Neukirchen-Vluyn/Rheurdt. Auf dem Campingplatz in Neukirchen-Vluyn sind die Bagger eingetroffen, einige Gebäude werden abgerissen. Viele Bewohner sehen keine Perspektive.
Baulärm ist zu hören, mehrere kleine Bagger sind in den schmalen Gassen zu sehen, überall lagert aufgeschichtetes Holz, das einmal zu einem Schuppen oder Wohnheim gehörte, manche Parzellen sind schon vollständig geräumt: Auf dem Campingplatz am Hoschenhof, der teils zur Gemeinde Rheurdt, teils zur Stadt Neukirchen-Vluyn gehört, ist derzeit nichts mehr wie es einmal war. „Der gesamte Platz hat Angst, wir sehen keine Perspektive“, sagt Anita van Lück, die direkt am Großen Parsick wohnt. Über kurz oder lang, da ist sich die Dauercamperin sicher, müssen fast alle raus und sich anderswo eine Bleibe suchen. Am Hoschenhof geht es wie berichtet momentan darum, zwingend einen Abstand von fünf Metern zwischen den einzelnen Gebäuden herzustellen, um eine drohende Nutzungsuntersagung abzuwenden. Das neue Konzept müssen die Verpächter durchsetzen, eine behördliche Überprüfung hatte ergeben, dass an vielen Stellen im Notfall kein Durchkommen für die Feuerwehr möglich ist.
Anita van Lück und ihr Mitbewohner Josef Bertrams haben zu den persönlichen Folgen des neuen Brandschutzkonzepts in der vergangenen Woche erschreckende Klarheit erhalten. „Der Verpächter hat uns mitgeteilt, dass wir unsere Parzelle räumen müssen, da sich die Abstände zu unseren Nachbarn nicht herstellen lassen“, sagt van Lück. In dem Brief, der unserer Redaktion vorliegt, wird den beiden Pächtern ein Aufhebungsvertrag angeboten, bei dem der Verpächter die Räumung der Parzelle übernimmt, der Pächter aber die Entsorgungskosten trägt.
Räumung am Hoschenhof: „Wir sehen kein Licht mehr am Horizont“
Nicht erst seit diesem Schreiben haben van Lück und Bertrams schlaflose Nächte. „Den ganzen Tag dreht sich das Gedankenkarussell, wir sehen kein Licht mehr am Horizont“, schildert van Lück unter Tränen. Die 65-Jährige hängt an ihrem Zuhause, das sie 2008 für 30.000 Euro gekauft hatte. In den folgenden Jahren riss sie mit Bertrams das alte Gebäude ab und baute - mit Genehmigung des Verpächters - ein neues. 2012 zogen sie dort wieder ein, 160.000 Euro investierten die beiden in 80 Quadratmeter Wohnfläche. „Bau- und energietechnisch alles auf aktuellem Stand“, schildert Bertrams. Auch die Pflasterung rund um das Häuschen erlaubte der Verpächter vor vier Jahren, ebenso den Kauf eines weiteren Gebäudes auf einer anderen Parzelle.
