Mülheim. Längst sind etwa die 45 Hektar auf dem Hauptfriedhof keine klassische Friedhofs-Fläche mehr. Es sind Rückzugsorte - nicht nur für den Menschen.
Die Friedhofskultur in Mülheim ist aktuell im Wandel – offenbar angetrieben durch die enormen Kostensteigerungen, welche die Stadt vor rund zwei Jahren beschlossen hatte, sind andere Bestattungsformen stärker in den Blick geraten: Urnensammelgräber oder die Bestattung unter einem Baum. Das schafft sogar Platz für mehr Natur auf dem Friedhof. Und selten lässt sich die wandelnde Rolle dieser Orte derzeit besser beobachten als auf dem Hauptfriedhof.
Doch vorweg und in nüchternen Zahlen gesprochen: 81,51 Prozent der Bestattungen auf allen städtischen Friedhöfen im Jahr 2023 waren Urnen (1433). Und auch auf dem Hauptfriedhof wurden weniger als ein Drittel der 348 Bestattungen im Sarg beigesetzt, dagegen 237 in Urnen. In sechs Fällen ist die Asche verstreut worden. Auch das ist Teil einer sich transformierenden Friedhofskultur.
2022: Große Sorge vor den hohen Kosten in Mülheim
Freilich ist das in den großen Zyklen der Mülheimer Ruhestätten gesprochen, denn die Möglichkeit, Bestattungsformen wie Urnengemeinschaftsgräber oder Baumbestattungen zu nutzen, gibt es auf dem Hauptfriedhof schon seit 20 Jahren, sagt David Sbrzesny, gelernter Landschaftsarchitekt und neuerdings Teamleiter „Technik“ im Amt für Friedhofswesen.
Noch einmal angekurbelt aber hat den Wandel – wie so oft – die Frage des Geldes. 2022 bereitete eine Zahl Sorge: Rund 38 Prozent der Mülheimer sollen sich damals aus Kostengründen nicht in ihrer Stadt haben beerdigen lassen, ermittelte damals der engagierte Mülheimer, inzwischen Mitglied des Arbeitskreises „Interessengemeinschaft Friedhof“, Dietrich Rohde.
Wo das Umdenken in Mülheims Friedhofskultur schon sichtbar wird
Sondern in Oberhausen, Essen oder sogar den Niederlanden, wo zum Beispiel das Verstreuen der Asche im Wald nur 300 Euro kosten soll. In Mülheim dagegen 1170 Euro. Mit den weiteren hohen Kosten, etwa von 211 Euro für den Trauerfeierraum und 21 Euro extra allein für ein Glockenläuten, steckte Mülheim aber in einer negativen Kostenspirale: Denn eine Pflicht, sich am Wohnort bestatten zu lassen, gibt es eben nicht.
Und je weniger sich hier beerdigen lassen, weil es zu teuer ist, desto mehr muss die klamme Stadt für Friedhöfe aufwenden – oder auf die übrig gebliebenen „Gäste“ umlegen. Wie aber kehrt man diese Spirale wieder um?
Der Trend geht zu Urnengräbern, auch gemeinschaftlichen
Das Umdenken in Mülheim wird an verschiedenen Stellen sichtbar: Im vergangenen Jahr starben 2317 Mülheimerinnen und Mülheimer, auf allen städtischen Friedhöfen aber gab es nur 1433 Bestattungen. „Aber nicht jeder Sterbefall hat sich auch in Mülheim ereignet“, gibt Sbrzesny zu bedenken. Dass sich fast die Hälfte „auswärts“ zur ewigen Ruhe begeben hätte, lässt sich also damit nicht ableiten.
Dass der Trend zu kleineren und günstigeren Ruhestätten geht, dagegen schon. Auch wenn es hier immer noch 8074 aktive Gräber mit laufender Ruhefrist gibt. Zwischen den Alleebäumen im Eingangsbereich des Hauptfriedhofs aber hatten Mülheimer Friedhofsgärtner 2008 verschiedene Mustergräber für eine Sonderausstellung „Grabmal und Grabgestaltung“ gestaltet. Nur noch wenige sind geblieben, und auch die werden bald verschwinden, kündigt Sbrzesny an: „Denn sie sind relativ teuer und nicht mehr so gefragt.“
Anders zeigt sich das Bild bereits kurz dahinter im Westen an den Urnengemeinschaftsgräbern. Jeweils 16 Menschen sind hier an von Steinmetzen aufwendig gestalteten Stelen beerdigt worden. „Die einen achten auf das Geld, die anderen auf die Qualität“, weiß Sbrzesny.
