach: „mehr Investition als Abschreibung“.
Damit will Maue den Weg auf Bundesebene frei machen, dass Mülheim Schwimmbäder links wie rechts der Ruhr öffnen kann, inklusive Wasserspielplätze in Styrum entstehen können, eine vierte Gesamtschule oder ein Radweg nicht nur auf der Kaiserstraße leistbar wäre.
Grüne wollen einen schlagkräftigen Bundeswahlkampf auf die Beine stellen
Selbstkritisch geht Maue aber auch mit den Bundesgrünen ins Gericht, mahnt, beim rechtslastigen Kurs zu Geflüchteten nicht mitzumischen: „Anschlussfähig werden in der politischen Mitte? Nicht, wenn wir dafür zu viel aufgeben. Ich meine: 12,5 Millionen Euro für eine Bezahlkarte, die keinen Menschen schützt, aber ziemlich viele diskriminiert, ist das Grüne Politik? Nein.“ Und auch den im Landeshaushalt geplanten „Kahlschlag bei den Leistungen an die freie Wohlfahrtspflege“ kritisiert Maue.
Das Klima spricht der Finanzexperte Maue an diesem Abend nicht an, dabei könnte er aufzeigen, wie Klimaschutz die Basis für wirtschaftlichen Wohlstand werden kann. Maue verspricht aber einen „schlagkräftigen Wahlkampf, ob im Februar oder im September. Wir sind so bereit wie wir nur sein können, weil wir trotz allem in den letzten Monaten weitergearbeitet haben“.
Raufen sich die Grünen wieder zusammen? Nicht nur 44 der 50 Mitglieder hat Maue mit seiner Rede am Dienstagabend offenbar gepackt - nach zehn Minuten Rede ist der Applaus lang. Auch hinter den Kulissen will Maue wieder mehr Zuspruch erfahren haben von denen, die ihn nicht gewählt haben.
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