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Auf die Fünf-Meter-Regelung sei nie hingewiesen worden, obwohl entsprechende Brandschauen alle zwei Jahre stattgefunden hätten. „Für uns ist das die Vertreibung aus dem Paradies“, sagt Bertrams. „Wir haben hier viel investiert, um im Alter mit wenig Geld auskommen zu können“, so der 74-Jährige. Das sei jetzt hinfällig. „Neben einer Räumung gäbe es nur die Möglichkeit zurückzubauen“, sagt der Dauercamper. Ein 1,5-Meter-Streifen ihres Heims müssten weichen, bei der Nachbarin zur linken ebenso. „Bei uns verlaufen dort Heizungsrohre, das kann man nicht mal eben abreißen“, erklärt Bertrams. „Die Nachbarn zur Rechten haben bereits aufgegeben und sind weg.“
Entsorgungskosten muss der Pächter alleine tragen
Was noch hinzukommt: Künftig soll es einen zehn Meter breiten Uferstreifen geben, erst dahinter Bebauung erlaubt werden. Für van Lücks und Bertrams Gebäude würde das ohnehin das Aus bedeuten, die beiden leben direkt am Großen Parsick, ihr Steg reicht einige Meter ins Wasser. Ernüchternde Aussichten für van Lück und Bertrams, die jetzt den Weg zum Anwalt gehen, um die Räumung so lange wie möglich herauszuzögern. „Finanziell ist das Ganze eine Katastrophe, allein die Entsorgungskosten liegen weit höher als die 3000 Euro, die der Verpächter veranschlagt“, sagt van Lück. 7000 Euro würden dafür fällig, mal zwei, denn auch die zweite Parzelle muss voraussichtlich geräumt werden. „Wir sind körperlich nicht in der Lage, viel Eigenleistung einzubringen, das heißt, es müssen Unternehmen beauftragt werden.“
All das Geld, das die beiden in ihre Parzelle gesteckt haben, ist damit weg. „Wir haben beide nie dem Staat auf der Tasche gelegen“, sagt Bertrams. „Zumindest ich werde aber nun vermutlich zum Sozialfall, der ins Altenheim muss“, sagt der 74-Jährige, der unter der Lungenkrankheit COPD, Stadium 4, leidet. Bezahlbaren Wohnraum zu finden, sei fast unmöglich. „Ich schaue jeden Tag, aber da ist nichts Brauchbares dabei“, so van Lück. „Wir wissen, dass wir verloren haben, aber wir wehren uns noch“, sagt die 65-Jährige. So geht es auch ihren Nachbarn. Wut, Hass, Neid und Unsicherheit grassierten jetzt am Hoschenhof. „Von der tollen Gemeinschaft ist jetzt schon nichts mehr übrig“, so van Lück. „Hier ist sich jeder selbst der Nächste.“
Bebauungsplan als nächste Hürde für die Camper
Das bestätigt auch Tatjana Lennartz, die schon mehrfach von den Geschehnissen am Hoschenhof berichtete. „Hier ist es im Augenblick alles andere als idyllisch, eher chaotisch, nervenaufreibend und frustrierend.“ Sie hat bislang ein Gebäude abgerissen, das zweite folgt in Kürze. Ihre beiden anderen Parzellen sollen komplett geräumt werden. „Das heißt, Umzugskartons packen und lagern, Möbel entsorgen oder verkaufen und sobald die Mobilheime leer sind, auch dort mit dem Abriss anfangen.“
Dass für die Dauercamper eine langfristige Nutzung überhaupt noch möglich ist, glaubt Josef Bertrams nicht. „Wer jetzt zurückgebaut hat, wird sich wundern, wenn der neue Bebauungsplan 2025 rechtskräftig wird.“ Dann soll der Campingplatz an die Vorgaben der Camping- und Wochenendhausverordnung NRW angepasst werden, da fast alle Gebäude keine Baugenehmigung haben und auch keinen Bestandsschutz genießen. „Und die meisten entsprechen nicht den aktuellen Anforderungen, was den Brandschutz angeht.“ Wie viele seiner Nachbarn glaubt er, dass der Campingplatz sukzessive komplett neu bebaut werden soll.
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Camper nutzten Möglichkeit zum Fragenstellen nicht
Die Gemeinde Rheurdt, auf deren Fläche 7/8 des Campingplatzes liegt, hat bereits bestätigt, dass einige Gebäude versetzt oder zurückgebaut werden müssen, wenn der Bebauungsplan Ende 2025 rechtskräftig werde. Die Fläche soll jedoch auf Neukirchen-Vluyner Seite erweitert werden, sodass die Pächter neue Parzellen bekommen können. Im Stadtentwicklungsausschuss in Neukirchen-Vluyn waren am Mittwochabend etwa 20 Camper dabei, zu Beginn bestand wie üblich die Möglichkeit Fragen zu stellen. Von dieser Option machte jedoch keiner von ihnen Gebrauch, sie verließen danach den Saal. Lediglich am Ende der Sitzung hat eine Dame sich nach einem aktuellen Sachstand zum Thema erkundet.