Mülheim. Bei Mülheims ersten Kita-Gipfel kamen die drängendsten Probleme in Kitas zur Sprache. Was Erzieherinnen und Leitungen von Stadt und Land fordern.

Zu wenig Plätze, zu wenig Leute, zu wenig Geld: Dass die Herausforderungen für Kitas und Kindertagespflegepersonen in Mülheim und NRW keine kleinen sind, dürfte allen Anwesenden beim ersten Mülheimer Kita-Gipfel schon vor Beginn der Veranstaltung bewusst gewesen sein. Schließlich handelt es sich um Fachpublikum, das sich am Donnerstagabend im Backsteintheater eingefunden hat, um mit dem Mülheimer Landtagsabgeordneten Rodion Bakum (SPD) und seinen Podiumsgästen über Probleme und Lösungsansätze im Bereich der frühkindlichen Bildung zu diskutieren.

Neben Bakums Detmolder Landtags-Kollegen Dennis Maelzer (SPD) brachten Daniela Heimann vom Landeselternbeirat, Mady Derißen-Kreutzer vom Verein „Kinder aus Mülheim e. V“, der sich um Qualitätssicherung in der Kindertagespflege bemüht, und Birthe Capra, Fachberaterin für Kitas beim evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr, ihre Expertise in die Diskussion ein.

Der Landtagsabgeordnete Rodion Bakum (r) hatte zu Mülheims erstem Kita-Gipfel geladen. Mit dabei auf dem Podium: MdL Dennis Maelzer MdL (v.l.), Daniela Heimann (Landeselternrat), Mady Derißen-Kreutzer (Kinder aus Mülheim) und Birthe Capra (ev. Kirchenkreis).
Der Landtagsabgeordnete Rodion Bakum (r) hatte zu Mülheims erstem Kita-Gipfel geladen. Mit dabei auf dem Podium: MdL Dennis Maelzer MdL (v.l.), Daniela Heimann (Landeselternrat), Mady Derißen-Kreutzer (Kinder aus Mülheim) und Birthe Capra (ev. Kirchenkreis). © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Personalmangel sorgt auch in Mülheim für reduziertes Betreuungsangebot

Bakum selbst weiß als Moderator schon im Vorfeld: „Es ist nicht so einfach.“ Die Debatte an diesem Abend zeigt, dass es vor allem Personal- und Finanznot sind, aber auch weitere Herausforderungen wie Bürokratie und Inklusion, die den Akteuren zu schaffen machen.

„In kleinen Einrichtungen reicht es schon, wenn einer krank ist und einer Urlaub hat“, so Birthe Capra über den allgegenwärtigen Personalmangel. Dann sei man gesetzlich verpflichtet, das Betreuungsangebot zu reduzieren, da bei zu wenig Personal das Kindeswohl nicht mehr sichergestellt werden könne. Bei Eltern sorge das verständlicherweise für Unzufriedenheit.

Praxisintegrierte Ausbildung als Lösung für Personalprobleme?

Landtagsabgeordneter Dennis Maelzer, zu dessen Schwerpunkten die Familienpolitik zählt, will das System wieder verlässlicher machen und sieht einen möglichen Lösungsansatz zur Behebung von Personalengpässen in Investitionen in Aus- und Fortbildung.

Ein erster Versuch, um den Beruf attraktiver zu machen, ist die praxisintegrierte Ausbildung (PiA), bei der die Auszubildenden im Gegensatz zur vollschulischen Ausbildung eine Vergütung erhalten, weil sie bei einem Träger angestellt sind und neben der schulischen Ausbildung an mehreren Tagen pro Woche in einer Kita arbeiten.

Zu wenig Personal für zu viele Kinder: „Nur Verwahrung wie im Småland“

Dies lindere aber den akuten Personalmangel nicht, meint Beate Staudinger, Leiterin der Kita Fiedelbär am Forum, denn für einen PiA-Auszubildenden müssten fertig ausgebildete Fachkräfte ihre Stunden reduzieren. Jemand, der sich noch in Ausbildung befinde, müsse aber natürlich betreut werden und könne nicht dasselbe leisten wie ein fertig ausgebildeter Erzieher. „Ich will deswegen gar keine PiA-Auszubildenden haben“, so Staudinger, der das praxisnähere Konzept an sich aber gefällt.

Im Verlauf der Debatte zeigt sich außerdem, dass es nicht nur ein Zuwenig an Personal ist, dass den Kitas und Tagespflegeeinrichtungen zu schaffen macht, sondern auch ein Zuviel an Aufgaben. „Es sind Sachen, die obendrauf kommen, und immer kommt noch irgendwas dazu“, fasst es Birthe Capra zusammen. Wirkliche pädagogische Arbeit sei kaum möglich: „Das ist nur Verwahrung wie im Småland.“ Unter diesen Umständen müsse man sich nicht wundern, dass pädagogisches Personal in den Einzelhandel abwandere.

Bürokratie und Inklusion belasten Kitas und Kindertagespflege in Mülheim zusätzlich

Besonders beklagt wird von mehreren Gästen im Publikum ein unverhältnismäßig hoher Bürokratieaufwand. Ganz spezielle Blüten treibt die Dokumentationspflicht offenbar in der Kindertagespflege, wie Mady Derißen-Kreutzer berichtet: „Wir Tagespflegepersonen müssen teilweise bei im Ausland geschlossenen Ehen der Eltern beurteilen, ob die Ehe in Deutschland gültig ist. Woher soll ich das wissen?“

Auch die Inklusion wird von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern als problematisch wahrgenommen. Der einhellige Tenor aus dem Publikum: Es gebe niemanden, der Inklusion grundsätzlich ablehne, aber ohne bewilligte Inklusionshelfer entstehe schlichtweg Überforderung.

„Die Träger stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Es fehlen 400 Millionen Euro

In Mülheim sei auch die Kindertagespflege hinsichtlich der Inklusion schlecht aufgestellt, so Derißen-Kreutzer: „Hier bekommt man einen Euro pro Stunde mehr für ein Inklusionskind. In Oberhausen bekommt man für jedes Inklusionskind einen ganzen Freihalteplatz finanziert.“

Daniela Heimann (li.) und Mady Derißen-Kreutzer machten deutlich, dass es nicht nur an Personal mangelt.
Daniela Heimann (li.) und Mady Derißen-Kreutzer machten deutlich, dass es nicht nur an Personal mangelt. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Wie so oft ist vieles eine Frage der Finanzierung, und die ist zu großen Teilen unklar. Allein zur Refinanzierung der Tariflöhne fehlen den Trägern in NRW 500 Millionen Euro, das Land stellt aber nur 100 Millionen Euro zur Verfügung. „Die Träger stehen mit dem Rücken zur Wand“, so Capra.

Debatte soll nun in der Mülheimer Stadtgesellschaft ankommen

Dennis Maelzer meint, dass Gelder aus dem Landeshaushalt anders verteilt werden müssten, um die Unterfinanzierung des Systems abzumildern. Das sei aber Sache der Landesregierung und wer dort etwas bewirken wolle, müsse auf sich aufmerksam machen.

Deswegen ist auch Anika Engels, Mutter und Verbundleitung mehrerer Kitas in Speldorf froh, am Kita-Gipfel teilgenommen zu haben. „Ich hatte keine Erwartungen, weil es das noch nie gegeben hat. Aber ich bin zufrieden: Alles fängt klein an.“ Eher als konkrete Maßnahmen erhofft sie sich, dass die Debatte über die Nöte der Kitas, Kindertagespflegepersonen, Eltern und Kinder endlich in der Stadtgesellschaft ankommt.

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