Mülheim. Eine sehr kinderreiche Familie soll einst in dem Häuschen in Mülheim-Styrum gelebt haben - und das auf rund 45 Quadratmetern. Ein Besuch vor Ort.
Putzig sieht es aus - das schmale Häuschen im Westen von Styrum. Es könnte heute als „Tiny House“ durchgehen. Doch der weiß gestrichene Backsteinbau, etwas versteckt gelegen, ist richtig alt. Er muss vor 1890 gebaut worden sein, denn aus diesem Jahr stammt die erste Kartierung. Die Denkmalschützer waren höchst angetan, als sie das Gebäude im Februar 2022 erstmals in Augenschein nahmen. In diesem Frühjahr wurde es in die Denkmalliste der Stadt Mülheim aufgenommen.
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Wer vor dem schnuckelige Haus steht, dem gehen viele Fragen durch den Kopf. Wer hat hier gewohnt? Welche Geschichten könnte das Häuschen erzählen? Wofür nutzte man den großen Garten? Im Jahr 1904 soll laut historischem Adressbuch der Stadt Mülheim die „Witwe Schneider“ hier gelebt haben. In früheren Zeiten beherbergte es dann aber auch mal eine Familie mit 8 oder auch 11 Kindern – die späteren Eigentümer sind sich bei der Anzahl der Sprösslinge nicht ganz sicher. Eine Großfamilie auf 40 bis 45 Quadratmetern? Eigentlich unvorstellbar. „Ich weiß nicht, wie die die Kinder gestapelt haben“, sagt Jürgen Blum, früher einmal Eigentümer des Gebäudes, augenzwinkernd.
Mülheimer Tagelöhner waren auf den Feldern im Einsatz
„Das war ein Arbeiterhaus. Damals gab es die A40 noch nicht, stattdessen waren ringsherum Felder. Und die Bewohner des Häuschens haben auf den Feldern gearbeitet“, weiß Michael van der Beck, der aktuelle Besitzer, der das Gebäude als Sozial- und Lagerräume für seinen Dachdeckerbetrieb nutzt. So steht es auch in den Ausführungen der Denkmalbehörde. Das Objekt sei „ein authentisch erhaltenes, bauliches Zeugnis für ein (...) Wohnhaus, das der ärmeren Bevölkerungsschicht der Tagelöhner/Arbeiter als Wohnstätte diente, die im rückwärtigen Bereich eine kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung betrieben“. Ein vergleichbares Gebäude, das für „einfaches Wohnen auf kleinstem Raum“ stehe, gebe es im städtischen Raum sonst nicht. „Ihm ist folglich ein großer Seltenheitswert beizumessen.“
Hübsch sieht das Häuschen von außen aus, aber auch uneinheitlich. Das Dach ist in gutem Zustand, wen wundert es. „Wir haben einige neue Ziegel draufgemacht, natürlich solche, die zu den Alten passen“, berichtet der Eigentümer. Die Fenster sind ganz unterschiedlich, manche sogar relativ neu. Einige haben dekorative Fensterläden. Besonders auffällig: ein halbrundes Fenster in der Fassade mit verzierten Eisensprossen. Schön anzusehen auch: das Traufgesims, das an den Seiten und der Fassade die Wände verziert.
Im Gewölbekeller lagerten Ernteerträge der Mülheimer Arbeiter
Durch eine Haustür mit eingebautem Fensterchen, die alt aussieht, aber wohl gar nicht so alt ist, gelangt man ins Innere des kleinen Baudenkmals. Von einer winzigen Diele gehen im Untergeschoss zwei kleine Räume ab. Die vorherigen Eigentümer haben hier modernisiert, etwa Fliesen verlegt, gestrichen und schöne Lampen aufgehängt. Eine Firma hatte in einem kleinen Raum auch ihr Büro. Hinauf ins niedrige Obergeschoss führt eine steile alte Holztreppe mit schönen gedrechselten Geländerstäben. Beim Hochsteigen kann man sich leicht den Kopf stoßen. Oben: zwei klitzekleine Zimmer mit Schrägen und ein uralter Holzboden. „Beton hatte man damals noch gar nicht“, sagt Michael van der Beck. Auch die Türen könnten original sein – ebenso wie die Porzellanknebelschalter für das Licht.
Zum guten Schluss gibt es noch den alten Gewölbekeller, in dem Spinnweben von der Decke hängen. „Der Keller mit preußischer Kappendecke diente vermutlich zur Lagerung der Ernteerträge“, meinen die Denkmalschützer. Erstaunt entdeckt man hier unten einen nagelneuen Gasanschluss. „Man könnte im Haus tatsächlich wohnen, wenn man wollte. Alle Versorgungsleitungen sind da“, berichtet der Eigentümer. Der Anbau im Erdgeschoss an der Rückseite des Häuschens (zurzeit ein Sanitärraum) ist später dazu gekommen und zählt folgerichtig nicht zum Baudenkmal.
Denkmalschützer entdeckten Haus auf alten Luftbildern
Warum die Denkmalschützer erst jetzt auf das „Tiny House“ in Styrum aufmerksam wurden? „Sie haben es auf jeden Fall auf uralten Luftbild-Aufnahmen entdeckt – und dann kamen sie mit viele Leuten her und haben alles ganz genau untersucht“, so van der Beck. Zwei Kriege, viele Unwetter, den Bau der A40 in unmittelbarer Nähe hat das Häuschen überstanden. In Zukunft steht womöglich der geplante Ausbau der ganz nahe gelegenen A40 an. Zu hoffen ist, das das schmale Häuschen nicht durch die Bauarbeiten beeinträchtigt wird. Schließlich soll es als Denkmal so lange wie möglich erhalten bleiben. Die Denkmalplakette muss übrigens noch an der Fassade befestigt werden.