Vom Friedhof zum Park, zum Naturraum – und anderen Gedenkformen
Wie sich der Friedhof wandelt, erkennt man ebenso an den vielen ‚leeren‘ Stellen und vereinzelten Erdgrabstätten, wo sie einst in Reihe standen. Stück für Stück geht der Friedhof über in einen Naturerholungsraum, einen Park, zu anderen Formen des Gedenkens und der Kontemplation.
Im Südwesten etwa findet man nur eine Wiese mit vereinzelten Bäumen. Wäre da nicht ein paar Meter weiter ein Monolith, auf dem Namen gemeißelt sind, man wüsste nicht, dass hier – im Friedwald – Urnen unter lauschig wiegenden Bäumen beerdigt werden. „Ein Geheimtipp“, meint Sbrzesny. Obwohl es auch diesen schon seit 15 Jahren gebe.
Ganz bewusst übrigens, weiß niemand genau, wo, wer begraben liege, erläutert der Mann vom Amt für Friedhofswesen. Sonst würden Angehörige doch in die Versuchung kommen, an dieser Stelle Blumen oder ähnliches zu pflanzen. Hier soll anders über das Leben, den Tod und die Verstorbenen nachgedacht werden.
100 Jahre alte Zedern und Rückzugsorte für Menschen – und Tiere
Längst also sind die 45 Hektar – also 450.000 Quadratmeter – an der Zeppelinstraße 132 keine klassische Friedhofs-Fläche mehr. Es sind Rückzugsorte nicht nur für den Menschen, der hier ohne Radfahrer und Hunde ungestört lustwandeln darf, sondern ebenso für Reh, Fuchs und Dachs. Oder Bereiche, in denen Naturdenkmäler mit wohl mehr als 100 Jahre alten Zedern stehen.
„Wo gibt es noch in der Stadt Räume für die Natur? Das ist doch ein Geschenk an die Stadt“, schwärmt Erich Lehmkühler, ehemaliger Grünflächenamtsleiter in Mülheim. Und das erfordere einen anderen Umgang, gar ein Konzept. Man müsse wieder mehr darüber nachdenken, wie man mit der Gestaltung der verschiedenen Sektoren, mit Sichtachsen, Nachpflanzungen umgehe, fordert Lehmkühler. Eine komplexe Aufgabe.
Und natürlich gibt es auch sie noch hier: die historischen Gräber von Mülheimer Persönlichkeiten – von Karl Ziegler, Franz Fischer, Theodor Suhnel und auch Familien, die die Wirtschaft in der Mülheimer Innenstadt geprägt haben. Ebenso seien einige Denkmäler des Mülheimer Künstlers Ernst Rasche hier. „Was historisch relevant ist, muss von der Stadt Mülheim erfasst und erhalten werden“, fordert Ursula Hilberath, Vorsitzende des Mülheimer Geschichtsvereins. David Sbrzesny sichert zu: „Das machen wir auch.“
Wie steht es um Mülheims Friedhofentwicklungskonzept?
Durchaus auf einem guten Weg sieht Dietrich Rohde und die IG Friedhof die Fortschritte des Friedhofsentwicklungskonzeptes. „Für uns ist es vital spürbar, dass da ein neuer, frischer Wind mit hochengagierten Personen weht“, lobt Rohde. Neue Mitarbeiter würden unter einem neuen Führungsstil die liegengebliebenen Arbeiten anpacken.
Das Fazit kommt zur richtigen Zeit, denn zum Beschluss des Konzeptes hatte Rohde quasi einen Doppelbeschluss angeregt, um den Frieden im Streit mit der Bürgerschaft um die Gebühren wieder herzustellen: Für zwei Jahren sollten diese zwar beschlossen werden, allerdings unter der Prämisse, dass auch das Konzept umgesetzt werde. Das erneute Aufflammen des Streits scheint sich nun also nicht anzubahnen.
Nicht für alle noch sichtbaren Probleme könne die Mannschaft im Friedhofswesen etwas, vielmehr seien manche Gräber pflichtwidrig nicht gepflegt worden. Rohde: „Hier sind die jeweiligen Angehörigen in unserer Bürgerschaft aufgerufen, die Gräber ihrer Verstorbenen wieder in Ordnung zu bringen, ehe von Amts wegen eingeschritten werden muss.“
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